EXKLUSIV

„Active ETFs sind im Interesse der Kunden“

Foto: Florian Sonntag
Die Diskussionteilnehmer von links: Dr. Frank Ulbricht, Vorstand BCA AG; Chris Holzheu, Xtrackers Sales Specialist, CESGA® Discretionary Portfolio & Fund Managers, Germany, DWS International; Loreno Ferrari, CIIA, Leiter Produkte, Bellevue Asset Management; Tim Breitbach, Head of ETF Distribution D/A/CH, Fidelity International

Aktive ETFs gelten als das neue Bindeglied zwischen passivem Investieren und aktivem Management. Doch die Branche ist gespalten: Für die einen sind sie die nächste Evolutionsstufe des Fondsmarkts – für die anderen schlicht „alter Wein in neuen Schläuchen“. Drei Investmenthäuser und ein Maklerpool diskutieren, ob Active ETFs wirklich ein neues Kapitel im Vertrieb aufschlagen – oder nur eine neue Verpackung bekannter Konzepte sind.

Herr Holzheu, Sie sind mit Xtrackers führend im Bereich passiver ETFs. Welche strategische Bedeutung haben Active ETFs in diesem Kontext für Sie?

Holzheu: Active ETFs sind noch relativ neu am Markt. Auch wir machen hier erst die ersten Schritte, gehen aber langfristig davon aus, dass der Bedarf steigen wird. Auf der passiven Seite sind wir Vollsortimenter, wir haben nahezu alles auf der Plattform. Dasselbe gilt für die klassische aktive Fondsseite. Wir wollten also unsere Erfahrung in beiden Bereichen kombinieren. Entsprechend sind wir mit ersten Strategien auf europäischer, US- und globaler Basis gestartet und werden das Angebot schrittweise ausbauen.

Herr Ferrari, Bellevue ist bekannt für spezialisierte Themenfonds – insbesondere im Healthcare-Bereich. Welche Rolle spielt das Thema Active ETF in Ihrer Produktstrategie?

Ferrari: Wir haben im September unseren ersten Active ETF lanciert. Der Gesundheitssektor zählt zu den Bereichen mit den größten Renditebandbreiten – sowohl nach oben als auch nach unten. Diese hohe Streuung eröffnet Alpha-Potenzial und ist eine ideale Grundlage für aktives Management. Darum haben wir uns entschieden, das Thema im Rahmen eines Active ETF umzusetzen und so an den Markt zu bringen.

Herr Breitbach, Fidelity steht für aktives Stock-Picking. Was hat Sie bewogen, dieses Konzept in eine ETF-Hülle zu übertragen?

Breitbach: Wir haben mit aktiven ETFs bereits vor über fünf Jahren begonnen und verfügen durch die Zusammenarbeit mit Fidelity Investments in den USA über mehr als zehn Jahre Erfahrung in diesem Segment. Für uns stand früh fest, dass wir den klassischen passiven ETF-Weg nicht gehen. Der Zug war aus unserer Sicht abgefahren. Unsere Frage war: Wie können wir Anlegern Zugang zu unserem Research – also zu unserer Kernkompetenz, dem aktiven Management – in einem günstigeren Format ermöglichen? Die Antwort war: durch den ETF-Wrapper.

Herr Dr. Ulbricht,  Sie haben  den direkten Draht zu den freien Beratern – wie wird das Thema dort aufgenommen?

Ulbricht: Das Thema ETF – also passives Investieren – hat ja auch einige Jahre gebraucht, um sich in der Vermittlerschaft durchzusetzen. Ich denke, bei Active ETFs wird es ähnlich sein. Wir liegen derzeit im Bestand bei rund zehn Prozent ETF-Anteil über alle Fonds, die unsere Vermittler betreuen. Das Wachstum ist sehr dynamisch – was wir begrüßen, weil es häufig mit neuen Service- und Gebührenmodellen einhergeht. Gerade mit Blick auf das immer wieder diskutierte Provisionsverbot ist das eine interessante Entwicklung. Ich denke, Active ETFs werden ebenfalls Zeit brauchen, bis sie sich etablieren. Anfangs ist das erklärungsbedürftig – das gehört dazu.

