Die Halver-Kolumne: China und die deutsche Wirtschaft: Von Völlerei zur Unterernährung?

Robert Halver
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Robert Halver, Baader Bank

In Deutschland droht angesichts fehlender Alternativen wirtschaftlich Schmalhans zum neuen Küchenmeister zu werden.

China war für Deutschlands Wirtschaft lange das, was für die Made der Speck ist. Doch da sich die Kalorienzufuhr aus China auch aus geopolitischen Gründen immer mehr reduziert, wird uns die extreme Abhängigkeit vom chinesischen Schlaraffenland erst bewusst. Für alternative Ernährungsquellen steht Amerika leider nicht mehr zur Verfügung.

An Stelle des großen US-Marktplatzes, der uns zuletzt durch Old McDonald‘s Handelskapriolen weniger zugänglich war, galt China als perfekter Ersatz mit gleich zweifachem Trump(f). Es verfügte über den weltgrößten Absatzmarkt und dort ließ sich auch noch zu sensationell günstigen Produktionskosten outsourcen. China hat uns zum Industrie-Weltmeister gemacht, was auch dem deutschen Wohlstand zugutekam. Die Objekte der Konsumbegierde waren für jedermann erschwinglich. Inflation fand nicht statt, was die EZB veranlasste – wenn überhaupt – nur mit Platzpatronen zu schießen.  

Es war einmal das chinesische Schlaraffenland  

Eigentlich musste man sich wirtschaftspolitisch gar nicht mehr anstrengen. Eigentlich lief es doch bis 2019 wie am Schnürchen, eigentlich. Aber plötzlich führten in China Corona-bedingte harte Wirtschaftsschließungen Deutschland vor Augen, dass unreflektiertes Outsourcing und blindes Vertrauen auf das Schlaraffenland gefährliche Schattenseiten hat. Die China-Chance birgt auch ein gewaltiges China-Klumpenrisiko.  

Die China-Speisekarte wird kleiner. Die Bevölkerung schrumpft, was die traumhaften BIP-Zuwächse von einst 8 bis 10 Richtung kleiner 4 Prozent drücken wird. Übrigens lassen auch in China die Strukturreformen nach. Dagegen stand die Wiedererstarkung der kommunistischen Herrlichkeit im Mittelpunkt. All das wirkt sich auf die Wirtschafts- bzw. Importkraft aus.

Und dann ist da noch eine verheerende Immobilienkrise. Wenn Amerika die Krise über Lehman Brothers hatte, dann ist es in China die Lehman-Großfamilie. Es wurde eine gigantische Kreditblase der Marke „Turmbau zu Babel“ aufgebaut ohne wirtschaftliche Grundsätze zu berücksichtigen. Und da sich ca. ein Drittel der chinesischen Wirtschaftsleistung auf den Immobiliensektor stützt, wird die wirtschaftliche Fallhöhe Chinas klar ersichtlich. Hätte man komplette Einsicht in den chinesischen Bausektor, würde man wohl die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Und würde die Kreditbombe platzen, würden Dominoeffekte die Exportländer massiv in den Schwitzkasten nehmen.

Nicht zuletzt verfügt China mittlerweile selbst über eine ansehnliche Industriekultur und ist immer weniger auf deutsche Industrie-Entwicklungshilfe angewiesen.

Amerika nutzt Europas Abhängigkeit von China schamlos aus

Zu allem Verdruss kommt auf Wirtschafts-Deutschland aber auch noch geopolitisches Ungemach zu.  

Präsident Xi Jinping arbeitet konsequent an „China First“, versucht mit allen Mitteln Amerika von der pole position in der Welt zu verdrängen. Das gefällt dem jahrzehntelangen Platzhirsch Amerika naturgemäß nicht. Trump und jetzt Biden unternehmen alles, um Chinas heiße Gelüste auf Weltmacht abzukühlen. Dazu versucht man China auch mit handelspolitischen und Wirtschaftssanktionen beizukommen.

