„Jetzt sind clevere Finanzierungen gefragt“

Foto: ING/Baufi24/DSL Bank/Creditweb
Die Dikussionsteilnehmer (von links): Thomas Hein, Leiter Vertrieb Immobilienfinanzierung bei ING Deutschland; Benjamin Papo, Chief Sales Officer der Bilthouse Gruppe und Baufi24; Robert Annabrunner, Leiter des Drittvertriebs bei der Privatkundenbank der Deutschen Bank; Patrick Luchetta, Geschäftsführer Creditweb

Leitzinsanhebungen, Rekordinflation, Energie- und Materialkrise, Krieg in der Ukraine – das Baufinanzierungsgeschäft sieht sich derzeit einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber. Cash. sprach mit vier Experten aus den Bereichen Banken und Vertrieb über die Veränderungen im Baufinanzierungsmarkt, neue Beratungsansätze und die Rolle der Nachhaltigkeit beim Immobilienerwerb.

Die Bild-Zeitung titelte unlängst: „Diese Horror-Kurve zerstört Millionen Eigenheim-Träume“. Gemeint war natürlich die Kurve mit der Entwicklung der Hypothekenzinsen. Aber wie dramatisch ist die Lage tatsächlich? 

Hein: Durch die Erhöhung der Zinsen haben bestimmte Haushalte nicht mehr die Möglichkeit, sich ein Eigenheim leisten zu können. Das muss man sicherlich offen kommunizieren. Natürlich hat sich die Zinssituation gegenüber dem letzten Jahr verschlechtert. Aber dadurch, dass sich zusätzlich andere Rahmenbedingungen verändert haben, gibt es auch einen psychologischen Effekt, der die Menschen anders handeln lässt, als wenn sich „nur“ die Bauzinsen verändert hätten. Themen wie Energiekrise, Materialengpässe oder Kapazitäten bei Handwerkern bringen insgesamt viel Unsicherheit. Das sorgt dann auch bei manchen, die noch finanzieren könnten, zu einer eher abwartenden Haltung. 

Luchetta: Ich kann das nur bestätigen, und es kommt noch ein anderer Umstand hinzu. Seit Jahren kennen wir nur die Situation, dass die Zinsen sinken und die Immobilienpreise steigen. Aktuell steigen die Zinsen, aber die Immobilienpreise bleiben auf einem relativ konstant hohen Niveau. Das ist für alle Beteiligten neu und in Kombination mit ohnehin gestiegenen Lebenshaltungskosten eine schwierige Situation. Da wird es für den „normalen“ Baufinanzierungskunden der gesagt hat „mieten statt kaufen“ oft eng. Das merken wir bei der Nachfrage aktuell auch recht deutlich.

Papo: Ich gebe den Kollegen recht, die Unkalkulierbarkeit führt zu einer großen Zurückhaltung, die sicherlich kleiner wäre, wenn es nur die gestiegenen Zinsen zu verkraften gäbe. Da aber weder die Rate noch die Nebenkosten bei der Finanzierung wirklich klar sind, geht die Baufi-Nachfrage zurück. Diesen Zyklus müssen wir wohl abwarten. Neben den bereits angesprochenen Käuferschichten, die sich aktuell keine Immobilie mehr leisten können, gibt es eine weitere Nachfragergruppe: Das sind die Kapitalanleger. Für sie lohnt sich der Immobilienerwerb bei den derzeitigen Zinsen vor dem hintergrund der Rendite nur dann, wenn der Preis stimmt. Aktuell können sie daher die Kaufpreise aufgrund des Überangebots an Immobilien am Markt wieder verhandeln. Auch beim Thema Anschlussfinanzierung gibt es eine hohe Unsicherheit, die wiederum für uns als unabhängige Vermittler eine große Chance sein kann. Denn in unsicheren Zeiten ist guter Rat immer gern gesehen. In jedem Fall gibt es aktuell ein spannendes Markt-Momentum.

