Arbeitskraftabsicherung: Jenseits des Goldstandards

Foto: Christian Daitche/Fotobonn
Dr. Igor Radovic, Direktor Produkt- und Vertriebsmarketing und Andre Meissner, Head of Sales, Canada Life. "Wir verfügen über eine tiefe Expertise in Arbeitskraftabsicherung, Pricing und Underwriting."

Das Risiko einer Berufsunfähigkeit ist groß, an der Absicherungsbereitschaft hapert es. Das Dilemma ist der Preis bei der BU-Versicherung. Vielen potenziellen Kunden war der schon in der Vergangenheit zu hoch. Nun kommen Inflation, unsichere Wirtschaftsaussichten und hohe Energiepreise erschwerend hinzu. Doch muss es immer der Goldstandard sein? Schließlich gibt es mit Grundfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsversicherungen durchaus Alternativen.

Haben Sie eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU)? Ich ja. Abgeschlossen mit 42. Für das Aufschieben muss ich nun leider tiefer ins Portemonnaie greifen. Doch möchte ich mir die Absicherung schenken? Nein! Denn ich weiß schlicht nicht, welche gesundheitlichen Haken das Leben noch schlägt. 2021 sprach die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) davon, dass rund 17 Millionen Berufstätige eine BU abgeschlossen hätten.

Den 17 Millionen stehen rund 28,5 Millionen Erwerbstätige gegenüber, die sich diesbezüglich nicht schützen. Fakt ist, und das zeigen die Statistiken der Interessenvereinigung der Versicherungsmathematiker auch, dass jeder vierte oder fünfte Berufstätige im Laufe seines Berufslebens mindestens einmal berufsunfähig wird.

Michael Franke, Geschäftsführer Franke & Bornberg

Laut Michael Franke, Geschäftsführer des Analysehauses Franke & Bornberg, geben die Zahlen die reale Situation allerdings nicht korrekt wieder. Die sei nämlich deutlich dramatischer. „Zum einen sind die 17 Millionen Verträge nicht nur BU-Verträge. Der GDV weist seit einigen Jahren nur noch undifferenziert „Invaliditätsversicherungen“ aus. Davon sind rund 11,4 Millionen Verträge Zusatzversicherungen, die lediglich die Beitragsbefreiungsversicherungen einer Hauptversicherung umfassen kann. Nur knapp 5,4 Millionen Verträge sind Selbständige Invaliditätsversicherungen“, sagt Franke.

„Vielen Berufstätigen ist das Risiko, das sich durch eine Berufsunfähigkeit ergibt, nicht bewusst.“

„So richtig Fahrt hat die private BU-Versicherung erst mit der Abschaffung der gesetzlichen BU-Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgenommen. Zu dem Zeitpunkt war es vielen Verbrauchern noch nicht klar, dass eine private BU-Absicherung nötig ist. Viele Arbeitnehmer, die heute Anfang- bis Mitte-60 sind, waren damals auch schon in einem Alter, bei der eine private BU-Absicherung nicht unbedingt günstig gewesen ist. Diese noch geburtenstarke Generation ist nicht unbedingt durchgehend im AKS-Bereich abgesichert“, weiß Andreas Ludwig, Bereichsleiter Rating & Analyse bei Morgen und Morgen.

Wenn man sich nun aber die jüngeren Verbraucher anschaue, müsse man feststellen, dass durch den Wettbewerb der letzten Jahre beziehungsweise Jahrzehnte die BU-Versicherungen für Bürojobs immer günstiger geworden sind. „Dies ging jedoch zulasten der körperlich tätigen Verbraucher, deren Absicherung dadurch immer teurer wurde. Da in der Regel Verbraucher mit körperlich tätigen Berufen weniger verdienen, ist die finanzielle Möglichkeit in diesen Berufsgruppen einfach nicht gegeben, sich bedarfsgerecht gegen eine BU zu versichern“, erklärt Ludwig.

Nach Berechnungen von Franke und Bornberg beträgt die durchschnittliche monatliche BU-Rente 1.098 Euro. Das dürfte in vielen deutschen Großstädten eventuell gerade für die Wohnungsmiete reichen. Stehen eine Familie, ein finanziertes Haus und Auto dahinter, dürfte im Fall einer Berufsunfähigkeit des Hauptverdieners die komplette finanzielle Existenz der Familie auf dem Spiel stehen. Vielen Berufstätigen, vor allem jungen Personen, sei das Risiko, welches sich durch eine Berufsunfähigkeit ergibt, nicht bewusst, warnt denn auch Franke.

„Wird diesen Personen im späteren Berufsleben klar, dass eine Berufsunfähigkeitsversicherung doch sinnvoll ist, kommt es zu weiteren Hürden. Zum einen muss der Gesundheitszustand eine BU-Absicherung noch zulassen. Dies ist bei Vorerkrankungen häufig schwierig. Zum anderen spielt die Prämienhöhe eine entscheidende Rolle. Eine bedarfsgerechte Absicherung kostet auch schon für Berufe mit geringerem Risiko eine Menge. Von Berufen mit erhöhtem Risiko ganz zu schweigen. Eine BU-Absicherung muss man sich also leisten können und wollen“, sagt Franke.

