Experte Gerd Kemnitz: „Erwerbsunfähigkeitstarife sind unbefriedigende Notlösung“

Foto: Gerd Kemnitz, BU-Portal24.de
Versicherungsmakler Gerd Kemnitz: "Höchstens eine unbefriedigende Notlösung:"

Das Analysehaus Morgen & Morgen hatte in seiner neuesten Analyse die Bedingungen von Erwerbsunfähigkeitsversicherungen unter die Lupe genommen. Kritik an dem Rating kommt nun von BU-und EU-Experte Gerd Kemnitz. Er hält die am Markt angebotenen Tarife allenfalls für eine unbefriedigende Notlösung.

Die Absicherung der Arbeitskraft ist für alle Berufstätigen wichtig. Den besten Schutz bietet hier die Berufsunfähigkeitsversicherung. Doch durch die ausufernde Berufsgruppendifferenzierung ist der BU-Schutz insbesondere für körperlich Tätige häufig viel zu teuer. Dann könnte eine gute Erwerbsunfähigkeitsversicherung eine empfehlenswerte Alternative sein.

Deshalb finde ich es grundsätzlich gut, dass das Analysehaus Morgen & Morgen Erwerbsunfähigkeitsversicherungen analysiert und am 05.04.2023 sein aktualisiertes Rating veröffentlicht hat (Cash. berichtete).

Kein einziger Tarif leistet

Allerdings macht mich stutzig, wenn das Analysehaus unter der Überschrift „Der Markt ist klein aber fein“ elf Tarife von neun Versicherern mit fünf Sternen – also der Bestnote – bewertet. Denn tatsächlich leistet kein einziger Tarif die Erwerbsunfähigkeitsrente in Anlehnung an die gesetzliche Definition bei voller und teilweiser Erwerbsminderung. Dies wird zwar als Mindestkriterium für eine Vier-Sterne-Bewertung geführt. Aber für Morgen & Morgen erscheint es schon ausreichend, wenn dieses Kriterium nur teilweise erfüllt wird.

Abgesehen vom „MetallErwerbsminderungsschutz Flex Komfortschutz“ leistet nämlich kein weiterer Tarif die halbe EU-Rente bei einem Restleistungsvermögen von mindestens drei Stunden und höchstens sechs Stunden. Und es kommt noch schlimmer.

Normalerweise sollte eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung die volle EU-Rente zahlen, wenn der Versicherte keine 3 Stunden täglich irgendeine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann. Einige der Tarife mit Bestbewertung (auch der oben erwähnte) fordern in ihren Bedingungen zusätzlich noch, dass kein Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit erzielt wird, das über der monatlichen Grenze für eine geringfügige Beschäftigung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) IV liegt.

Nachgerechnet

Also rechnen wir mal nach! Die Einkommensgrenze für eine geringfügige Beschäftigung liegt aktuell bei 520 Euro pro Monat. Nehmen wir noch 22 Arbeitstage pro Monat an. Dann überschreitet der dort Versicherte die 520-Euro-Grenze schon, wenn er zwei Stunden täglich zum Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde arbeitet. Der Versicherer wäre bei einem solchen Fünf-Sterne-Tarif leistungsfrei.

Außerdem sollte ein wirklich guter EU-Tarif eine Beitragbefreiung bei Berufsunfähigkeit beinhalten. Denn bei schleichenden oder in Schüben verlaufenden Krankheiten wird der Versicherte mit großer Wahrscheinlichkeit erst einmal „nur“ berufsunfähig und erst einige Jahre später erwerbsunfähig. Aber wovon soll der Versicherte seine Beiträge für die Erwerbsunfähigkeitsversicherung bezahlen, wenn er wegen seiner Berufsunfähigkeit Job und Einkommen verloren hat?

Keine wirkliche Alternative

Aufgrund dieser Mankos sind die derzeit angebotenen Erwerbsunfähigkeitsversicherungen keine wirkliche Alternative zur Arbeitskraftabsicherung – höchstens eine unbefriedigende Notlösung. Und daran ändert sich auch nichts, wenn Analysehäuser die Tarife „schönreden“ und mit vielen Sternen bewerten. Im Gegenteil – wer im Vertrauen auf eine Bestbewertung eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung abschließt und erst im Schadensfall die Tücken des Vertrags erkennt, wird den Ruf der Versicherungsbranche sicher nicht verbessern.

Gerd Kemnitz, Versicherungsmakler, www.bu-portal24.de

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