Die Suche nach der nächsten Nokia

Foto: Fonds Finanz
Tim Bröning

Nicht wenige große Technologietitel sind derzeit zu scheinbar attraktiven Kursen zu haben. Warum es für Anleger nicht gefahrlos ist, einfach zuzugreifen. Die Bröning-Kolumne

Als der Aktienkurs von Meta – ehemals Facebook – im Februar an nur einem Tag um mehr als 20 Prozent einbrach, löste sich eine schier unvorstellbare Menge an Anlegergeldern in Luft auf. 195 Milliarden US-Dollar an Börsenwert wurden auf einen Schlag vernichtet. Das entspricht laut Bloomberg der Marktkapitalisierung von 450 der insgesamt 500 Unternehmen im US-Index S&P 500. Seit dem letzten Höchststand im September sank der Aktienkurs von Meta zwischenzeitlich sogar mehr als 46 Prozent und der Social-Media-Konzern verlor seine Stellung als zehntgrößtes Unternehmen der Welt.

Einbruch bei Tech-Riesen nutzen?

Titel wie Meta, PayPal, Salesforce.com, Zoom Video oder Netflix zeigten bereits seit vergangenem Herbst deutliche Kursschwächen und büßten in wenigen Monaten teilweise 50 Prozent und mehr an Börsenwert ein. Auf der Suche nach Kaufgelegenheiten könnten Anleger in die Versuchung kommen, bei großen und stark gefallenen Technologieaktien zuzugreifen. Doch hierbei ist äußerste Vorsicht geboten.

Vereinzelt diskutieren Analysten bereits den Anfang vom Ende einiger Tech-Giganten wie Meta, die lange Zeit als unverwundbar galten. Es liegt in der Natur der Sache, dass das Scheitern von Marktführern meist unterschätzt wird – allen voran von den Unternehmen selbst, aber auch von Anlegern, die schließlich den Verfall des Aktienkurses hinnehmen müssen.

Selbst noch so sattelfeste Marktführer sind nicht davor gefeit, von neuen Technologien oder besser aufgestellten Konkurrenten in die Obsoleszenz befördert zu werden. Wobei sich die Frage stellt, wie sattelfest Unternehmen wie der Social-Media-Riese Meta wirklich sind. So räumte CEO Mark Zuckerberg jüngst Konkurrenzdruck durch den Rivalen TikTok ein. Die chinesische Plattform wächst rasant und könnte Facebook die Nutzer streitig machen. Laut Zuckerberg hat Meta bereits Aufholbedarf zum Videoangebot von TikTok.

Disruption als Gefahr für etablierte Unternehmen

Als führendes Unternehmen stets an der Spitze zu bleiben, ist eine enorme Herausforderung. Für den ehemaligen finnischen Handyhersteller Nokia bedeutete der Marktstart des iPhones 2007 den Anfang vom Ende. Der Platzhirsch im Mobiltelefonmarkt erkannte zwar im iPhone eine Konkurrenz, unterschätze sie aber drastisch. Gegenüber neuen Playern und Technologien im Markt zeigte das Unternehmen eine nachlässige Arroganz. Das Google-Betriebssystem Android nannte der damalige Nokia-Manager Anssi Vanjoki nur einen „Hype“. Das Ende ist bekannt: Nokia musste sein schwindendes Handygeschäft 2013 verkaufen. Laut US-Marktforschern ist Android dagegen auf knapp 80 Prozent aller neu verkauften Smartphones installiert. Nokia existiert als Netzwerkspezialist weiter, der Aktienkurs, der von rund 27 Euro im Jahr 2007 auf knapp sieben Euro im Jahr 2009 fiel, konnte sich jedoch nie wieder richtig erholen. Im März 2022 notierte die Nokia-Aktie sogar unter fünf Euro.

Viele Markt- und Technologieführer, z. B. die bekannten FAANG-Aktien, sind sich zumindest des Potenzials für Disruption bewusst. Sie warfen selbst einmal etablierte Strukturen aus der Bahn. So trieben die günstigen und zielgerichteten Werbeplattformen bei Facebook und Google viele Zeitungsverlage in den Ruin. Onlinedienste wie Netflix machten Videotheken überflüssig und Amazon verdrängt weiterhin den klassischen Einzelhandel. 

Auch Nokia kannte sich mit Disruption aus, sogar innerhalb der eigenen Firma. Das 1865 gegründete Unternehmen begann als Papiermühle und stellte später auch Gummistiefel und Reifen her. In den 1990er-Jahren schwenkte Nokia auf das Handy-Geschäft um. Es folgte der Aufstieg zum teuer bewerteten Tech-Riesen und Handy-Weltmarktführer. Den Ölkonzern BP löste Nokia 1999 sogar als wertvollstes europäisches Börsenunternehmen nach Marktkapitalisierung ab. Zum Wechsel in das neue Millennium wies die Firma ein hohes Kurs-Gewinn-Verhältnis von 80 auf. Nokia zeigte sich innovativ und brachte neben einem der weltweit ersten Kamerahandys schon früh E-Mail- und internetfähige Telefone auf den Markt. Doch vergangene Erfolge und Innovationskraft sind kein Garant für andauernde Marktführerschaft.

Ein anderes Umfeld für teure Wachstumsaktien

Die heutigen hoch bewerteten Wachstumstitel erfahren derzeit auch aufgrund steigender Zinsen starken Gegenwind. Mit dem Kriegsausbruch in der Ukraine hatten die jüngsten Kursschwächen bei Meta, Netflix & Co. hingegen nichts zu tun. Vielmehr läutete die weit im Voraus der jüngsten US-Leitzinsanhebung geführte öffentliche Diskussion über steigende Zinsen aufgrund hoher Inflation im Herbst ein neues Zeitalter für teure Tech-Werte ein. Denn der Zins spielt bei der Berechnung des Unternehmenswertes eine essenzielle Rolle: Erwartete Gewinne sind bei höheren Zinsen aus heutiger Betrachtung deutlich weniger wert als zuvor. Wenn Wachstumsprognosen oder User-Zahlen enttäuschen, wird der Aktienkurs deutlich härter abgestraft, als es die Anleger bisher gewohnt waren. Die Börsen könnten manche ihrer bisherigen Lieblinge daher fortan mit anderen Augen betrachten.

Das bekannte Buy-the-Dip-Mantra mag oft richtig gewesen sein. Wer im Corona-Crash ein NASDAQ-ETF kaufte, ist gut damit gefahren. Doch sollten sich Anleger genau überlegen, ob es wirklich klug ist, einseitige Wetten auf den Tech-Sektor aufzustocken. In gängigen ETFs auf den Technologieindex NASDAQ 100 machen die FAANG-Titel beispielsweise mehr als 40 Prozent des gesamten Portfolios aus. Anleger sind damit also alles andere als gut diversifiziert.

In Zukunft könnte es sich lohnen, Investment-Entscheidungen wieder selektiver anzugehen. Deswegen können Anleger auf Fonds mit Managern zurückgreifen, die bei „Technologie“ nicht ausschließlich an FAANG- und NASDAQ-Aktien denken, sondern sich breiter aufstellen. Denn Anleger sollten sich nie zu sehr darauf verlassen, dass die Gewinner der Vergangenheit auch die Gewinner von morgen sein werden. Wer bei jeder abgestürzten Tech-Aktie gleich eine Kaufgelegenheit wittert, könnte ganz aus Versehen die nächste Nokia für sich entdecken.

Tim Bröning ist seit 2009 in der Geschäftsleitung der Fonds Finanz Maklerservice GmbH und verantwortlich für den Bereich Non-Insurance, Finance & Legal.

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