In der Nacht zum Donnerstag haben sich die Trilog-Unterhändler des Europäischen Parlaments und der Mitgliedstaaten auf einen Kompromiss zur EU-Strategie für Privatanleger geeinigt. Nach mehr als zweieinhalb Jahren Verhandlungen wurde damit kurz vor dem Ende der dänischen Ratspräsidentschaft ein politisch relevantes Regulierungspaket abgeschlossen. Für unabhängige Vermittler bringt es spürbare Änderungen mit sich.
Ziel der Retail Investment Strategy ist es, den Schutz von Privatanlegern zu stärken, den Zugang zu Kapitalmärkten zu erleichtern und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Finanzmärkte zu erhöhen. Die neuen Vorgaben betreffen zentrale Aspekte der Vermittlungspraxis. Nach der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt sollen sie voraussichtlich ab dem zweiten Halbjahr 2028 gelten.
Kern der Einigung ist ein erweiterter Anlegerschutz durch mehr Kostentransparenz. Anlagefirmen im Privatkundengeschäft werden verpflichtet, sämtliche mit einem Produkt verbundenen Kosten vollständig offenzulegen. Zudem müssen sie anhand europaweit einheitlicher Kriterien prüfen, ob diese Kosten in einem angemessenen Verhältnis zur angebotenen Leistung stehen. Produkte mit unverhältnismäßigen Kosten dürfen künftig nicht mehr vertrieben werden.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf den Regeln zu Provisionen. Ein generelles Provisionsverbot auf EU-Ebene ist nicht mehr Teil des Pakets. Stattdessen verschärft die Richtlinie die Transparenz- und Begründungspflichten bei Zuwendungen. Vermittler müssen künftig nachvollziehbar darlegen, welchen konkreten Mehrwert eine Provision für den Kunden bietet. Zudem sind alle Provisionsbestandteile gesondert auszuweisen.
Gleichzeitig behalten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, national weitergehende Einschränkungen einzuführen. Diese können bis hin zu einem Provisionsverbot reichen. „Wir begrüßen, dass es kein Provisionsverbot auf EU-Ebene geben wird“, erklärt AfW-Vorstand Frank Rottenbacher. „Der Einsatz des AfW und vieler anderer für eine Regulierung mit Augenmaß hat sich in Punkt zumindest gelohnt. Ob und wie nun die neuen Anforderungen in der Praxis umsetzbar und für Vermittlerinnen und Vermittler sachgerecht sind, können wir jedoch erst beurteilen, wenn uns der endgültige Richtlinientext vorliegt.“
Neben strengeren Pflichten sieht die Vereinbarung auch Vereinfachungen vor. So wird die Geeignetheitsprüfung in bestimmten Fällen erleichtert. Bei der Empfehlung nicht-komplexer, kostengünstiger und breit diversifizierter Finanzinstrumente entfällt künftig die Abfrage von Kenntnissen und Erfahrungen der Kunden. Die Prüfung der finanziellen Situation und der Anlageziele bleibt jedoch weiterhin erforderlich.
Neue Standards für die Kundeninformation
Mit dieser Anpassung will der EU-Gesetzgeber den Zugang zu einfachen Anlageprodukten erleichtern, ohne den Anlegerschutz grundsätzlich zu senken. „Diese neue Regelung zur Geeignetheitsprüfung wird Auswirkungen auf die tägliche Beratungspraxis haben – sowohl im Hinblick auf die Dokumentation als auch auf die Auswahl geeigneter Produkte“, erklärt Frank Rottenbacher. „Positiv ist, dass der Gesetzgeber den Vermittlern in bestimmten Fällen mehr Flexibilität einräumt. Gleichzeitig muss genau beobachtet werden, ob dadurch auch regulatorische Unsicherheiten entstehen.“
Darüber hinaus führt die Retail Investment Strategy neue Standards für die Kundeninformation ein. Insbesondere die Key Information Documents sollen stärker vereinheitlicht und verständlicher gestaltet werden. Langfristig sollen sie auch maschinenlesbar zur Verfügung stehen, um den Produktvergleich zu erleichtern und digitale Prozesse zu unterstützen.
Das Maßnahmenpaket greift zudem neue Entwicklungen auf. Dazu zählt der Einfluss von Social Media und sogenannten Finfluencern auf Anlageentscheidungen. Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, die finanzielle Bildung zu stärken und für fairere sowie transparentere Marketingpraktiken zu sorgen.
Zeitplan und nationale Umsetzung
In den kommenden Monaten werden die technischen Arbeiten an den Rechtstexten fortgesetzt. Die endgültige Fassung soll Anfang 2026 vorliegen. Nach der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt haben die Mitgliedstaaten 24 Monate Zeit für die Umsetzung in nationales Recht. 30 Monate nach der Veröffentlichung treten die Regelungen in Kraft, mit Ausnahme der PRIIPs-Vorgaben, die bereits nach 18 Monaten gelten sollen. Da es sich um eine Richtlinie handelt, ist auch in Deutschland mit weiteren legislativen Anpassungen zu rechnen.