Annabrunner: Der elementare Punkt ist die allgemeine Verunsicherung. Kaufwillige werden quasi rund um die Uhr mit Hiobsbotschaften zu Zinsen, steigenden Baukosten und Energiepreisen konfrontiert. Das ist sicherlich kein „Schließ-schnell-ab-Motivator“. Im Zusammenhang mit der Zinsentwicklung überrascht mich die Verunsicherung relativ wenig – vor allem mit Blick auf die Anschlussfinanzierungen. Wer jetzt eine Prolongation abschließt, bekommt Konditionen auf dem Niveau, zu dem er vor 10 Jahren seine Erstfinanzierung abgeschlossen hat. Es ist für viele nach der langen Niedrigzinsphase sicher eine Enttäuschung, hier keinen positiven Schnitt zu machen, sondern die Kondition nur zu verlängern. Im Neubaubereich dreht sich alles um das Thema Kosten: Kosten für die Baufertigstellungssicherung, Nebenkosten, Energiekosten, usw. Ich hoffe sehr, dass die Maßnahmen der Bundesregierung zum Beispiel bei den Energiepreisen hier kurz- bis mittelfristig für Entspannung sorgen. Trotz dieser Option sehen wir, dass unsere Vertriebspartnerinnen und Partner sich umstellen und bereits vermehrt zur energetischen Sanierung beraten. Sie haben erkannt, dass zurzeit nur mit Neubaufinanzierung einfach weniger zu verdienen ist. Das bedeutet, dass das Bestandsgeschäft zu-nehmend wichtiger wird – und unter Umständen durchaus lukrativer. Themen wie das Einbeziehen von Fördermitteln und die Entwicklung einer Immobilie in eine bessere Energieeffizienzklasse– das sind jetzt die wichtigen Themen im Beratungsgespräch. Das führt natürlich zu höheren Anforderungen an die Qualität der Beratung. Das Geschäft konzentriert sich aktuell definitiv auf Modernisierung, Sanierung und kleinteiligere Darlehen – die dann hoffentlich auch mit geringeren Aufwendungen verbunden sind. 

Robert Annabrunner: „Viele unserer Partnerinnen und Partner beginnen jetzt, sich verstärkt mit dem Thema Bausparen auseinanderzusetzen.“ Foto: DSL Bank

Kürzlich hat ein großer Player seine Jahresziele für 2022 im Bereich Baufinanzierung kassiert, weil die Nachfrage komplett eingebrochen ist. Wie hat sich das Geschäft bei Ihnen seit Jahresbeginn entwickelt?

Hein: Das erste Halbjahr war sehr positiv, vermutlich auch durch mögliche Vorzieheffekte wegen sich verändernder Rahmenbedingungen. Seit etwa Mitte des Jahres ist das Geschäft sehr volatil geworden, nicht zuletzt aufgrund der Zinssituation. Wir gehen aber bis Jahresende davon aus, dass wir zumindest in die Nähe unseres Ziels für 2022 kommen. Hätten wir das erste halbe Jahr fortführen können, wären wir ganz woanders gelandet. Das Thema Margen ist durch die schnellen Zinserhöhungen auch bei den Banken in den Fokus gerückt. Wir wollen unseren Kundinnen und Kunden weiterhin die Möglichkeit geben, auch wenn die Zinsen sich verändern, innerhalb einer gewissen Frist und zu akzeptablen Kosten jeden Antrag zu uns zu bringen. Das bedeutet auch: Wir können nicht lange warten, sondern müssen die Zinsen – mit einer gewissen Kalkulierbarkeit von ein paar Tagen – an das Markniveau anpassen. 

