Sozialkreditsystem für Unternehmen in China – Wahrheit und Mythos

Die EU- und die Deutsche Handelskammer haben Alarm geschlagen: 2020 führt China ein landesweites Rating für Unternehmen ein und die Mehrheit deutscher und europäischer Firmen ist nicht vorbereitet. Was sollten Unternehmen in China über das neue System wissen und wie können sie vorsorgen? Ein Kommentar von Dr. Falk Lichtenstein, Partner bei der Wirtschaftskanzlei CMS in Peking.

China will Unternehmen, ähnlich wie seine Bevölkerung, nach einem Punktesystem bewerten. Das Sozialkreditsystem für Unternehmen soll bis 2020 landesweit eingeführt und nach und nach ausgebaut werden. Ein schlechtes Rating kann für Unternehmen gravierende Folgen haben. Niedrige Punktzahlen wirken sich negativ auf Genehmigungen, Kreditbedingungen, den Marktzugang und öffentliche Beschaffungsmöglichkeiten aus.

Schwarze Schafe im Visier der Regierung

Hintergrund ist, dass der Wirtschaftsverkehr in China durch ein hohes Maß an Misstrauen geprägt ist. Der chinesischen Regierung sind schwarze Schafe ein Dorn im Auge. Sie will das Vertrauen der Marktteilnehmer untereinander wiederherstellen.

Dazu setzt sie jedoch nicht primär darauf, dass ein Ausbau des Rechtsstaats und eine Stärkung der Gerichte die Probleme lösen, sondern geht neue Wege: mit einem allumfassenden, technisierten, Big-Data-gestützten Bewertungssystem für Unternehmen.

Sozialkreditsystem betrifft alle Unternehmen in China

Das Sozialkreditsystem gilt für alle Unternehmen mit Sitz in der Volksrepublik China, also auch Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen. Jedes Unternehmen erhält ein Rating nach Punkten.

Dafür werden praktisch alle Geschäftsaktivitäten herangezogen, wie zum Beispiel Forschung und Entwicklung, Produktqualität, Arbeitsschutz, Verbraucherschutz, Umweltschutz, Devisenkontrolle, Steuer und Zoll, E-Commerce, Wettbewerbsverhalten, Public Relations und Datentransfer.

Die Anzahl der herangezogenen Kriterien und Parameter unterscheidet sich nach Größe und Branche des Unternehmens. So werden beispielsweise bei einem Produktionsunternehmen in der Chemiebranche mehr berücksichtigt als bei einem Handelsunternehmen für Gartenmöbel.

Die Informationen stammen aus verschiedenen Quellen: von Daten, die von den Unternehmen an die Behörden gemeldet werden müssen, über Daten, die die Behörden selbst ermitteln, bis zu Daten, die von kommerziellen Ratingagenturen und E-Commerce-Plattformen gesammelt wurden. Umfang und Einfluss der von Agenturen und Plattformen herangezogenen Daten sind noch unklar.

Schwammige Kriterien wie „Schädigung nationaler Interessen“

Künftig sollen auch schwammige Kriterien das Rating beeinflussen. Dazu zählt neben dem seit jeher dehnbaren Begriff der „Schädigung nationaler Interessen“ etwa negative Publicity über das Unternehmen in chinesischen Medien, einschließlich Social Media. Auch die Bewertung von Geschäftspartnern eines Unternehmens wird Einfluss auf dessen eigenes Rating haben.

Dahinter steht die Idee, dass andere Marktteilnehmer die schwarzen Schafe meiden. Das Bewertungssystem hätte so einen selbstvollziehenden Charakter. Das System bewertet auch die Aktivitäten chinesischer Unternehmen im Ausland, etwa bei Outbound-Investitionen oder im Außenhandel. Die Aktivitäten ausländischer Unternehmen außerhalb Chinas scheinen dagegen auf absehbare Zeit nicht erfasst zu werden.

 

Seite 2: Was Big Data möglich macht

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