BGH-Urteil zu Mietanpassungen im Corona-Lockdown: Salomonische Entscheidung

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Gabriela Böhm

Bei Geschäftsschließungen, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie erfolgen, ist bei gewerblichen Mietern grundsätzlich eine Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage möglich. Das hat der Bundesgerichtshof in einem Grundsatzurteil entschieden (Az.: XII ZR 8/21). Das Urteil hat weitreichende Auswirkungen für Immobilienunternehmen, deren Mieter von Betriebsschließungen betroffen waren. Gastbeitrag von Gabriela Böhm, Leinemann Partner


Überraschend ist die salomonische Entscheidung nicht. Die Karlsruher Richter stellen klar, dass die Miete für gewerblich genutzte Räume wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß Paragraf 313 Absatz 1 BGB unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen der coronabedingten Geschäftsschließung, angepasst werden kann.

Hintergrund war die Klage des Vermieters eines an den Textil-Discounter Kik in Sachsen vermieteten Gebäudes. Das Geschäft musste aufgrund einer hoheitlicher Maßnahme zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020 schließen. Infolgedessen zahlte Kik für den Monat April keine Miete. Der Vermieter ging gerichtlich dagegen vor.

Zunächst hatte das Landgericht Chemnitz in erster Instanz entschieden, dass der Gewerbemieter für den Monat April 2020 die Miete in Höhe von rund 8.000 Euro bezahlen müsse. Das Oberlandesgericht Dresden hingegen hob dieses Urteil auf und entschied stattdessen, dass der Textil-Discounter nur die Hälfte der Miete zu zahlen habe. Aufgrund der staatlichen Schließungsanordnung sei eine Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags eingetreten. Daher müsse der Mietvertrag in der Weise angepasst werden, dass die Kaltmiete für die Dauer der Schließung nur zur Hälfte vom Mieter getragen werden müsse.

Schließung ist kein Mangel

Dagegen ging der Vermieter des Gebäudes weiter vor. In der Revision vor dem BGH verlangte er nach wie vor die volle Miete. Der Textil-Discounter indes strebte weiterhin an, dass die Klage abgewiesen wird, und wollte für den Zeitraum der coronabedingten Schließung keine Miete zahlen. Der BGH hat das Urteil des OLG Dresden aufgehoben und entschieden, dass eine Anpassung der Gewerbemiete während des Shutdowns im Einzelfall möglich ist.

Die Karlsruher Richter schlossen sich damit der Ansicht der Vorinstanz grundsätzlich an und positionierten sich gegen einen Mangel des Mietgegenstandes im Sinne des Paragrafen 536 Absatz 1 Satz 1 BGB aufgrund von coronabedingten Geschäftsschließungen im vorliegenden Fall. Demnach beschränkten Schließungsanordnungen lediglich die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr, nicht jedoch die Nutzung der Geschäftsräume im Übrigen.

Jedoch sei eine Vertragsanpassung nicht ohne weiteres möglich. Neben der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung, müsse dem gewerblichen Mieter das Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar sein. In diesem Fall gesteht der BGH den Mietern zu, dass die hoheitlich angeordneten Schließungen über das gewöhnliche Verwendungsrisiko der gewerblichen Mieter hinausgehen, somit die wirtschaftlichen Nachteile nicht auf unternehmerischen Entscheidungen oder enttäuschten Vorstellungen beruhen. Die Umsatzeinbußen seien vielmehr Folge der staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben.

„50/50-Lösung“ zu pauschal

Mithin bedürfe es einer umfassenden und auf den Einzelfall bezogenen Abwägung. Auf Seiten der Mieter ist eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz jedoch nicht erforderlich. Vielmehr sei zunächst von Bedeutung, welche Nachteile den Mietern durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind. Dabei sind auch finanzielle Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter beispielsweise durch staatliche Hilfen oder Einnahmen durch Online-Handel erwirtschaftet hat. Ebenso müssen die Interessen, die wirtschaftlichen Nachteile und finanzielle Vorteile des Vermieters in der Abwägung berücksichtigt werden.

Zwar stimmte Karlsruhe mit der Ansicht des OLG Dresden grundsätzlich überein, verwies die Entscheidung aber wegen Rechtsfehlern bei den Erwägungen zu einer möglichen Vertragsanpassung zurück. Eine „50/50-Lösung“ sei im vorliegenden Fall zu pauschal und ließe eine erforderliche Abwägung der Nachteile der Geschäftsschließung sowohl für den Mieter als auch für den Vermieter vermissen. Das OLG hat nun zu prüfen, welche konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen die Geschäftsschließung in dem streitgegenständlichen Zeitraum für gewerbliche Mieter und Vermieter hatte.

Das Urteil des BGH bestätigt, dass sowohl auf Mieter- als auch auf Vermieterseite die Findung einvernehmlicher Lösungen weiterhin zu empfehlen ist. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass das mit der Covid-19-Pandemie verbunden Risiko regelmäßig nach klarer Ansage des BGH keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden kann. Aber dabei kommt es am Ende immer auf den Einzelfall an.

Gabriela Böhm ist Partnerin der Kanzlei Leinemann Partner in Frankfurt.

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