Active ETFs sollen ja passiv und aktiv vereinen – also das Beste aus beiden Welten. Sind sie aus Vertriebssicht eher Ersatzprodukte für Anleger, die klassischen Fonds misstrauen, oder eine echte Ergänzung?

Breitbach: Ich sehe Active ETFs nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung. Wir sehen in allen Zielgruppen Bedarf – bei professionellen Dachfondsmanagern etwa, die Produkte suchen, die ein gewisses Alpha bieten, aber gleichzeitig Benchmark-nah bleiben. Auch im Privatkundensegment gibt es Anleger, die aktivem Management vertrauen, aber die Gesamtkosten senken möchten. Und dann gibt es den Selbstentscheider, der merkt, dass sein MSCI World zu 70 Prozent aus den USA und zu 30 Prozent aus sieben Titeln besteht – er sucht nach einer diversifizierteren Lösung. Active ETFs können diese Lücke schließen.

Ferrari: Wir betrachten Active ETFs ebenfalls als Ergänzung. Nicht jeder Anleger braucht beispielsweise die tägliche Handelbarkeit von ETFs. Es gibt, gerade im Gesundheitssektor, viele Investoren mit langfristigem Anlagehorizont, die mit traditionellen Fonds gut bedient sind. Aber Banken müssen sich neu aufstellen – digitale und ETF-basierte Vermögensverwaltungen, ETF-Sparpläne, Robo-Advisor – dort ist der ETF-Mantel größtenteils Pflicht. Wer ihn nicht anbietet, ist praktisch ausgeschlossen.

Spüren Sie einen Paradigmenwechsel? Neue Zielgruppen, neue Vertriebskanäle?

Breitbach: Ein Paradigmenwechsel wäre zu viel gesagt. Der Markt liegt bei rund 85 Milliarden Euro – in einem 3-Billionen-ETF-Markt. Die Wachstumsraten sind beeindruckend, aber die Mittel kommen meist aus Umschichtungen, nicht aus neuem Kapital.

Holzheu: Dem stimme ich zu. Der Markt ist jung, aber wächst solide. Interessant ist: 2024 wurden weltweit mehr aktive ETFs als passive aufgelegt. Das zeigt, dass ein Bedarf da ist. Zwei, drei Jahre sind in der Finanzbranche allerdings kurz. In fünf bis sechs Jahren könnten wir vielleicht tatsächlich von einem Wandel sprechen.

Ferrari: Ein Blick in die USA zeigt: Dort liegt der Anteil aktiver ETFs bei acht bis neun Prozent, bei uns bei zwei bis drei. Das zeigt, wohin die Reise gehen kann. Die hohen Wachstumsraten darf man nicht überbewerten – sie spiegeln meist einen jungen Markt wider. Wir stehen noch am Anfang.

Ulbricht: Aber immerhin ein dynamischer Anfang! Wenn man zurückblickt, hat es bei ETFs lange gedauert, bis Asset Manager das Thema ernst genommen haben. Diesmal will keiner die Entwicklung verschlafen. Für mich heißt es, Paradigmenwechsel – nein, Ergänzung – ja. Wir sehen keine Umschichtungen aus aktiven Fonds, sondern dass Neugeld – etwa aus fälligen Lebensversicherungen oder Hausverkäufen – in ETFs fließt.

Welche Kundengruppen greifen derzeit zu aktiven ETFs? Und sind die Vermittler schon bereit, diese Produkte zu beraten und zu vertreiben?

Holzheu: Bei uns kommt die stärkste Nachfrage von diskretionären Portfolio-Managern und Dachfondsmanagern. Sie suchen Enhanced-Strategien – also leichte Outperformance auf Core-Investments. Bei passiven ETFs ist die Kostenschraube fast ausgereizt. Professionelle Investoren kennen die Strategien und die Manager – sie können sie schnell einordnen. Bei Selbstentscheidern hingegen herrscht noch Zurückhaltung: „Active ETF“ oder „Enhanced“ klingt für viele erklärungsbedürftig.

Ferrari: Zumal „Active“ häufig gar nicht im Namen steht. Wir wollten uns bewusst nicht abgrenzen, sondern den gesamten ETF-Markt adressieren. Wer durch geschicktes Management nachhaltig Mehrrendite erzielt, kann auch mit passiven ETFs konkurrieren. Allerdings: Viele Anleger setzen ETF gleich mit „passiv“. Im Wholesale- und Bankensegment besteht daher erheblicher Aufklärungsbedarf.

