Frau Avi-Tal, wo steht der bKV-Markt aktuell?
Avi-Tal: Der Markt steht an einem sehr guten Punkt – zumindest im Vergleich zum letzten Jahr. Laut bKV-Verband haben wir ein Plus von 44 Prozent verzeichnet. Natürlich kann man ketzerisch fragen: Prozent ist immer eine Frage des Ausgangswerts. Aber 2023 hatten wir bereits einen sehr starken Jahresstart, und dieses Jahr ist es sogar noch etwas mehr. Wir sprechen über etwa 56.000 Arbeitgeber und 2,5 Millionen versicherte Arbeitnehmer. Das ist inzwischen eine Größenordnung, die man ernst nehmen sollte und die als relevantes Benefit im Markt wahrgenommen wird. Die bKV ist an einem guten Punkt, aber lange noch nicht am Zenit. Ich sehe uns noch in einer Art Warmlaufphase. Da geht noch einiges. Die Durchdringung ist gering, die Nachfrage hoch – für den Vertrieb ist das ein regelrechtes Schlaraffenland.
Apropos Benefit – wird die bKV eher als „Nice-to-have“ oder als echter Wettbewerbsvorteil wahrgenommen, Herr Goldberg?
Goldberg: „Nice-to-have“ ist aus meiner Sicht die falsche Bezeichnung. Die bKV ist ein wachsender und immer wichtiger werdender Benefit, mit dem sich Arbeitgeber klar von anderen abheben können. In Zeiten, in denen wir – wie mein Kollege sagte – keinen reinen Fachkräftemangel, sondern einen generellen Arbeitskräftemangel in Deutschland haben, bietet die bKV die Möglichkeit, sich als Arbeitgeber klar zu positionieren und Mehrwert zu schaffen. Sie wird zudem zunehmend von Mitarbeitenden nachgefragt – beispielsweise in Bewerbungsgesprächen: „Welche Benefits bietet ihr?“ Gesunderhaltung, Präventionsmaßnahmen – all das kann ich als Argument ins Feld führen, wenn es um die bKV geht.
Frau Albers, wie beurteilen Sie den Markt?
Albers: Ich sehe es ähnlich. Die bKV ist weit mehr als ein „Nice-to-have“-Benefit. Die Gesundheit der Belegschaft zu erhalten und im Krankheitsfall da zu sein, wird für Arbeitgeber immer wichtiger. Als Versicherer bieten wir nicht nur das klassische Produkt, sondern auch zahlreiche Serviceleistungen, die ein betriebliches Gesundheitsmanagement sinnvoll ergänzen oder sogar ersetzen können. Im Vergleich zu anderen Benefits ist das etwas, womit sich Arbeitgeber klar abheben können.
Mehr als ein „Nice-to-have“-Benefit, Herr Gaedicke?
Gaedicke: Absolut – deutlich mehr. Aus meiner Sicht ist sie ein wichtiger Bestandteil des Benefits-Portfolios. Wenn man allein die massiv gestiegenen Fehlzeiten der letzten zwei Jahre betrachtet – durchschnittlich rund 20 Tage pro Mitarbeiter – wird die wirtschaftliche Relevanz schnell klar. Die bKV ins betriebliche Gesundheitsmanagement einzubetten, ist eine echte Chance, diese hohen Fehlzeiten zu reduzieren. Jeder vermiedene Fehltag bedeutet weniger Kosten und mehr Gewinn. Deshalb entwickelt sich die bKV so positiv.
Schauen wir auf den Vertrieb. Was sind aktuell die größten Herausforderungen, Herr Marquardt?
Marquardt: Wir haben ein sehr breites Produktportfolio am Markt, was für den Wettbewerb gut ist. Allerdings führen wir noch zu sehr eine produktbezogene Diskussion und zu wenig eine Prozessdiskussion – also darüber, wie gut und wie schnell die Versicherer ihre Themen abwickeln. Der Markt ist zwar aufstrebend, aber auch volatil. Neue Produkte und Veränderungen fordern den Vertrieb. Außerdem wird die bKV häufig noch als Kostenfaktor statt als Erfolgsfaktor gesehen. Wir sollten sie stärker als strategische Lösung positionieren – genau dort gehört die Diskussion hin.
Wie sehen Sie den Vertrieb, Frau Avi-Tal?
Avi-Tal: Ich stimme meinem Kollegen zu. Für Vermittler ist es eine Herausforderung, den Überblick zu behalten. Aus Sicht der Versicherer gilt es, den Fokus richtig zu setzen: zeitgemäße Produkte anzubieten und Prozesse langfristig stabil aufzustellen. Das erfordert Investitionen, die kurzfristig vielleicht nicht sichtbar sind, aber langfristig wirken. Eine weitere große Herausforderung im Maklermarkt ist nach wie vor die Aufklärung: Was ist eine bKV, was kann sie leisten, wie wird sie wahrgenommen und wie ordnet sie sich in eine Benefit-Landschaft ein? Die geringe Marktdurchdringung zeigt, dass hier noch viel Informationsarbeit nötig ist.