Luchetta: Im ersten Quartal waren wir wirklich happy und dachten, das Jahr wird richtig gut, selbst das zweite Quartal war noch in Ordnung. Aber wir dürfen nicht vergessen: Das Geschäft, das wir im ersten Quartal gemacht haben, ist eigentlich der Nachlauf aus den letzten drei Monaten 2021. Und wenn wir Kunden im ersten Quartal beraten, kommt der Vertrag oft erst drei Monate später zustande. Wir merken, dass wir im dritten Quartal deutlich weniger Anfragen haben, was wiederum große Auswirkungen auf das letzte Quartal haben wird. Dennoch rechnen wir immer noch mit einem Wachstum für 2022, zwar nicht in der Höhe wie angepeilt, aber doch deutlich zweistellig, was allerdings nur mit sehr viel Aufwand zu erreichen ist. Wir müssen geduldig sein. Es bringt nichts, jetzt Entscheidungen zu treffen, die Hektik bei Vermittlern und bei Kunden auslösen. Wir müssen uns auf den Markt einstellen, der gerade da ist, und dann wird das auch in den ersten Monaten des 2023 wieder anders sein. Dann werden sich die Kunden hoffentlich an die Zinsen gewöhnt haben und die Ukraine-Krise beigelegt sein. 

Annabrunner: Ich mache es kurz: Wir hatten ein starkes erstes Quartal, dann kam der Zinsknick mit den klassischen negativen Auswirkungen im zweiten Quartal. Viele Kunden haben schnell noch abgeschlossen, um sich den niedrigen Zins zu sichern. Den Ausblick würde ich so formulieren: Es ist eine Kombination aus Margenerwartung versus Marktentwicklung. Wenn man nicht sehr preisaggressiv in einen deutlich kleineren Markt geht, kann man auch im Schlussquartal nicht mit Wachstum rechnen. Die Frage ist jetzt, wann wieder Ruhe in die wirtschaftliche Lage kommt. Wenn die Krisen überwunden sind und die Märkte sich entspannt haben, wird das Vertrauen in die Baufinanzierung wieder wachsen. Dann wird auch die Nachfrage nach Neubaufinanzierung wieder anspringen. Aber tendenziell sehe ich das Geschäft eher im Eigennutzerbereich als bei Kapitalanlegern. 

Papo: Bei uns war es, wie von den Kollegen beschrieben, das gleiche Bild. Ich sehe uns bei Bilthouse dennoch auf einem starkem Wachstumskurs, nicht zuletzt, weil die Generierung von Leads, die für uns wichtig sind, nach wie vor gut funktioniert und damit auch einer unserer USPs darstellt. Zudem können wir gegen den Markt wachsen, weil wir zusätzliche Franchisepartner gewonnen haben, die mit uns trotz Krise die nächsten Schritte gehen wollten. Trotz der Herausforderungen sind wir dennoch guten Mutes für dieses Jahr. 

Hat sich der Nachfragermarkt der letzten Jahre erledigt und falls ja, was heißt das für die Baufi-Beratung?

Papo: Für einen unabhängigen Broker wie uns ist vor allem die persönliche Beratung ein zentrales Produkt. Es kommen Menschen zu uns, weil sie eine objektive Beratung haben wollen. Die Situation der letzten fünf bis zehn Jahre auf dem Immobilienmarkt, als Sie aufgrund der enormen Nachfrage innerhalb von 15 Minuten entscheiden mussten, ob Sie die Wohnung oder das Haus kaufen, war auch nicht mehr normal. Jetzt findet eine Normalisierung statt, sodass Sie als Kunde dann doch noch einmal die Chance haben, eine Nacht darüber zu schlafen, bevor Sie kaufen bzw. auch noch einmal über den Preis diskutieren können. Das ist bei diesen Investmenthöhen derzeit wichtig. Gleichzeitig erweitert sich die reine Baufinanzierungsberatung um das Thema Objekt: Wie kann ich das Objekt verhandeln? Wie kann ich auch mit dem Objekt umgehen? Wie funktioniert die Objektbewertung? Hier findet eine weitere Professionalisierung statt. 

 Hein: Die Branche hat sich in den letzten Jahren daran gewöhnt, dass die Kundinnen und Kunden quasi Schlange standen, um einen Baukredit zu erhalten. Jetzt gilt es, sich an die vielleicht normalen Jahre zurückzuerinnern, als wir echte Kundenakquise machen mussten – und das trifft Banken genauso wie Vermittler. Die Frage lautet jetzt wieder: Wie sprechen wir Interessenten erfolgsversprechend an? Dabei spielt auch das Thema Social Media, das es damals noch gar nicht gab, eine sehr viel stärkere Rolle. In der Beratung müssen wir jetzt mehr den Schwerpunkt auf das Thema Sanierung und Modernisierung legen und dazu auch die Weiterbildung vorantreiben. Es ist wichtig, die Kunden auf bestimmte Energiethemen hinzuweisen, auf bestimmte Möglichkeiten, die sie dort haben. Da spielt jetzt die Musik und da sehe ich uns auch als Produktgeber in der Pflicht, Vermittler und klassische Endkunden mit entsprechenden Produkten und Prozessen zu unterstützen.  