Breitbach: Das größte Potenzial liegt aus meiner Sicht beim Endkunden. Das ETF-Wachstum wird stark von Selbstentscheidern über digitale Kanäle getragen – genau diese Dynamik fehlt bei aktiven ETFs noch. Hier müssen Vermittler erklären: Ein „Research Enhanced US Equity ETF“ wird nicht jeden Monat besser als der Index laufen. Das Verständnis dafür ist zentral.

Ulbricht: Ich sehe zunächst Potenzial in Vermögensverwaltungsstrategien. Wir haben rund 90 solcher Strategien, in denen Berater eigene Modelle fahren. In der Einzelberatung wird es länger dauern – wahrscheinlich eher bei jüngeren, digitalaffinen Kunden beginnen.

Welche Rolle spielt das Thema Schulung?

Ulbricht: Die Kundschaft verändert sich: Die nächste Generation tritt an. Sie erwartet moderne Anlageformen. Unsere Aufgabe ist es, die Makler vorzubereiten – mit Produktwissen und Education. Wir arbeiten mit den Häusern zusammen, um das Thema sowohl produkt- als auch bildungsseitig zu begleiten.

Breitbach: Fidelity ist stark im  Wholesale-Segment. Wir arbeiten eng mit Genossenschaftsbanken, Sparkassen und Maklerpools. Schulung und Wissenstransfer gehören zum Kerngeschäft. So bringen wir das Thema Active ETF direkt in die Strukturen.

Ferrari: Auch bei Bellevue setzen wir auf Webinare – sowohl inhaltlich als auch technisch. Unser Produktspektrum ist breit, von Publikumsfonds über geschlossenen Strukturen bis zu Mandaten. Da ist Aufklärungsarbeit Pflicht. ETFs sind dankbar, weil sie als demokratisiertes Investment gelten. Aber das Thema Active ETF erfordert auch Erklärung, welche wir sowohl an Präsenzveranstaltungen als auch im Rahmen von digitalen Formaten anbieten. 

Holzheu: Bei uns steigt das Interesse spürbar. Kunden fragen aktiv nach Informationen. Besonders gefragt ist die Abgrenzung zu passiven ETFs und klassisch aktiven Fonds: Ist es derselbe Fonds im neuen Mantel oder etwas völlig anderes? Wir bieten Due-Diligence-Gespräche, Seminare und Webinare an. Seit Auflegung unserer ersten Fonds hatten wir in Deutschland mehrere gut besuchte Veranstaltungen. Das Interesse an der klaren Abgrenzung zwischen klassisch aktiv, passiv und enhanced ist groß.

Worin besteht der Mehrwert eines Active ETF – etwa im Vergleich zu Smart-Beta-Produkten? Und lässt sich das im Beratungsgespräch wirklich vermitteln?

Breitbach: Anleger sind heute gut informiert. ETFs, die groß werden, funktionieren oder liefern Mehrwert. Aktive ETFs können diesen Mehrwert erzeugen – in Form von Alpha, das allerdings in beide Richtungen wirken kann. Unsere Aufgabe im Vertrieb ist es, Kunden auf diese Chancen hinzuweisen. Der aktive ETF bietet kostengünstigen Zugang zu aktivem Research – das ist sein Kernnutzen.

Holzheu: Neben dem Alpha sind Kosten und Handelbarkeit entscheidend. Aktive ETFs sind oft günstiger als klassische Fonds und börslich handelbar. Das ist vor allem für digitale Vermögensverwaltungen attraktiv. Man profitiert von Transparenz, Flexibilität und Kostenvorteilen – und kann zusätzlich Alphapotenziale ins Portfolio holen.