Leider zeigt die Geschichte, dass Amerikas Sanktionen nie die gewünschte Wirkung zeigten. Auch China wird nicht kleinbeigeben. Im Gegenteil, die US-Knute hat China veranlasst, Allianzen mit Russland, Indien, Brasilien und Südafrika zu schmieden, die Amerika gerne ein Bein stellen wollen. Die Folgen sind, dass China noch günstiger mit Energie versorgt ist, den Daumen auf viele andere Rohstoffe hat und sogar ein neuer Wirtschaftsraum entsteht, der unter der Fuchtel der Chinesen steht. Und die neue AGA (Allianz gegen Amerika) arbeitet mit Gegensanktionen.

Diese jedoch treffen Amerika nicht, dafür aber die europäischen Exportländer. Während Amerika über einen starken Binnenmarkt und energieseitige Unabhängigkeit verfügt sowie wegen einer starken High-Tech-Kultur zukunftsfähig ist, hängen wir am Fliegenfänger. Unsere Abhängigkeit ist gewaltig, was China veranlassen könnte, uns die Pistole auf die Brust zu setzen, bei US-Sanktionen weniger hart mitzumachen bzw. China-freundlich zu agieren. Ansonsten gibt es den Wirtschafts-Knüppel aus dem Sack. Die Tatsache, dass VW fast jedes zweite Auto in China verkauft und dort mehr als ein Drittel seiner Gewinne einfährt, beschreibt unsere Abhängigkeit mehr als deutlich.

Wegen der Gegensanktionen kann sich Amerika sogar noch ins Fäustchen lachen. Da wir kein billiges Erdgas mehr aus Russland beziehen, sind wir u.a. auf teures amerikanisches Flüssiggas angewiesen. Das zerstört unseren entscheidenden Standortvorteil gegenüber Amerika.

Und niemand denke bitte daran, dass Amerika uns jetzt an anderer Stelle – sozusagen aus alter transatlantischer Verbundenheit – entgegenkommt. US-Präsident Biden ist zwar immer freundlich und nett, wenn er auf europäische Politiker trifft. Doch unterscheidet sich die harte Wirtschafts- und Handelspolitik seiner Administration von der seines Amtsvorgängers überhaupt nicht.

„Buy American“ ist das neue Credo. Biden ließ in seiner Union Speech nicht den geringsten Zweifel daran, dass die „Lieferkette für Amerika in Amerika beginnt.“ Zwar können europäische und deutsche Unternehmen in Amerika auch infrastrukturell tätig werden. Dazu müssen sie aber in Amerika produzieren, was bedeutet, dass der deutsche Wirtschaftsstandort verliert.  

Damit will Amerika nicht zuletzt bei der Energiewende mit ihrem enormen Wachstumspotenzial die Nase vorn haben. Sein IRA „Inflation Reduction Act“ – eigentlich ASA „America Satisfaction Act“ – saugt förmlich deutsche Unternehmen mit ihrem new energy brain in die USA.

Jetzt versuchen europäische Wirtschaftsminister bei Besuchen in Washington an die christliche Nächstenliebe des Katholiken Biden zu appellieren. Doch scheinen beim US-Präsidenten die Leitmotive eher „Jeder ist sich selbst der Nächste“ oder „Nehmen ist besser als Geben“ zu sein. 

Wenn die China-Karte immer weniger sticht und Amerika sich nicht mehr an die gute alte transatlantische Freundschaft erinnern will, wird es für Europa und Deutschland höchste Zeit an einem Plan B zum wirtschaftlichen Überleben zu arbeiten. Deutsche Unternehmen können zwar flüchten, doch ist der deutsche Industriestandort mit seinem Arbeitsmarkt eine Immobilie.

Will man Amboss oder Hammer sein? Will man Wohlstand für alle oder Weniger für alle, will man Moral- oder Industrieweltmeister sein? Wie wollen wir zukünftig satt werden? Dass man diese Fragen überhaupt stellen muss, ist ein politisches Armutszeugnis.    

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash. 

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725

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