Vertrieb: Vorhandenes Potenzial nutzen statt verschenken

Die Suche nach neuen Verkäufern wird immer mehr zur Herausforderung, die Zeit und vor allem Geld kostet. Ob das tatsächlich sein muss, ist fraglich. Wie sich die im Unternehmen befindliche Expertise optimal einsetzen lässt. Die Limbeck-Kolumne 

Martin Limbeck

 

„Da fehlt unseren Nachwuchskräften einfach die Erfahrung … Am besten buchen wir ihnen einen Trainer, damit sie lernen, dem Kunden gegenüber selbstbewusster aufzutreten und Einwände gezielt zu entkräften …“ Gerade in der Finanz- und Versicherungsbranche sehen sich Unternehmen heute vor einer schwerwiegenden Herausforderung: Immer mehr alteingesessene Verkäufer verabschieden sich in den Ruhestand, während in Zeiten des Fachkräftemangels junge Verkaufstalente verzweifelt gesucht werden. Und sind neue Mitarbeiter gefunden, müssen Unternehmen erst einmal viel Geld und Zeit investieren, um die neuen Kräfte „fit“ zu machen. Doch ist das wirklich nötig? Aus meiner Sicht vernachlässigen viele Unternehmen ein unglaublich wertvolles Gut: das Know-how, das sich bereits in der Company befindet!

Wie viel Know-how steckt in Ihrem Vertriebsteam?

Eigentlich ist es doch völlig logisch: Ein Verkäufer, der 20 Jahre bei einer Versicherung gearbeitet hat, verfügt über einen riesigen Wissensschatz. Er hat in der Zeit eine Vielzahl an Produkten kommen und gehen sehen, hat mitbekommen, wie sich die Bedürfnisse der Kunden geändert haben und weiß bestens über den Markt und verschiedene Wettbewerber Bescheid. Wahrscheinlich könnte er auch für jeden Kundentypus eigene Erfolgsstrategien benennen. Der Haken an der Sache: Keiner fragt danach. Großartige Mitarbeiter gehen in Rente, Spitzenverkäufer wechseln nach ein paar Jahren zum Wettbewerb – und nehmen ihr ganzes Know-how mit. An dieser Stelle kann ich nur eine Frage stellen: Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute doch so nah liegt?

Natürlich sind Weiterbildungen wichtig und richtig. Gerade, weil wir uns in einer extrem volatilen Zeit befinden. Der Markt verändert sich ständig, die Digitalisierung hat den Verkauf branchenübergreifend bereits ziemlich durcheinandergewirbelt und auch die Kunden ticken anders als früher. Doch in vielen Salesteams liegt eine Wissensbibliothek verborgen, die bereits viele Fragen klären und dafür sorgen könnte, dass die Abschlusszahlen wieder steigen. Viele Verkäufer gehen davon aus, dass sie einfach intuitiv handeln, wenn sie mit einem Kunden über eine individuell passende Altersvorsorge sprechen oder Möglichkeiten der Hausfinanzierung aufzeigen. Doch dieses Handeln aus dem Bauch heraus ist bloß das Ergebnis eines jahrelangen Prozesses, in dem Fachkompetenzen, berufliches Know-how, Stärken, Talente und Erfahrungen einen individuellen Wissensspeicher haben entstehen lassen.

Gemeinsam statt gegeneinander

Die größte Herausforderung besteht erst einmal darin, Ihre Mitarbeiter dazu zu bringen, ihr Wissen zu teilen. Denn in einer Welt, in der sich alles um Kennzahlen, Umsatzziele und Auftragsvolumen dreht, ist sich oft jeder erst mal selbst der nächste. Will heißen: Vertriebsführungskräfte müssen dafür sorgen, dass innerhalb ihres Teams nicht mehr „Kampf bis aufs Blut“ angesagt ist, sondern es stattdessen gelingt, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem es Raum für Vertrauen, Kooperation und Lernbereitschaft gibt. Lassen Sie Ihre Leute spüren, dass es von Vorteil ist, sich miteinander auszutauschen – und dass die Weitergabe von Wissen keinesfalls mit einem „Machtverlust“ verbunden ist.

Für den Anfang rate ich Ihnen dazu, Ihre Vertriebler zu einem informellen Austausch von Wissen, Know-how und Erfahrungen zu ermuntern. Sei es in kurzen Gesprächen zu zweit oder in kleinen Gruppen, per E-Mail, Office-Messenger oder in einer gemeinsamen Facebook- oder XING-Gruppe. Möglichkeiten zum Austausch gibt es genug. Sie müssen nur den Anstoß liefern! Am besten also, wenn Sie auch mit gutem Beispiel vorangehen und Ihr Team ebenfalls regelmäßig mit Informationen versorgen. Auch hier gibt es viele Möglichkeiten: Stellen Sie Ihren Leuten regelmäßig Fachartikel, Studien oder Links zu spannenden Berichten zur Verfügung, die Marktentwicklungen in der Finanz- und Versicherungsdienstleistung thematisieren, Wettbewerber porträtieren etc. Oder abonnieren Sie einen externen Vertriebsnewsletter mit weiteren Inhalten, von denen auch Ihre Mitarbeiter in ihrer Arbeit profitieren.