Ferrari: Im Sektorbereich – etwa Healthcare – spielen aktive ETFs ebenfalls eine Rolle. Sie haben das Potenzial, schlecht performende Fonds zu verdrängen. Wer benchmarknah investiert, aber hohe Gebühren verlangt, wird es schwer haben. Mit einem aktiven ETF lässt sich zu einem fairen Preis eine Mehrrendite erzielen – mit moderatem Risiko. Im Healthcare-Sektor lagen die jährlichen Renditen (in EUR) der letzten zehn Jahre bei etwa acht Prozent. Mit aktiver Steuerung kann man neun bis zehn Prozent erreichen. Über den Zinseszinseffekt ist diese Mehrrendite langfristig nicht zu unterschätzen.

Ulbricht: Das ist die Aufgabe des Beraters – herauszufiltern, was ins Portfolio passt. Viele Portfolios liefen gut, weil die Märkte stark waren. Aber in der Tiefe sieht man Lücken: Rentenverluste, Währungsrisiken. Da helfen gezielte Performance-Pusher wie Active ETFs – wenn sie in die Struktur passen.

Active ETFs sind oft technisch und komplex. Wie vermittelt man sie, wenn schon die Produktnamen extrem lang sind?

Breitbach: Die langen Namen sind meist regulatorisch bedingt – UCITS verlangt, dass Fondsgesellschaft und Management klar erkennbar sind. Begriffe wie „Research Enhanced“ haben sich etabliert. Berater wissen, was das bedeutet: ein benchmarknahes, systematisch optimiertes Produkt. Das Konzept ist angekommen.

Holzheu: Auch aktive Fonds heißen oft kryptisch. Ein „DWS Concept Kaldemorgen“ erklärt sich auch nicht von selbst. Bei ETFs ist es ähnlich: Man will transparent, aber regelkonform sein. Die Aufklärung liegt beim Vertrieb – der muss die Namen mit Inhalt füllen.

Ulbricht: Wir unterstützen das über Fondsempfehlungslisten, Research und technische Tools. Unsere Berater sehen, was hinter einem Produkt steckt. Das ist ein wichtiger Teil der Aufklärungsarbeit.

Active ETFs sind noch jung am Markt. Gibt es bereits bestimmte Narrative, die sich im Vertrieb oder in der Kommunikation als besonders wirksam erweisen?

Breitbach: Das stärkste Narrativ ist, dass Active ETFs im Interesse des Kunden sind. Viele klassische Publikumsfonds sind „Benchmark-Schmuser“ – sie verlangen hohe Gebühren, ohne nennenswert bessere Performance zu liefern. Research-Enhanced-Strategien setzen genau dort an: Sie liegen benchmarknah, bieten aber systematisch erzielte Mehrwerte – und das zu geringeren Kosten. Die Modelle sind quantitativ, regelbasiert und transparent, nicht Bauchgefühl. Das ist ein klarer Kundenvorteil – egal ob über Dachfonds, Vermögensverwalter oder Berater.

Kommen wir zum Thema Vergütung. ETFs galten ja lange als „nicht vertriebsfähig“, weil die Margen zu niedrig sind. Active ETFs sind zwar etwas teurer, aber immer noch deutlich unter einem Prozent. Wie attraktiv ist das aus Vertriebssicht?

Ferrari: Schwer pauschal zu sagen. Es gibt noch viele Kunden, die am Provisionsmodell festhalten – und solange die Performance stimmt, akzeptieren sie das. Aber wir müssen uns zumindest damit auseinandersetzen, dass Regulierung die Provisionslandschaft verändern kann. Das Thema Vergütungsstrukturen wird uns noch beschäftigen. Active ETFs können hier eine Brücke sein, weil sie transparente, kostenbewusste Produkte sind.

Breitbach: Ich sehe das ähnlich, würde es aber anders gewichten. Ein Active ETF kann helfen, abwanderungswillige Kunden zu halten. Wer sich mit Finanzen beschäftigt, stößt zwangsläufig auf ETFs. Die Frage ist: Wie bleibt Beratung relevant, wenn der Kunde sich selbst helfen kann? Ein Active ETF bietet dem Berater Gesprächsstoff und Mehrwert – er kann erklären, was hinter „Research Enhanced“ steckt, welche Chancen bestehen. Das schafft Kundenbindung.

Holzheu: Viele Berater sehen den Active ETF als Baustein – nicht als Ersatz. Er wird häufig in Core-Strategien eingesetzt, um das Risiko-Rendite-Profil zu verändern. Es geht also nicht um Entweder-oder, sondern um intelligente Kombination. 

