„Es muss das Bewusstsein geschaffen werden, wie wichtig das Thema AKS ist“

Die Diskussionsteilnehmer von links: Carina Gervens, Volkswohl Bund; Christoph Lehmann, Valuniq; Markus Freiherr von Rotberg, Swiss Life

Das Risiko der Berufsunfähigkeit ist groß, die Bereitschaft zur Absicherung hingegen deutlich ausbaufähig. Das haben auch Versicherer und Vertriebe längst erkannt. Cash. diskutierte mit Carina Gervens, Leiterin Produktmanagement Biometrie beim Volkswohl Bund, Markus Freiherr von Rotberg, Vertriebsdirektor bei Swiss Life, und Christoph Lehmann, Senior Financial Planner bei Valuniq, über Hemmschwellen, Beratungsansätze und neue Produktstrategien in der Arbeitskraftabsicherung.

Die Pandemie hat bei den Themen Vorsorge und Gesundheit zu einer Sensibilisierung geführt, was sich auch in den Absatzzahlen bei der Berufsunfähigkeitsversicherung 2021 niedergeschlagen hat. Wir haben aber seit dem letzten Jahr eine andere wirtschaftliche Situation und wir haben den Ukraine-Krieg. Was sagen die Zahlen?

Gervens: In der Pandemie hat das Bewusstsein für das Thema Gesundheit und Vorsorge deutlich zugenommen. Und wir spüren trotz der Unsicherheiten, dass das Bewusstsein für das Thema weiter anhält. Das merken wir zum einen in unseren Neuabschlüssen, vor allen Dingen im AKS- aber auch im Altersvorsorgebereich. Wir sehen es aber auch in unserem Bestand. Wir haben zum Beispiel eine Dynamik, die sich gemäß dem Verbraucherpreisindex erhöht. Diese Dynamikerhöhungen werden von fast allen unseren Bestandskunden in Anspruch genommen, obwohl damit natürlich auch eine Prämienanpassung einhergeht. Das Thema ist auf jeden Fall präsent und die Wichtigkeit wird gesehen.

von Rotberg: Die Zahlen haben sich sehr positiv entwickelt. Man sieht, das Bewusstsein ist da. Meine Frage an Herrn Lehmann: Ich habe das Gefühl, dass die Schlagzahl im Vertrieb sehr hoch ist und dass durch die digitalen Beratungsformen mehr Termine vereinbart werden. Mir kommt es so vor, dass durch die höhere Zahl an Beratungen auch mehr Abschlüsse erreicht werden. Ich glaube, dass die Arbeitskraftabsicherung insgesamt ein wichtiger Baustein ist und in den nächsten Jahren ein echter Trend werden könnte.

Lehmann: Seit der Pandemie hat das Bewusstsein bei den Kunden zugenommen. Es hat auch über die Pandemiejahre eine Sensibilisierung über die Social-Media-Kanäle stattgefunden. Und ja, auch der Vertrieb hat eine höhere Schlagzahl. Wir haben seit Corona mit Online-Beratungen definitiv mehr zu tun. Wir haben in der Beratung die Pflicht, den Kunden darauf aufmerksam zu, dass er vielleicht eine Berufsunfähigkeitsversicherung braucht. Die Nachfrage ist stetig. Und durch die höhere Schlagzahl werden deutlich mehr AKS-Produkte vermittelt.

Laut der Deutsche Aktuarvereinigung gibt es 17 Millionen BU-Verträge. Nach Aussagen von Michael Franke, Geschäftsführer von Franke und Bornberg, sind davon aber nur 5,4 Millionen reine Invaliditätsversicherungs-Verträge, der Rest sind Zusatzversicherungen. Die Durchdringungsquote ist also nach wie vor unbefriedigend. 

Lehmann: Die Durchdringungsquote im Markt dürfte etwa bei rund einem Drittel liegen. Viele dieser Zusatzverträge sind nicht voll ausfinanziert und keine echten Alternativen zu einer reinen Invaliditätsabsicherung, sondern kleine Bausteine, die mitvermittelt wurde. Wir haben 76 Berater, die sehr gut geschult sind – entweder IHK-geprüft oder durch die interne Akademie. Jeder hat ein Bewusstsein dafür, wie wichtig das Thema AKS ist. Dementsprechend findet in jedem unserer Beratungskonzepte – egal ob Kapital- oder Vermögensaufbau – das Thema AKS statt. Und das nehme ich auch so am Markt wahr. Die Nachhilfe sehe ich eher in der Sensibilisierung der Kunden. Es müsste bei der Zielgruppe in den Schulen oder im Studium das Bewusstsein dafür geschaffen werden, wie wichtig das Thema AKS eigentlich ist. Meiner Meinung nach gehört es ins Bildungssystem integriert. 