Luchetta: Es ist wichtig, dass Beratung überhaupt stattfindet. Und ich glaube einfach, wir brauchen deutlich mehr Beratung. Man sollte intensiver mit Kunden sprechen, noch einmal individueller auf die Bedürfnisse eingehen, und auch dann ist es so, dass in der aktuellen Zinsphase, mit Produkten, die man in der Baufinanzierung mit einbauen kann, auch einfach eine Finanzierung machbar ist. Das ist unser Job als Broker. Wir sind Dienstleister für die Bank und Dienstleister für den Kunden. Diesen Job müssen wir in Zukunft noch intensiver wahrnehmen. Die Nachfrage ist weiterhin da, das Bedürfnis, eine Immobilie zu kaufen, ist bei den meisten Menschen immer noch ganz weit oben und das wird sich auch nicht verändern. Die Kapitalanleger fallen zwar aktuell aus, aber auch das wird ein Thema sein, das in Zukunft wieder Fahrt aufnehmen wird, wenn die Menschen sich wieder die Zinssituation gewöhnt haben. Das Anlagebedürfnis für das Alter zu sorgen, ist weiterhin da. 

Patrick Luchetta: „Wir sind Dienstleister für die Bank und den Kunden. Diesen Job müssen wir künftig noch intensiver wahrnehmen.“ Foto: creditweb

Annabrunner: Ich sehe das genauso. Aus meiner Sicht ist die Finanzierungsberatung deutlich komplexer geworden. Wir haben gestiegene Zinsen bei ebenfalls gestiegenen Immobilienpreisen. Wir haben zudem eine massive Preissteigerung bei Material- und Handwerkerleistungen. Dem stehen begrenzte Finanzmittel der Kaufinteressenten gegenüber. Und deshalb lockt eine Pauschalberatung niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Es braucht jetzt clevere Finanzierungen mit wirklich messbaren, finanziellen Vorteilen. Dabei geht es auch um den Einbau aller geeigneten Förderungen. Um dieses Potenzial ausschöpfen zu können, muss der Beratungsfokus konsequent auf der Entwicklung und Ausgestaltung der Immobilie in Richtung Energieeffizienz liegen. Bei diesen Themen können Beraterinnen und Berater nur mit maßgeschneiderten Lösungen und den entsprechenden Produkten punkten. Dass der Beratungsalltag komplexer und Kundengespräche zeitintensiver werden, ist eine logische Konsequenz dieser Gemengelage.

Hein: Darin liegt auch eine große Chance für den Finanzierungsbe-rater, sich einen Marktvorteil zu verschaffen und auch auf Weiterempfehlungen zu hoffen. Wir haben zum Beispiel gemeinsam mit der KfW ein Energieeinsparungstool entwickelt, um Kundinnen und Kunden beim Kauf eines Objektes direkt darauf anzusprechen, was in Richtung Sanierung, Modernisierung und Energieeinsparung getan werden kann. Die Menschen sind durchaus überrascht, weil sie gar nicht unbedingt erwartet haben, dass im Beratungsgespräch auch so intensiv über dieses Thema gesprochen wird.

Kommen wir zum großen Trend Nachhaltigkeit. Welchen Stellenwert haben speziell ökologische Themen derzeit in der Beratung? 