Wie sehr sich die Bundesbürger bei dem Thema immer noch in falscher Sicherheit wiegen, offenbaren immer wieder Umfragen zum Thema. Demnach wird Berufsunfähigkeit in der Öffentlichkeit vielfach immer noch durch falsche Bilder dominiert. Zwar gibt es eine staatliche Berufsunfähigkeitsrente für Beschäftigte, die nach 1961 geboren sind, längst nicht mehr. Allerdings glaubt immer noch jeder zweite Bundesbürger, bei Berufsunfähigkeit durch eine staatliche Rente abgesichert zu sein. Das zeigt eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Metallrente aus dem Herbst 2020, für die das Meinungsforschungsinstitut Kantar Public 2.000 Deutsche zwischen 14 und 65 Jahren befragt hat.

Dabei zeigt sich, dass in der jungen Generation der 14- bis 29-Jährigen die Versorgungsillusion noch stärker ausgeprägt ist. Hier gehen sogar knapp 60 Prozent von staatlicher Unterstützung aus, wenn sie nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten können. „Das Risiko wird oft mit dem Gedanken „So was passiert mir nicht“ beiseitegeschoben – erfahrungsgemäß bis die ersten Fälle im persönlichen Umfeld auftauchen. Es ist manchmal schwer, für das Thema zu sensibilisieren“ sagt André Meissner, Head of Sales bei Canada Life, der gemeinsam mit Dr. Igor Radovic´, Direktor Produkt- und Vertriebsmanagement im Gespräch mit uns ab Seite 22 erklärt, wie eine optimale Absicherung gegen Berufsunfähigkeit aussehen kann.

Gerade in der Corona-Pandemie registrierten die BU-Versicherer eine steigende Bereitschaft, sich gegen die Folgen einer Berufsunfähigkeit abzusichern. Mit dem Ukraine-Krieg und seinen Folgen wurden die Karten hier jedoch wieder neu gemischt. Doch inwieweit hemmen Unsicherheiten, hohe Energiepreise und Inflation die Bereitschaft, die Arbeitskraft finanziell abzusichern?
Zwar gebe es Menschen aus bestimmten Berufsgruppen und Branchen, die derzeit durch die steigenden Energiekosten und die Inflationsraten stärker betroffen seien und dadurch mehr auf ihre Ausgaben achten müssen, erklärt Christine Schönteich, Mitglied der Geschäftsführung von Fonds Finanz. Insgesamt habe diese Situation weder die Bedeutung noch die Bereitschaft zur privaten Arbeitskraftabsicherung negativ beeinflusst.

„Die Pandemiejahre haben das Vorsorge- und Gesundheitsverhalten in der Bevölkerung nachhaltig in den Fokus gerückt und wir gehen davon aus, dass dieser Trend weiter anhalten wird“, sagt Schönteich. Auch bei Mitbewerber MLP zeichnet sich derzeit kein Rückgang in der Nachfrage ab. „Das Thema Gesundheit spielt nach wie vor eine wichtige Rolle in der Beratung unserer Kundinnen und Kunden. Letztlich ist die Absicherung der Gesundheit und auch der Arbeitskraft das Fundament für jegliche weitere Finanzplanung“, ergänzt Miriam Michelsen, Leiterin Vorsorge bei MLP.

„Nach dem Höchstwert im Jahre 2012 ist die Anzahl bestehender BU-Verträge in Deutschland rückläufig.“

Die Recherche zu diesem Artikel bestätigt dies. „Bisher als selbstverständlich erachtete Grundfähigkeiten wie das Riechen und das Schmecken sind durch die Corona-Infektionen stärker in den Fokus geraten. Dazu kommen weitere Auswirkungen der Pandemie wie Long Covid, Bewegungsmangel und Fehlernährung und damit verbunden auch Übergewicht und Auswirkungen auf die Psyche. Verstärkt wird diese Wahrnehmung auch durch eine erhöhte mediale Berichterstattung“, erklärt Jens Göhner, Leiter des Produktmarketing bei der Stuttgarter Lebensversicherung, das nach wie vor bestehende Interesse. In 2022 sei die Nachfrage nach Produkten für die Einkommensabsicherung etwas zurückgegangen. Dies habe in erster Linie mit der anhaltend hohen Inflation und der Energiekostenexplosion zu tun.

„Dieser Rückgang war aber nur kurzfristig. In diesem Jahr verzeichnen wir wieder einen deutlichen Anstieg der Produkt-Nachfrage“, sagt Göhner. Ähnliche Entwicklungen machen auch die Alte Leipziger, HDI, der Volkswohlbund oder Swiss Life. „Nach fondsgebundenen Tarifen machen unsere BU- und Grundfähigkeitsversicherungen den zweitgrößten Anteil am Neugeschaft aus“, sagt Matthias Sattler, Leiter Vertrieb bei der Alte Leipziger Lebensversicherung.

Matthias Sattler, Leiter Vertrieb bei der Alte Leipziger Lebensversicherung / Foto: Andreas Varnhorn

Richtig zufrieden mit der Gesamtsituation zeigt sich Göhner allerdings nicht. „Betrachtet man die Situation am Gesamtmarkt über die letzten 15 Jahre, lässt sich kein wesentliches Bestandswachstum verzeichnen“, sagt Göhner. Und das trotz der aktuell historisch hohen Erwerbsquote. Um das Neugeschäft zu beleben, braucht es neue Zielgruppen.

BU: Warum Schüler und Studenten prädestiniert sind

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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