Ulbricht: Natürlich gilt: Wo mehr Chance ist, ist auch mehr Risiko – und meist auch etwas mehr Kosten. Das muss man offen kommunizieren. Aber Beratung hat ihren Preis, das ist normal. In der Vermögensverwaltung wird das über Managementgebühren geregelt – dort werden wir auch zuerst mehr aktive ETFs sehen.

Wie wichtig ist das Plattformgeschäft – also die Listung auf Online-Plattformen und bei Direktbanken?

Ferrari: Sehr wichtig für die Sichtbarkeit, es ist aber kein Selbstläufer. Allein die Listung kostet meistens schon Geld. Man muss abwägen, wo sich Zielgruppen wirklich bewegen und diese mit relevanten Informationen versorgen. Wir setzen dabei auf gezielte Partnerschaften, Webinare oder sehr ausgewählte Formate – nicht auf Masse. 

Breitbach: Wir sind auf vielen Plattformen vertreten. Aber der typische Online-Kunde achtet stark auf Kosten. Wenn Depot und Sparplan kostenlos sind, sucht er den billigsten ETF. Darum braucht es strategische Kooperationen, um Sichtbarkeit und Nutzen zu kombinieren.

Holzheu: Genau. Präsenz auf Plattformen ist wichtig, aber Nachfrage entsteht nicht automatisch. Ganz oben stehen MSCI World und S&P 500 für wenige Basispunkte. Ein 25-Basispunkte-ETF braucht Erklärung und Positionierung. Deshalb arbeiten wir eng mit Partnern zusammen, um Nachfrage und Verständnis zu schaffen.

Ulbricht: Im Vermittlermarkt zählt die Erreichbarkeit und Unterstützung der Produktgesellschaft. Persönlicher Kontakt, Vorträge, Schulungen – das macht den Unterschied. Viele Produkte sind ähnlich gut, aber der Service entscheidet.

Wie entstehen bei BCA Themen wie Active ETFs – kommt der Impuls eher von Maklern oder von Anbietern?

Ulbricht: Beides. Wir spüren Nachfrage, spielen das Thema aber bewusst ruhig an. Noch läuft es nebenher, aber das wird sich ändern. In unseren Kooperationen mit den Häusern spielt es schon eine Rolle – vor allem im Vermögensverwalter-Segment. In der klassischen Maklerberatung dauert es etwas länger.

Wo steht der Markt aktuell? Wie groß ist das Volumen der Active ETFs im Vergleich zu den klassischen ETFs?

Breitbach: Der Markt liegt bei rund 85 Milliarden Euro, bei einem Gesamtvolumen von etwa 3.100 Milliarden. Also noch klein – aber mit starkem Wachstum. Ich erinnere mich, als ich vor 13 Jahren anfing – damals gab es in Deutschland gerade eine ETF-Marke, die zur Commerzbank gehörte. Heute fließen jährlich fast 300 Milliarden Euro in ETFs. Der Active-ETF-Markt wächst von kleiner Basis, aber mit etwa 35 Prozent jährlich – das ist beachtlich. Entscheidend wird sein, dass die Produkte groß genug werden, um institutionell investierbar zu sein.

Ulbricht: Wir sehen das auch: Im BCA-Bestand liegt der Anteil aktiver ETFs bei drei bis vier Prozent vom gesamten ETF-Bestand – konzentriert auf Makler mit Vermögensverwaltungen. Der Rest beobachtet das Thema noch, aber es wird kommen.

Breitbach: In den USA liegt der Anteil bei rund zehn Prozent – dort gibt es steuerliche Vorteile. In Europa wird die Entwicklung durch neue Transparenzregeln der irischen Aufsicht beschleunigt. Damit können künftig Strategien in ETF-Form umgesetzt werden, die bisher nur als Fonds existierten – etwa Sektor- oder Nischenstrategien.

Welche Märkte eignen sich besonders für Active ETFs?

Holzheu: Grundsätzlich alles, was liquide ist. Illiquide Assets – etwa Immobilienfonds – sind ungeeignet. Entscheidend ist die Präferenz des Investors: Wer Transparenz und Handelbarkeit schätzt, greift zum ETF. Wir sehen aktuell vor allem globale, US- und Europa-Strategien. Aber technisch ließe sich das Format auf viele Bereiche ausweiten.

