„Leider nutzen viel zu wenige Passagiere den Gurt“

Der schwere Busunfall auf Madeira wirft Fragen nach der Sicherheit auf: Der Fahrer hatte offenbar in einer Kurve die Kontrolle über das Fahrzeug verloren, das danach einen Abhang hinunterstürzte. Zahlreiche Tote sind zu beklagen. Antworten vom Chef der Unfallforschung der Versicherer, Siegfried Brockmann.

Siegfried Brockmann, Unfallforscher der Versicherer: „Aus Sicht der Unfallforschung fallen zwei Punkte auf: die Stabilität der Fahrgastzelle und das Anschnallverhalten in Bussen.“

Herr Brockmann, wie gefährlich sind Busreisen?

Brockmann: Bilder von aufgeschlitzten oder ausgebrannten Bussen mit vielen Verletzten und Getöteten prägen sich in das Bewusstsein ein, das ist verständlich. Tatsächlich aber sind Reisebusse relativ sicher und solche verheerenden Unfälle sehr selten. Nichtsdestotrotz liefert jeder schwere Busunfall einen Grund, die bestehenden Sicherheitsvorschriften zu hinterfragen. Im Jahr 2016 verunglückten allein in Deutschland 5.532 Personen bei Busunfällen. Daher müssen wir alles tun, um die Folgen solcher Unfälle zu begrenzen oder sie am besten völlig zu vermeiden.

Was heißt das konkret für den Busunfall auf Madeira?

Brockmann: Die genaue Unfallursache ist noch nicht bekannt. Augenscheinlich ist der Fahrer von der Straße abgekommen – mit katastrophalen Folgen. Aus Sicht der Unfallforschung fallen zwei Punkte auf: die Stabilität der Fahrgastzelle und das Anschnallverhalten in Bussen.

Wie genau ist die Anschnallpflicht in Bussen geregelt und wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Brockmann: In ganz Europa müssen Busse mit Gurten ausgerüstet sein, und man muss sie auch benutzen. Leider nutzen viel zu wenige Passagiere den Gurt. Der Busfahrer kontrolliert das nicht und kann es während der Fahrt auch gar nicht. Gurte sind aber überlebenswichtig. Nicht nur beim Frontalaufprall, sondern gerade auch beim Überschlag. Viele schwere Verletzungen kommen daher, dass die Passagiere durch den Innenraum geschleudert werden. Es ist also weniger der Gesetzgeber gefragt, als vielmehr die Verkehrssicherheitsinstitutionen und die Busunternehmer, hier das entsprechende Bewusstsein zu schaffen.

Sie haben auch die Stabilität der Fahrgastzelle angesprochen…

Brockmann: Hier haben wir eine ganz gute Norm, die bei einfachen Überschlägen einen Überlebensraum sichern hilft. In Szenarien wie diesen, wo beispielsweise ein Hausdach in den Innenraum eindringt und der Sturz tief ist, reicht das natürlich nicht. Aber wir können Busse nicht auf diese Extremszenarien hin konstruieren, das wären dann Panzer.

Grundsätzlich: Wo liegen die Unfallschwerpunkte auf Busreisen?

Brockmann: Die meisten Unfälle sind Frontalkollisionen entweder als Auffahrunfall oder wenn ein Fahrzeug entgegenkommt. Der Überschlag, wie hier, macht weniger als zehn Prozent der Unfälle aus. Die meisten Getöteten und Verletzten waren in den vergangenen Jahren zu beklagen, wenn ein Bus, mit oder ohne Unfall, Feuer fing. Hier gibt es noch einigen Verbesserungsbedarf, über den zur Zeit auch diskutiert wird.

Neue Reisebusse müssen seit November 2015 mit einem Notbremssystem ausgerüstet sein, um Auffahrunfälle zu vermeiden. Ihre Meinung dazu?

Brockmann: Der bisher vorgeschriebene Notbremsassistent reicht nicht aus – er muss den Bus vor einem Stauende nur von 80 auf 60 Stundenkilometer herunterbremsen können. Inzwischen ist es aber technisch schon möglich, den Bus vor dem Stauende vollends zum Stehen zu bringen. Die Vorschriften sollten daher möglichst schnell dem neuen Stand der Technik angepasst werden. Das hätte aber natürlich bei diesem Unfall nicht geholfen.

Foto: GDV

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