Hein: Wir müssen dabei unterscheiden zwischen Neubau und Kauf einer Immobilie. Im klassischen Neubau sind die Bauauflagen etc. bereits so hoch, dass man ohnehin meistens über Energieklassen A und A+ redet. In der klassischen Finanzierungsberatung ist daher relativ wenig Bedarf, über Nachhaltigkeit zu sprechen. Beim Kauf einer Immobilie hingegen tritt das Thema immer stärker in den Vordergrund. Da sind wir wahrscheinlich noch nicht ganz dort, wo wir vielleicht sein müssten oder wo sich die Politik sich das gerne wünscht, um auch die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens entsprechend erreichen zu können. Wie es genau im Bereich Immobilien gehen soll, ist noch ein wenig offen. Wenn wir darüber diskutieren: Was ist eigentlich grün? dann glaube ich, weiß man, dass das eine oder andere noch geklärt werden muss. Nichtsdestotrotz ist es aus meiner Sicht ganz wichtig, dem Kunden im Beratungsgespräch bereits die ersten Tipps und Hinweise zu geben, worüber er oder sie nachdenken sollte. Das wird auch für die Portfolios der Banken wichtig sein, denn heute wissen wir nur relativ wenig, welche Energieklassen die Objekte in unserem Bestand haben. Da gilt es anzusetzen und Konzepte zu entwickeln. Unser Energieeinspartool ist ein erster Schritt, um mit dem Kunden ins Gespräch zu kommen. Ich hatte vor kurzem mit einem Vertreter des Landkreises Berchtesgadener Land ein Gespräch, und ich war überrascht, wie viel Daten dort auf granularer Ebene pro Immobilie vorhanden sind, die dann auch im Rahmen einer Energieberatung für Hauseigentümer genutzt werden. Es gibt dort eine Energieberatungsagentur, die Bürgerinnen und Bürger sehr intensiv berät. Das finde ich sehr interessant. 

Luchetta: Unsere Berater müssen sich einfach weiterbilden. Es reicht nicht mehr, dass wir einen Wissensstand von vor zehn Jahren haben, um klassisch unsere Baufinanzierungsberatung durchzuführen. Die Themen Nachhaltigkeit, Energieeffizienz, solare, neuartige Heizungen, Blockkraftheizwerke etc., gehören jetzt mit dazu. Wir müssen keine Spezialisten in diesem Bereich sein, aber wir müssen wissen, dass es so etwas gibt und wie sich das in eine Finanzierung einbauen lässt. Man darf das nicht unterschätzen: Es gibt viele Regionen, in denen Sonderförderprogramme angeboten werden, die wir vielleicht, wenn wir überregionale Beratung machen, gar nicht kennen. Ich bin mir sicher, in fast jeder zweiten Beratung tauchen irgendwann die Themen Photovoltaik und Heizung sowie die Aspekte Zuschüsse und Modernisierung auf. Darauf muss ich als Berater Antworten geben können und wir müssen dem Kunden einen klaren Vorteil bringen. Das ist der Unterschied, den wir dann eines Tages am Erfolg sehen. Nicht, weil wir vielleicht bessere Konditionen haben, sondern weil wir den Kunden einen Mehrwert gegeben haben, den er sonst nicht bekommt. 

Papo: Die derzeit geführte Nebenkostendiskussion sorgt dafür, dass sich die Menschen aktiv überlegen, wie sie die Betriebskosten senken können. Und das matcht wiederum gut zum ökologischen Bauen. Nachhaltigkeit wird also auch aus monetärer Sicht betrieben. Das müssen die Berater wissen, sonst können sie nicht gut beraten. Ein Drittel der Befragten in aktuellen Umfragen wäre bereit, zehn Prozent mehr für das Objekt zu bezahlen, wenn es ökologisch gebaut ist. Das finde ich spannend, denn es zeigt die Awareness für das Thema Nachhaltigkeit. 

