WTW-Nachhaltigkeitsexpertinnen: So steht es um den grünen Umbau der Versicherer

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WTW-Nachhhaltigkeitsexpertinnen Monika Behrens (li.) und Sina Thieme: „Der Verbraucher ist offensichtlich noch nicht überzeugt.“

Versicherer sind bei der Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft maßgeblich: als Risikoträger, Risikomanager und Kapitalanleger entscheiden sie mit, welche Risiken unter Nachhaltigkeitsaspekten künftig noch versichert werden – und sie bauen selbst „grüne“ Versicherungsprodukte für die Zukunft. Ein Gespräch mit Monika Behrens und Sina Thieme, Nachhaltigkeitsexpertinnen bei WTW, über den grünen Umbau und einen nachhaltigen Versicherungsmarkt.

Frau Thieme, Frau Behrens, wo steht die Versicherungsbranche beim Thema „Grüne Transformation“?
Behrens: Ich denke, es ist sehr unterschiedlich. Der ein oder andere große Versicherer ist dort sehr gut unterwegs und aufgestellt. Die kleineren Versicherer sind, vorsichtig formuliert, erst am Anfang.
Thieme: ESG ist ein sehr breites Feld. Die Analyse von Naturkatastrophenrisiken war schon immer ein Kerngeschäft von Sachversicherern. Was in letzter Zeit mehr in den Fokus rückt, sind Analysen, inwieweit derzeitige Klimabedingungen hinreichend in Naturkatastrophenmodellen reflektiert sind. Auch die womöglich ungewollte Unterstützung stark naturkatastrophenexponierter Regionen auf der einen Seite, und dem Anspruch an Versicherer, bezahlbaren Versicherungsschutz in allen Regionen anzubieten auf der anderen Seite, sind nach wie vor relevante Abwägungen. Transformationsrisiken und -opportunitäten zu identifizieren, zu bewerten und zu managen und wie sich die Transformation auf ihr Underwriting-Portfolio und die zukünftige Produktlandschaft auswirkt, ist allerdings noch nicht allen Versicherern klar.

Haben Sie einen Überblick, wie die Strategien der Versicherer aussehen? Viele sagen zwar, dass dem Thema eine wachsende Bedeutung zukommt. Fragt man nach konkreten Beispielen, wird es dünner.
Behrens: Wir haben bei einer Veranstaltung über 150 Mitarbeiter von gut 40 Versicherern nach ihrer konkreten Transformationsstrategie gefragt und waren überrascht, wie viele Gesellschaften sagten, dass sie die hätten. Kommuniziert ist hiervon aber teilweise wenig. Insofern fällt mir ad-hoc keine ganz konkrete Transformationsstrategie ein. Das mag aber auch daran liegen, dass die Versicherer diese gerade erst entwickeln. So hat die Net Zero Insurance Alliance gerade erst in diesem Januar ihr Protokoll zur Zielsetzung veröffentlicht. Und da ist es auch noch relativ vage. Ich glaube, dass in diesem Jahr vieles konkreter wird.
Thieme: Viele Versicherer haben Strategien in Bezug auf die Digitalisierung, bei der Papiervermeidung oder dem Umstieg auf Ökostrom; es gibt Kindergärten, Kitas oder Volunteer-Days für Mitarbeiter sowie Elektroautos für die Firma. Das sind alles Themen für die Internal Operations. Und davon wird auch auf den Webseiten der Unternehmen berichtet. Die Emissionen, die hiermit eingespart werden, sind allerdings nicht der Haupttreiber. Wie sich ESG-Strategien konkret in Underwriting-Guidelines oder Investment-Entscheidungen übersetzen und sich auf Themen wie Kapitaleffizienz und Risikomanagement auswirken, ist unklarer.
Behrens: Ich habe den Eindruck, dass der ein oder andere Versicherer glaubt, dass es eine Strategie ist, wenn er aus den Kohleinvestitionen aussteigt. Für mich ist das ein Ausschluss, aber keine Strategie. Was wir fordern, ist, dass die Versicherer die Transformation der Wirtschaft auch begleiten. Es kann nicht sein, dass die großen Kohlekraftwerksbetreiber von der Regierung per Gesetz gezwungen werden, ihre Kraftwerke weiter zu betreiben, selbst wenn sie früher aussteigen möchten. Und dann die Versicherungswirtschaft dies nicht versichert. Das finde ich nicht konsequent. Die Versicherer müssen auch Strategien aufbauen, wie sie neue Technologien unterstützen. Das wird in der Net Zero Insurance Alliance durchaus gefordert. Diese Strategie wird aus meiner Sicht aber erst entwickelt.
Thieme: So gibt es zum Beispiel keine standardisierte Methodik zur Berechnung von versicherungsbezogenen Emissionen für alle Sparten. Noch fehlen die Methodiken und Daten, insbesondere die der Kunden. Zudem ist vielfach in den Köpfen verankert, das Nachhaltigkeit mit Kosten zu tun hat. Wenn man Kunden zusätzliche Präventionsmaßnahmen anbietet oder Elektrofahrzeuge versichert, könnte das mit höheren Kosten verbunden sein. Hier zögern gerade die mittelgroßen Versicherer, wenn der Marktdruck gering ist.