Die bKV ist ein People’s Business, dennoch spielt die Digitalisierung eine große Rolle. Herr Gaedicke, wie wichtig ist sie?
Gaedicke: Sie ist entscheidend. Oft fragen Arbeitgeber schon im ersten Gespräch, wie hoch der Verwaltungsaufwand ist. Smarte digitale Lösungen, mit denen sich Mitarbeitende schnell an- und abmelden oder Unterbrechungen erfassen lassen, schaffen Mehrwert ohne große Zusatzbelastung. Digitale Prozesse sind für mich der Schlüssel zum Erfolg einer bKV.
Wie sehen Sie das, Herr Goldberg?
Goldberg: Ich stimme zu. Heute ist es unverzichtbar, digital aufgestellt zu sein – sonst wird man weder bei Ausschreibungen noch im Vertrieb berücksichtigt. Neben der Administration sind auch digitale Leistungsanträge, KI-gestützte Prozesse und schnelle Regulierung wichtig. Wir arbeiten intensiv daran, eine hohe Digitalisierungsquote zu erreichen, um den Kunden den Benefit möglichst schnell zurückzugeben.
Wie ist Ihre Sicht, Frau Albers?
Albers: Digitalisierung ist zentral, weil wir unser Produkt erlebbar machen wollen. Das beginnt bei einfacher Zugänglichkeit und Administration – sowohl für Arbeitgeber als auch für Vermittler – und setzt sich fort, wenn Mitarbeitende die bKV nutzen. Schnelle, positive Nutzererlebnisse und einfache Apps zur Leistungseinreichung sind wichtig, um Hürden zu vermeiden. Digitalisierung ist für uns der Enabler, um gemeinsam mit dem Arbeitgeber langfristig erfolgreich zu sein.
Wie wichtig sind digitale Tools aus Ihrer Sicht, Herr Marquardt?
Marquardt: Sie sind unabdingbar. Sie müssen allen Beteiligten – Mitarbeitern, Arbeitgebern, Vermittlern – das Leben erleichtern und die zentrale Frage beantworten: „Wie viel Verwaltungsaufwand bedeutet das für uns?“ Besonders in der Bestandsverwaltung können digitale Tools hier entscheidend entlasten.
Kommen wir zur letzten Frage: Wie sieht die bKV in fünf Jahren aus?
Avi-Tal: Ich denke, sie wird sich bis dahin noch stärker etabliert und als relevanter Benefit verankert haben, der auf die Megatrends Gesundheit, Nachhaltigkeit und Digitalisierung einzahlt. Die Rolle von Services und Prozessen wird weiter zunehmen, insbesondere im Bereich mentaler Gesundheit, wo die bKV einen wichtigen Beitrag leisten kann.
Goldberg: Dem kann ich mich anschließen. Wichtig ist, dass die Beitragssituation stabil bleibt. Der Trend zu sinkenden Beiträgen zum Jahresende müsste gestoppt werden, um keine unterkalkulierten Produkte zu riskieren, die die Branche gefährden.
Marquardt: Im Jahr 2030 wird die bKV so selbstverständlich zur Arbeitgeberpositionierung gehören wie heute WLAN. Es wird digitale Kundencockpits geben, in denen Mitarbeitende zentral alle Leistungen, Anträge und Services finden. Der Budgetgedanke wird sich weiterentwickeln, und wir werden echte Schnittstellen zwischen Verwaltungsportalen, Versicherern und HR-Systemen sehen. Wünschenswert ist zudem eine steuerrechtliche Anpassung, die die bKV als investierende Mitgliedschaft und nicht als Sachbezug einstuft.
Albers: Der Trend zur mentalen Gesundheit wird weiter an Bedeutung gewinnen. Die bKV kann helfen, psychische Erkrankungen vorzubeugen oder im Ernstfall schnell zu unterstützen. Technologische Entwicklungen werden die Administration weiter vereinfachen und die Attraktivität steigern. Angesichts einer vermutlich weniger positiven wirtschaftlichen Entwicklung und der Überlastung der Sozialsysteme wird die bKV als Ergänzung zur GKV noch wichtiger werden.
Gaedicke: Ich bin überzeugt, dass wir in fünf Jahren die bKV als feste dritte Säule im Gesundheitswesen etabliert haben – mit passenden steuer- und arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen. Sie wird privilegierte Arztzugänge und hochwertige Gesundheitsservices bieten und Arbeitgeber bei der Bewältigung personalpolitischer Herausforderungen unterstützen. Wenn wir in fünf Jahren wieder zusammensitzen, werden wir einen deutlichen weiteren Entwicklungsschub festgestellt haben.