Benjamin Papo: „Jedwede Normierung, Standardisierung und Zertifizierung nimmt gegenwärtig enorm an Fahrt auf.“ Foto: Baufi24

Annabrunner: Nachhaltig ist das neue Normal, auch wenn es gern als Trend bezeichnet wird. Aber genau das ist Nachhaltigkeit eben nicht, sondern ein sehr ernsthaftes, cooles Thema, das uns weiter begleiten wird. Warum ist nachhaltig cool? Jeder Mensch möchte letztlich in einer Welt leben, die lebenswert ist. Als Deutsche Bank fühlen wir uns dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet. Wir haben hier bereits erste Schritte gemacht und werden diesen Weg konsequent weitergehen. Dazu brauchen wir aber nicht nur die Beratung der Kunden in diese Richtung, sondern auch Produktgeber, die entsprechende Lösungen anbieten. So haben wir beispielsweise die BHW Bausparkasse ESG-zertifizieren lassen, mit sehr guter Note übrigens. Das ist ein erster Schritt, Nachhaltigkeit vertrauenswürdig messbar und damit für jeden nachvollziehbar zu machen. Das zeigen wir nach außen über das Siegel, aber auch über die Produkte. Um das Thema ESG stärker gesellschaftlich zu verankern, fehlen jedoch noch einheitliche Mindeststandards zur Bewertung und Einordnung von Unternehmen und Finanzdienstleistungsprodukten. Das ist aus meiner Sicht eine große Herausforderung. Oder anders formuliert, wir wollen kein Greenwashing betreiben, sondern Rahmenbedingungen und Produkte schaffen, die der Vertrieb auch gut verwenden kann. 

Standards sind beim Thema Nachhaltigkeit sicherlich wichtig. Ebenso von Bedeutung ist aber auch eine Zertifizierung, die sowohl Vertrieb als auch Kunden wirklich weiterhilft. Gibt es hier Fortschritte? Wir hatten das Thema beim letzten Roundtable bereits einmal diskutiert.  

Annabrunner: Für BHW haben wir das Thema ESG-Zertifizierung bereits realisiert. Aber es fehlt nach wie vor der klassische Marktstandardvergleich. Hier würde ich als treibende Kraft eine Instanz wie das Bundeswirtschaftsministerium sehen, weniger private Institutionen.  

Hein: Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen vergibt bereits Zertifizierungen, aber dort ist man derzeit noch auf große Bauprojekte oder ganze Portfolios fokussiert. Für den Einzelbauer ist es aktuell schwierig, eine entsprechende Zertifizierung zu bekommen und wenn doch, dann ist sie sehr teuer. Wir sind also noch nicht da, wo wir es bei unserem Gespräch damals schon gehofft hatten. Aber es wird dort noch viel passieren, allerdings braucht es auch vom Gesetzgeber noch viel mehr Vorgaben. 

Luchetta: Ich habe mich selbst einmal vor einigen Monaten mit dem Thema beschäftigt und mich gefragt: Was können wir unseren Partnern draußen an die Hand geben, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ein bisschen „grüner“ aufzutreten? Es ist leider noch nicht möglich, eine Firma bei uns selbst oder in der Branche einfach zertifizieren zu lassen. Das ist noch zu neu. Was wir aber merken: Es gibt sehr viele Franchisepartner bei uns oder Vermittler oder auch Betriebe, die bei uns sind, die das Thema mit auf der Agenda drauf haben. Beispielsweise setzt unsere Partnerfirma Zinskonzept aus Karlsruhe eine tolle Idee um: Für jede Baufinanzierung, die vermittelt wird, wird ein Baum gepflanzt. Auch andere Firmen entwickeln selbst Aktionen und warten nicht auf den Regulierer. Der Impact ist leider noch nicht messbar. Aber wir merken, dass ein Umdenken bei Kunden und Vermittlern passiert, um das Thema für sich selbst auf die Agenda zu nehmen. 

Papo: Jedwede Normierung, Standardisierung, Zertifizierung nimmt gegenwärtig enorm an Fahrt auf, wenn die Nachfrage und der Bedarf steigen. Anfangs ist es immer schleppend, aber irgendwann kommt der positive Push. Ich kenne dieses Phänomen auch aus der Versicherung, dass solche Themen dann sehr plötzlich sehr schnell vorangetrieben wurden, die zunächst jahrelang vor sich hingedümpelt sind.

Thomas Hein: „Es wird wieder vermehrt über Zinshöhen und Konditionen diskutiert werden.“ Foto: ING Deutschland

Schauen wir zum Schluss auf 2023. Wie wird sich der Baufinanzierungsmarkt entwickeln?