Auch wenn kein Versicherer offen darüber spricht: Es gab in der Vergangenheit innerhalb der Versicherungsunternehmen durchaus Vorbehalte gegenüber der grünen Transformation.
Behrens: Wenn man sich den ein oder anderen Nachhaltigkeitsmanager eines Versicherers anschaut, ist der manchmal relativ weit von dem Geschäftsmodell entfernt. Es ist wunderbar, wenn man konsequent nachhaltige Ansätze im Unternehmen etablieren möchte. Letztlich kann dies aber das Geschäft gefährden. Ich bin der Meinung, die Versicherungswirtschaft hat eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Und die ist, dass Risiken in der Gesellschaft finanziert werden können. Und da kann sich die Versicherungswirtschaft eben nicht aus der Transformation herausziehen. Und gerade, wenn Nachhaltigkeit vor allem durch Ausschlüsse manifestiert wird, dann finde ich, dass die Versicherungswirtschaft dort ihrer Aufgabe nicht gerecht wird. Ich hoffe, dass ein Wandel im Bewusstsein eintritt. Wichtig ist, dass das Unternehmen, das Versicherungsschutz sucht, eine klare Roadmap Richtung Nachhaltigkeit hat. Dann wird es auch Versicherer geben, die Versicherungsschutz bieten. Wir haben als WTW den Climate Transition Pathways ins Leben gerufen. Dabei geht es darum, dass Unternehmen, die aufgrund der ESG-Versicherungskriterien Schwierigkeiten haben, Versicherungsschutz zu erhalten, von einem unabhängigen Dritten wie einer NGO prüfen lassen können, ob deren Transformationspläne realistisch sind. Und wenn sie akkreditiert sind und die Akkreditierung regelmäßig überprüft wird, wird diesen Unternehmen Versicherungskapazität garantiert.

Wie nachhaltig ist das nachhaltige Angebotsspektrum der Sachversicherer in der Industrieabsicherung?
Behrens: Wir sehen, dass, wenn ein Unternehmen sich der Kreislaufwirtschaft annähern und seine Produkte entsprechend recyceln möchte, Probleme hat, dafür Versicherungsschutz zu bekommen. Weil die Schadenquoten dort schlechter sind, versichert man es ungern. Das ist nachvollziehbar, unterstützt aber nicht eine nachhaltige Industrietransformation. Auf der anderen Seite gibt es Versicherer, die etwa Hochwasserschutzmaßnahmen ihrer Gewerbekunden unterstützen. Ich glaube, dass die Versicherungswirtschaft hier eine essenzielle Rolle spielen kann, weil sie über viel Know-how und Daten in Bezug auf Abmilderung sowie Anpassung an Klimarisiken verfügt.
Thieme: Auf der Privatkundenseite gibt es einige Versicherer, die nachhaltige Produkte anbieten. Oft sind es aber eher geringfügig veränderte klassische Tarifkonzepte. Was fehlt, ist ein konsistentes überzeugendes Konzept zu nachhaltigen Produkten. Obwohl es sinnvolle Ideen gibt, wie etwa den Vor-Ort-Check von Wall-Boxen oder Rabatte für energieeffiziente Gebäude, werden diese häufig nicht erfolgreich vermarktet. Mit Versicherungsprämien einen Baum zu pflanzen, finde ich persönlich nicht überzeugend. Aber die Gesellschaften arbeiten daran, die Einzelteile zusammenzufügen.

Das klingt nach einem Flickenteppich mit wenigen Leuchttürmen.
Behrens: Wir wissen aus unseren Gesprächen mit den Versicherern, dass die Nachfrage aktuell immer noch dürftig ist. Die Abschlussquoten sind derzeit noch gering. Ein mittelgroßer Sachversicherer mit einem Umweltbaustein erzählte, dass nur ein einziger Vertriebspartner diesen sehr erfolgreich vertreibt. Wenn man sich die Erfolgsquote ansieht, ist die relativ bescheiden. Der Verbraucher ist offensichtlich noch nicht überzeugt. Verantwortlich ist hier auch eine nicht überzeugende Kommunikation.

Welche Folgen hat die Nachhaltigkeit im Sachbereich für das Underwriting? Schließen die Gesellschaften in der Sachversicherung einzelne Branchen bei der Risikodeckung nicht aus, falls die Unternehmen nicht mitspielen?
Behrens: Die versicherbaren Risiken haben in den vergangenen Jahren abgenommen, weil der Schutz schlicht nicht mehr zur Verfügung gestellt wurde. Also schauen immer mehr Unternehmen, wie sie selbst derartige Risiken finanzieren können. Wenn die Versicherungswirtschaft die Entwicklung nicht als Chance begreift, wird sie weiter an Relevanz in einzelnen Bereichen verlieren. Ich glaube, dass in vielen Unternehmen der Wert für eine Versicherung höher ist als der Wert anderer Finanzinstrumente. Insofern können wir nur appellieren, dass sich die Versicherer innovativer und mutiger zeigen. Die Resilienz einer Gesellschaft hängt ganz entscheidend davon ab, wie gut eine Versicherungswirtschaft funktioniert.

Das Interview führte Cash. Redakteur Jörg Droste

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