Der Vorschlag des Expertenrats Pflegefinanzen, eine verpflichtende Pflegekostenversicherung unter dem Namen Pflege+ einzuführen, stößt in der Branche auf kontroverse Reaktionen. Während sich der BKK-Dachverband kritisch äußert, halten Fachleute aus Wissenschaft und Gesundheitsökonomie dagegen. In einem Gastbeitrag für die Ärztezeitung erklären Professorin Christine Arentz von der Technischen Hochschule Köln und Professor Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen, warum das Modell ihrer Einschätzung nach die Schwächen privater Pflegezusatzversicherungen überwindet.
Pflege+ sei als Pflichtversicherung konzipiert und auf Kostenabsicherung ausgelegt. Anders als freiwillige Zusatzpolicen berücksichtige es die pflegespezifische Inflation von Beginn an. Das sorge für stabilere Beiträge und verhindere die oft abrupten Prämiensteigerungen, mit denen ältere Versicherte heute konfrontiert sind.
Generationengerechtigkeit als Ziel
Die derzeitige Pflegeversicherung im Umlageverfahren stoße angesichts des demografischen Wandels an Grenzen, argumentieren die Wissenschaftler. Schon jetzt sei die Beitragssatzdynamik hoch – noch bevor die geburtenstarken Jahrgänge ins pflegerelevante Alter kämen. Pflege+ setze dagegen auf Kapitaldeckung und Generationengerechtigkeit: Jede Kohorte solle ihre eigenen Kosten tragen, ohne Lasten auf Jüngere abzuwälzen.
Zudem sieht das Modell sozialpolitische Flankierungen vor. Dazu zählen Beitragsbegrenzungen für Geringverdiener, die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern sowie Prämienentlastungen im Rentenalter. Auf diese Weise solle eine breite Akzeptanz gesichert werden.
Die Kritik, ältere Menschen könnten auf Kosten Jüngerer profitieren, weisen Arentz und Wasem zurück. Wer kurz vor Renteneintritt stehe, könne nicht mehr lange ansparen und erhalte entsprechend nur begrenzte Leistungen. Eine Überversicherung sei somit ausgeschlossen.
Kein „Heimsog“ durch neue Absicherung
Auch die Befürchtung, dass das Modell zu einer vermehrten stationären Unterbringung führen könnte, halten die Autoren für unbegründet. Zwar decke Pflege+ den einrichtungseinheitlichen Eigenanteil in Pflegeheimen, doch bleibe ein Selbstbehalt von zehn Prozent bestehen. Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten trügen die Betroffenen weiterhin selbst. Für ambulant Gepflegte seien im Konzept keine Leistungen vorgesehen.
Als Alternative wird gelegentlich die Ausweitung der bestehenden, umlagefinanzierten Pflegeversicherung diskutiert. Diese würde jedoch nach Ansicht der Wissenschaftler Beitragszahler und Arbeitgeber stark belasten – während gleichzeitig auch wohlhabende Pflegebedürftige entlastet würden. „Finanziert würde deren Vermögenserhalt auch durch Personen mit geringen Einkommen“, schreiben Arentz und Wasem in der Ärztezeitung.
Pflege+ kombiniere hingegen Kapitaldeckung mit sozialer Absicherung. Damit sei das Modell keine Symbolpolitik, sondern eine notwendige Antwort auf die steigenden Kostenrisiken einer alternden Gesellschaft.