Ferrari: Für uns eröffnet das einen neuen Zugang zu Kundensegmenten. Einige klassische Fonds sind schlicht zu teuer geworden. Mit einem Active ETF lässt sich dieselbe Strategie günstiger anbieten – das öffnet Türen, gerade im Retail-Bereich. Mehr Wettbewerb, mehr Vielfalt, geringere Kosten – der Kunde profitiert.

Wie praktikabel ist aktives Management bei großen Indizes wie dem MSCI World?

Breitbach: Unsere Research-Enhanced-Strategien basieren auf Fundamentalanalyse. Wir decken etwa 85 bis 90 Prozent der Indexwerte ab – also rund 1.400 von 1.600 Titeln. Die restlichen 200 sind Kleinstpositionen. Auch klassische ETFs replizieren oft nicht vollständig, sondern mit „Optimized Sampling“. Unsere aktiven ETFs halten etwa 15 bis 20 Prozent der Indexwerte – gezielt dort, wo wir Chancen sehen.

Holzheu: Bei uns läuft das ähnlich. Unsere Modelle arbeiten mit einem Tracking-Error-Budget von 75 bis 150 Basispunkten. Ob 200 oder 400 Titel im Portfolio sind, spielt keine Rolle – entscheidend ist das Risiko-Rendite-Profil. Im Prinzip ist es dieselbe Methodik wie beim Sampling – nur eben aktiv gesteuert.

Ferrari: Im Healthcare-Sektor zeigt sich das analog zu regionalen Indizes. Der MSCI World Healthcare hat derzeit 130 Titel, aber die 30 größten machen 75 Prozent der Marktkapitalisierung aus. Man braucht nicht alle, um den Sektor sinnvoll abzubilden.

Könnte KI künftig helfen, solche Prozesse zu verbessern?

Ferrari: Ja, in gewissem Umfang. KI kann große Datenmengen effizient durchsuchen, etwa Unternehmensberichte oder klinische Daten im Gesundheitsbereich. Aber die Interpretation bleibt entscheidend – da braucht es die Expertise von Menschen.

Breitbach: Ganz genau. Ich erinnere mich an den „New Energy“-Boom: Eine Eistee-Firma benannte sich in „Hydrogen“ um und landete plötzlich in Wasserstoff-Indizes – die Aktie verzehnfachte sich. Wenn man nur auf KI vertraut, passiert genau das. KI ist ein Werkzeug, kein Ersatz für Analyse.

Ulbricht: Da bin ich völlig bei Ihnen. KI kann unterstützen, aber nicht beurteilen.

Holzheu: Man kann KI für Datenaufbereitung nutzen, aber Entscheidungen müssen nachvollziehbar bleiben. Wenn eine KI zehn neue Titel kaufen würde, müsste man auch verstehen, warum. Solange das nicht transparent ist, bleibt der Mensch zentral.

Kommen wir zum Abschluss: Wie wird sich der Markt für Active ETFs in den nächsten fünf bis zehn Jahren entwickeln?

Holzheu: Ich bin optimistisch. Active ETFs werden passive nicht verdrängen, aber sie werden an Bedeutung gewinnen – besonders die Core-Strategien mit kontrolliertem Tracking Error. Immer mehr aktive Strategien werden in den ETF-Mantel übertragen – das treibt Wachstum. Beide Welten wachsen zusammen.

Ferrari: Ich sehe das genauso. Das Wachstum wird sich zwar abflachen, aber das Potenzial ist groß. Active ETFs werden vor allem jene Fonds verdrängen, die zu teuer sind und keinen echten Mehrwert liefern. Am Ende entscheidet die Netto-Rendite.

Breitbach: Ich sehe drei Treiber: Regulatorik – neue Transparenzregeln. Anbieter – immer mehr, auch erfahrene Häuser. Zeit – Anleger wollen Historie sehen. Erst wenn Strategien über mehrere Jahre funktionieren, werden sie dauerhaft angenommen.

Ulbricht: Active ETFs haben enormes Potenzial. Sie werden im Sog des gesamten ETF-Markts weiter wachsen – und die besten Strategien werden sich durchsetzen.

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