Hein: Es wird viel davon abhängen, wie schnell sich die Rahmenbe-dingungen wieder normalisieren. Bleibt es so wie im Moment, dann werden wir weiter eine Zurückhaltung sehen und Kundinnen und Kunden ihre Investitionsentscheidung verschieben. Das wird dann natürlich zu einem stärkeren Wettbewerb sowohl auf der Vermittler-, aber auch auf der Bankenebene führen – mit zwei Stoßrichtungen: Es wird zum einen wieder vermehrt über Zinshöhen und Konditionen diskutiert werden, um sich gegenüber dem Wettbewerb abzugrenzen, zum anderen wird sich aber auch der Service unterscheiden, der von Vermittlern angeboten wird, um damit bei der Kundschaft zu punkten und diese für sich zu gewinnen. Verschwindet indes die Unsicherheit, wird Stück für Stück auch die Nachfrage wieder anziehen. Das Segment Neubau muss dann erst mal aufholen und im Bereich Sanierung und Modernisierung stellt sich dann die Frage, welche Stückzahlen dort zu erzielen sind, während die Höhe der durchschnittlichen Finanzierung sicherlich dadurch zurückgehen wird.

Annabrunner: In Bezug auf das Neugeschäft wird das erste Quartal 2023 nicht vergleichbar mit dem Vorjahresquartal sein. Als Trend zeichnet sich hier ab: Mehr Bestand statt Neubau, verbunden mit einer Verlagerung zu den Themen Modernisierung und Sanierung. Ich glaube, dass der Erfolg in einem breiteren Beratungsansatz kombiniert mit einem hohem Qualitätsniveau liegt. Und unsere Partnerinnen und Partner haben das auch erkannt: Viele, die sich bisher nur mit der klassischen Baufinanzierung beschäftigt haben, beginnen nun, sich vermehrt mit dem Thema Bausparen auseinanderzusetzen. Selbst wenn wir beim Zinsniveau keine sehr großen Steigerungen mehr sehen sollten, werden die meisten Anbieter im Markt ihre Margen sehr genau im Blick behalten . Dennoch wird es immer den „billigen Jakob“ geben, bei dessen Angeboten man sich kopfschüttelnd fragt: „Wie machen die das?“

Luchetta: Die genannten Trends werden genauso eintreten. Ich würde aber gerne noch zwei, drei Punkte ergänzen wollen. Wichtig wird auch in 2023 sein, was die KfW macht. Das wird auch auch viele Bauträger interessieren, die aktuell Grundstücke besitzen, aber nicht bauen wollen, ohne zu wissen, ob sie die Immobilie verkauft bekommen. Wenn diese Rahmenparameter sich positiv verändern sollten, wird das Geschäft wieder anziehen. Der Krieg in der Ukraine und die Gaskrise werden auch im Jahr 2023 starke Auswirkungen auf den Markt haben, der definitiv kleiner sein wird. Da gilt es einfach tatsächlich eben das Thema Beratung mit aufzunehmen und auch andere Produkte anzubieten, eben nicht nur klassische Baufinanzierung von Neubau. Man muss sich wieder auf das Thema Prolongation konzentrieren. Das Thema Akquise wird für alle Segmente von großer Bedeutung sein. Berater müssen rausgehen, Immobilien suchen und dann auch wieder verkaufen. Da muss ein Umdenken bei den Beratern stattfinden. Nur wenn wir das schaffen, wird auch 2023 positiv werden. 

Papo: Um es abzurunden: Ja, es wird herausfordernder, es wird sportlich, und am Ende ist Kundengewinnung vor allen Dingen aus Beratersicht das entscheidende Thema. Wer dabei erfolgreich sein will, muss den seit jeher gültigen Leitsatz beherzigen: Kenne deinen Kunden, kenne die Immobilie, kenne deine Bankpartner. Hört sich leicht an, ist aber schlussendlich die große Kunst des Vertriebs und der Schlüssel zum Erfolg.

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