Erstellung einer Wissensdatenbank

Um das Wissen jedoch zu bündeln, zu systematisieren und vor allem archivierbar zu machen, empfiehlt es sich, eine Datenbank anzulegen. So bleibt auch das Wissen von Mitarbeitern erhalten, die aus dem Unternehmen ausscheiden. Hierzu lege ich Ihnen folgende Vorgehensweise ans Herz:

1.     Wissensbereiche identifizieren: Welcher Mitarbeiter verfügt über Know-how in welchem Feld, wer hat Erfahrungen mit bestimmten Spezialthemen? Wer kennt sich besonders gut mit Wettbewerber A oder B aus, wer hat ein umfassendes Branchenwissen? Hier bietet es sich an, eine Excel-Tabelle zu erstellen, in die Keywords dem jeweiligen Mitarbeiter zugeordnet werden.

2.     Abgleichen: Setzen Sie sich mit Ihrem Team zusammen und überprüfen Sie, ob Stichwörter fehlen und welche Themen sich ggf. bündeln lassen. Positiver Nebeneffekt: So binden Sie alle Leute mit ein und begeistern Sie idealerweise für die Idee. Denn eine Datenbank macht nur dann Sinn, wenn sie auch kontinuierlich befüllt und gepflegt wird.

3.     Befüllen: Legen Sie fest, wer was bis wann und in welcher Form liefert. Je nach Inhalt könnten Formulare sinnvoll sein, Argumentationsmuster für bestimmte Produkte, Gesprächsleitfäden für verschiedene Situationen, Fotodokumentationen von Vorträgen und Präsentationen und so weiter. Eventuell bieten sich auch kleine Übungen an, die der zuständige Mitarbeiter selbst entwickelt oder er vermittelt bestimmte Wissensnudgets selbst an seine Kollegen in Form eines Kurztrainings. Möglichkeiten gibt es viele – schauen Sie über den Tellerrand hinaus und nutzen Sie On- wie Offline-Weiterbildungskonzepte! Natürlich hängt die Aufbereitungsform auch davon ab, welches Budget und welchen Freiraum Sie Ihrer Mannschaft für die Mission Wissensdatenbank zur Verfügung stellen.

4.     Technische Infrastruktur: Wo sollen die Inhalte abgespeichert werden? Im Intranet, in einem Wiki oder in einer Cloud? Es gibt Lösungen, die speziell auf die Bedürfnisse von Vertriebsorganisationen zugeschnitten sind. Damit arbeiten Ihre Mitarbeiter an gemeinsamen Projekten, erstellen zusammen Dokumente, suchen gezielt Kontakte zu bestimmten Themen, kommunizieren mit Kollegen standortunabhängig in Echtzeit etc. Berücksichtigen Sie auch Lösungen, die eventuell schon in Ihrem Unternehmen vorhanden sind, und prüfen Sie, wie Sie die Vertriebsinhalte dort integrieren.

Und auch, wenn es eigentlich selbstverständlich sein sollte: Als Vertriebsführungskraft gehen Sie natürlich auch hier mit gutem Beispiel voran und steuern idealerweise als Erster etwas zur Datenbank hinzu. Nicht, dass Ihre Leute auf die Idee kommen, dass Sie sich nur an der Schwarmintelligenz bereichern wollen.

Autor Martin Limbeck ist Inhaber der Limbeck® Group, einer der führenden Experten zum Thema Blended Learning und Entwicklung von Lernkonzepten für Unternehmen, sowie einer der meistgefragten und renommiertesten Business-Speaker und Verkaufsspezialisten auf internationaler Ebene. Für seine innovativen und nachhaltigen Angebote wie den LOOP-Prozess® und die Martin Limbeck® Online Academy wurde Martin Limbeck unter anderem mit dem Großen Preis des Mittelstandes der Oskar-Patzelt-Stiftung und dem Siegel „Wirtschaftsmagnet“ ausgezeichnet. Darüber hinaus erhielt die Limbeck® Group die Auszeichnung „Beste Arbeitgeber in NRW 2019“ von Great Place to Work®. Mehr Informationen auf www.martinlimbeck.de und www.limbeckgroup.com.

Foto: Philipp Reichwein

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