von Rotberg: Ich glaube, es hat aber auch eine psychologische Komponente. Es macht keinen Spaß über Berufsunfähigkeit zu sprechen, wenn man gerade im Job gestartet ist. Da liegt es dann wieder am Beratenden, dort zu überzeugen. Und es ist ein Thema, das die gesamte Branche betrifft. Wir müssen uns Gedanken machen, wie man hier aufrütteln könnte. Wenn man sieht, wie sich die Zahl der psychischen Erkrankungen entwickelt, stellt man fest, dass auch junge Leute nicht mehr sagen können: „Was soll mir schon mit 25 nach dem Studium passieren?“ Ich glaube, man muss in der Tat in der Schule anfangen und das als Kampagne über mehrere Medien bespielen. Und wir müssen das Positive herausheben. Wie viele Leistungsfälle werden bezahlt? Wie viele Millionen BU-Renten zahlen die Versicherer aus? Damit sich das Gefühl entwickeln kann, dass die Gefahr real ist. Sie haben Recht, Herr Droste: Wir diskutieren sehr lange darüber und bekommen es nicht in die Breite. Das ist schon ein Phänomen. 

Gervens: Es gibt jedoch noch weitere Faktoren, warum die BU noch nicht die Durchdringung am Markt erfährt. Nicht alle bekommen auch eine BU – sei es aufgrund von Vorerkrankungen oder wenn man stark körperlich tätig ist, dann kann man sich den Schutz vielleicht auch nicht immer unbedingt leisten. Da merken wir in den letzten Jahren, dass es mehr Alternativen gibt, zum Beispiel die Grundfähigkeitsversicherung. Sogar mittlerweile auf Wunsch mit Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit, so dass eine Nähe zur BU geschaffen werden kann und die Absicherung noch wertiger wird. Ich denke, dass wir als Versicherer da noch einige Entwicklungsmöglichkeiten haben, um auch die Kunden zu erreichen, die mit der BU vielleicht nicht versichert werden können.In den nächsten Jahren wird hinsichtlich der Entwicklungen am Markt, auch in dem Bereich der Alternativprodukte, sicherlich einiges passieren. 

Christoph Lehmann: „Es müsste bei den Zielgruppen in der Schule oder im Studium ein Bewusstsein  für das Thema geschaffen werden.“

Sie sprachen eben über die zu geringe BU-Absicherung. Muss sich da auch im Denken des Vertriebs etwas ändern?

Lehmann: Wir sehen zu geringe BU-Summen in vielen Bestandsverträgen von Kunden, die oft von der Ausschließlichkeit beraten wurden. Es handelt sich meistens um Altverträge. Und meistens um Langlaufende, die es zu optimieren gilt. Es gibt noch sehr viele von diesen Zusatzverträgen, die nicht genügende Absicherung bieten. Ich glaube, jeder Berater sollte das Bewusstsein dafür haben, wie wichtig die Arbeitskraftabsicherung ist. 

von Rotberg: Wir arbeiten mit freien Vermittlenden zusammen, denen man die Wichtigkeit des Themas Arbeitskraftabsicherung nur anheimstellen kann. Ich würde für die, mit denen wir zusammenarbeiten, auch die Hand ins Feuer legen, dass sie sich den Bestand anschauen. Was historisch war, kann ich und möchte ich nicht beurteilen. Wir sollten und müssen den Blick nach vorne richten: Wie schafft man es, diese Versorgungen in größerer Zahl darzustellen. Es kommen jetzt mehr Versicherer und Beratende, die dieses Thema auch bespielen. Man sieht aber auch, dass solche neuen Themen einfach Zeit brauchen. Parallel ändern sich auch die Begrifflichkeiten. Man spricht jetzt über Arbeitskraftabsicherung, nicht mehr über Berufsunfähigkeitsversicherung. Ich denke auch, dass sich der Beratungsprozess verändert hat und man anders an die Themen herangeht.  

Gervens: Auch wir arbeiten ausschließlich mit Versicherungsmaklern, freien Finanzdienstleistern zusammen, welche den Markt vergleichen und unterschiedliche Anbieter vermitteln. Unsere Aufgabe als Versicherer ist es, dem Vertrieb gute Produkte mit an die Hand zu geben, um den Kunden einen guten und passenden Schutz zu empfehlen. Wir machen bei unseren Partnern die gleichen Erfahrungen, wie Herr von Rotberg sagte, ich glaube die meisten Berater gehen gewissenhaft und sorgfältig bei der Beratung vor. 

Lehmann: Ich möchte da eine Lanze für den gesamten Markt der freien Vermittler brechen. Ich bin nicht schon immer bei der Valuniq AG, sondern ich habe zuvor bei Formaxx gearbeitet, ein relativ großer Finanzdienstleister. Deren Berater sprechen das Thema AKS definitiv beim Kunden an. Und auch andere Vertriebe haben dort ein sehr hohes Bewusstsein. Aber es gibt eben noch 11,4 Millionen Altverträge ohne ausreichende Deckung. 

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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