Altersvorsorgereform: Impulse für die private Vorsorge – und was die bAV jetzt erwarten darf

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Die Attraktivität der Privatvorsorge steigt - und die bAV?

Mit dem Referentenentwurf zur Reform der privaten Altersvorsorge legt das Bundesfinanzministerium weitreichende Änderungen vor, die ab 2027 gelten sollen. Das neue Altersvorsorgedepot, höhere Zulagen und ein vereinfachtes Verfahren verändern die dritte Säule – mit deutlichen Folgen für die betriebliche Altersversorgung. Welche Chancen und Brüche sich daraus ergeben, zeigt eine erste Analyse.

Mit dem neuen Altersvorsorgereformgesetz wagt das Bundesfinanzministerium einen großen Schritt zur „Revitalisierung“ der privaten Altersvorsorge. Nach Jahren der Stagnation – ähnlich wie in der bAV – soll ab 2027 ein modernes, kapitalmarktorientiertes System entstehen, das Sparen einfacher, attraktiver und digitaler macht. Der nun vorliegende Referentenentwurf deutet dabei nicht nur auf tiefgreifende Neuerungen in der privaten Vorsorge hin, sondern setzt zugleich wichtige Signale für die zweite Säule, die betriebliche Altersversorgung. Allerdings bleibt der Entwurf an zentralen Stellen hinter einem konsistenten Gesamtkonzept zurück, wie erste Analyse der WTW-Experten Hanne Borst und Dr. Michael Karst zeigt.

Neue Produktwelt mit weitreichenden Folgen

Kerninnovation ist das neue „Altersvorsorgedepot“, ein förderfähiges Depotmodell ohne Beitragsgarantie. Es ermöglicht eine breite Kapitalmarktanlage – ein Paradigmenwechsel nach Jahren garantielastiger Riester-Produkte. Ergänzend bleibt eine abgespeckte Garantievariante mit 80 oder 100 Prozent Beitragserhalt möglich. Für Orientierung soll ein standardisiertes Depot sorgen, das nur zwei Fonds nutzt, einen automatischen Lifecycle-Mechanismus enthält und einer Kostendeckelung von 1,5 Prozent unterliegt.

Das Zulagensystem wird zugleich grundlegend reformiert: Künftig greifen beitragsproportionale Zulagen von 30 beziehungsweise 20 Cent pro Spar-Euro sowie zusätzliche Förderungen für Kinder und junge Sparer. Der bislang komplexe Zusammenhang von Einkommen, Mindesteigenbeitrag und Günstigerprüfung wird deutlich entschlackt. Höhere Förderquoten sollen besonders Menschen mit geringer Sparfähigkeit zugutekommen.

Die private Vorsorge wird künftig strikt auf die Altersphase ab 65 fokussiert. Todesfall- und Berufsunfähigkeitsabsicherungen verschwinden aus dem Förderrahmen. Auch lebenslange Renten werden nicht mehr zwingend vorausgesetzt: Befristete Auszahlungspläne bis mindestens 85 Jahre sind zulässig – ein Bruch mit dem bisherigen Grundprinzip staatlich geförderter Langlebigkeitsabsicherung.

Die bAV im Schatten der Reform: Chancen und Widersprüche

Für die bAV bleibt der Zugang zur Förderung nach § 3 Nr. 63 EStG unverändert bestehen. Auch gelten die neuen Zulagen künftig für geförderte bAV-Modelle. Doch an entscheidenden Stellen schafft der Entwurf Unterschiede zwischen zweiter und dritter Säule – mit potenziell bremsender Wirkung auf die betriebliche Vorsorge.

So dürfen garantielose Modelle in der bAV ausschließlich im Rahmen des Sozialpartnermodells (SPM) umgesetzt werden, das nur tarifgebundenen Branchen offensteht und bisher in der Praxis kaum Fuß gefasst hat. Während in der privaten Säule künftig jeder Förderberechtigte ein garantiefreies Depot abschließen kann, bleibt die bAV damit strukturell eingeschränkt. WTW warnt vor einer „massiven Ungleichbehandlung“, die der angestrebten Ausweitung der bAV entgegensteht.


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Auch bei den Auszahlungsoptionen zeigt sich ein klarer Bruch: Während die private Vorsorge befristete Auszahlungspläne zulässt, gelten in der bAV weiterhin strengere Vorgaben zu Garantien und lebenslangen Leistungen. Gleichzeitig kann die bAV – anders als die neue private Vorsorge – weiterhin Hinterbliebenenleistungen einbinden, was für viele Arbeitnehmer ein relevantes Schutzbedürfnis erfüllt.

Modernisierung mit Licht und Schatten

WTW bewertet die Reform grundsätzlich positiv. Kapitalmarktnahe Lösungen, digitale Prozesse, überschaubare Produkte und höhere staatliche Förderung könnten tatsächlich einen neuen Impuls für private Vorsorge setzen. Vor allem junge Menschen und Haushalte mit geringem Einkommen könnten stärker profitieren als bisher.

Gleichzeitig weist WTW auf Risiken hin: Ohne verpflichtende Beratung könnten Sparer die Volatilität garantieloser Produkte unterschätzen. Zudem bleibt offen, wie tragfähig ein Altersvorsorgesystem ohne obligatorische Langlebigkeitsabsicherung langfristig ist.

Was jetzt für die bAV auf dem Spiel steht

Deutlich wird: Die Reform entfaltet ihren größtmöglichen Effekt nur dann, wenn die betriebliche Altersversorgung bewusst mitgedacht wird. Anders als die private Vorsorge erreicht die bAV auch jene Beschäftigten, die sonst kaum vorsorgen – etwa in kleinen Unternehmen, bei geringem Einkommen oder niedriger Finanzkompetenz. Eine breitere Öffnung kapitalmarktnaher geförderter Produkte für die bAV könnte hier einen entscheidenden Beitrag leisten.

Solange jedoch garantielose Modelle praktisch nur über das Tarifinstrument des Sozialpartnermodells möglich bleiben, droht die bAV im Vergleich zur privaten Vorsorge ins Hintertreffen zu geraten. WTW fordert daher Nachbesserungen, um Gleichbehandlung, konsequente Förderung und ein stimmiges Gesamtsystem der Altersvorsorge sicherzustellen.

Attraktivität der pAV steigt – die bAV sollte nicht zu kurz kommen

Das Altersvorsorgereformgesetz setzt wichtige Modernisierungsimpulse und stärkt die Attraktivität der privaten Vorsorge deutlich. Doch die bAV – als wichtigste zusätzliche Vorsorgeform für breite Bevölkerungsschichten – darf dabei nicht zu kurz kommen. Ob die Reform wirklich einen „Herbst der Veränderungen“ einleitet, hängt entscheidend davon ab, ob der Gesetzgeber die strukturellen Ungleichgewichte zwischen zweiter und dritter Säule noch ausräumt und die betriebliche Altersversorgung konsequent einbindet.

Die Bundesregierung plant, das Reformpaket noch im Dezember 2025 zu beschließen. Das neue Förderregime soll Anfang 2027 starten, einige Regelungen erst 2028. Eine Evaluierung im Jahr 2031 soll zeigen, ob die angestrebte Verbreitungswirkung erreicht wird.

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