EXKLUSIV

Rentenfrage neu gedacht – warum viele Deutsche mehr Kapitaleinkommen wollen

Foto: Allianz Global Investors
Dr. Hans-Jörg Naumer, Allianz Global Investors

Deutschland spart viel, aber verdient wenig mit Kapital. Während andere Länder ihre Vermögen durch Wertsteigerungen mehren, bleibt hierzulande das Arbeitseinkommen dominant. Doch eine neue Umfrage zeigt: Die Mehrheit der Bürger will Kapitaleinkünfte – und erwartet politische Impulse. Wird Altersvorsorge bald anders aussehen?

1845 erschienen, scheint das Buch unser Denken bis heute zu prägen: „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“, geschrieben von dem Urvater des Sozialismus, Karl Marx, und dem Kapitalisten Friedrich Engels. Das Paradigma dahinter: Es gibt auf der einen Seite die Kapitaleigner und auf der anderen Seite die „Proletarier“ (nach dem Duktus von Marx). Während die einen von ihren Kapitaleinkünften leben, erarbeiten die anderen im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot.

Dabei begann bereits um 1600 die East India Company, Anteilsscheine an Aktionäre auszugeben – Eigentumsrechte wurden handelbar. 1612 eröffnete die Börse in Amsterdam.  Genügend Zeit, um die „Proletarier“ am Kapital zu beteiligen, gab es also bereits. Und in der Tat ist seither in Sachen Aktienbesitz in Deutschland einiges passiert. Aber zumindest zwei Entwicklungen sind bedenklich: Erstens: Die Deutschen arbeiten für Ihr Geld, statt ihr Geld für sich arbeiten zu lassen. Zweitens: Das Haupteinkommen ist und bleibt das Arbeitseinkommen.

Denn während das Geldvermögen der Deutschen tatsächlich wächst, kommt der Zuwachs nur zu einem geringen Teil aus dem Wertzuwachs ihrer Anlage. Zum überwiegenden Teil kommt er aus neuer Ersparnis. Kanadier, Dänen, US-Amerikaner, Niederländer, …. alle zeigen, dass es auch anders geht. Im internationalen Quervergleich unter 16 Industrieländern liegt Deutschland beim Geldvermögenszuwachs über die letzten 10 Jahre auf Platz 1 – und nimmt den vorletzten Platz ein, wenn es um den Beitrag der Wertveränderung zum Vermögenswachstum geht. Kein Wunder daher, dass das Kapitaleinkommen beim Gesamteinkommen nur einen minimalen Anteil von 2% einnimmt.

Dabei wird in einer Zeit starker demographischer Änderungen Kapitaleinkommen, ergänzend zum Arbeits- oder Renteneinkommen, besonders wichtig. Nicht zu vergessen: Die smarten Maschinen und Algorithmen, die unsere Arbeitsmärkte disruptiv verändern. Sie versprechen neuen Wohlstand – teilhaben dürfen aber vor allem jene, die die Maschinen und Algorithmen besitzen – durch Eigentumsrechte, sprich: Aktien. „Lass‘ die Roboter für dich arbeiten“ heißt daher die Losung, ergänzt um: „…und erziele Kapitaleinkünfte daraus“.

Und es tut sich was: Nicht nur, dass die Nachfrage nach monatlich ausschüttenden Fonds über die letzten Jahre deutlich gestiegen ist – also das Interesse daran, dass Kapitaleinkommen auf verlässlicher, monatlicher Basis erzielt wird. Die große Mehrheit der Deutschen will zudem Kapitaleinkommen und ist auch bereit, dafür mehr zu tun. So das Ergebnis einer von Allianz Global Investors und dem DIVA (Deutsches Institut für Vermögensbildung und Alterssicherung) gemeinsam initiierten repräsentativen Umfrage unter knapp 2.000 Bundesbürgern. Danach halten knapp 80% der Bundesbürger Kapitaleinkommen aus Dividenden und Zinsen ergänzend zum Arbeitseinkommen für sinnvoll. Sie haben auch eine klare Vorstellung davon, wofür sie dieses Geld benötigen: Knapp 40% derer, die Kapitaleinkünfte beziehen, stärken damit ihre Renteneinkünfte. 45% setzen sie zur Mitfinanzierung ihres Lebensunterhaltes und für gelegentliche Zusatzausgaben ein.

Ein Weg dazu ist es, den Menschen zu ermöglichen, Teile ihrer Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung alternativ in die private Kapitalbildung zu investieren. Wie Prof. Dr. Michael Heuser, Wissenschaftlicher Direktor des DIVA, feststellt, ist die Bereitschaft dazu groß. 73% der gesetzlich Rentenversicherten wären bereit, bis zu 50% ihres eigenen Rentenbeitrags alternativ in die private Altersvorsorge fließen zu lassen. Nur 12% der Befragten wollen einzig und allein an der gesetzlichen Rentenversicherung festhalten, so die Umfrage. Heuser weist noch auf einen anderen Aspekt der Umfrage hin: Während laut Deutschem Altersvorsorge-Index des DIVA vom Frühjahr 2025 eine deutliche Mehrheit der Menschen in Deutschland eine Verschlechterung des Versorgungsniveaus der gesetzlichen Rente erwartet, sprechen sich 78% der Bundesbürger dafür aus, dass die langfristige, aktienbasierte Kapitalanlage zur Altersvorsorge staatlich gefördert wird. Altersvorsorge auf Kapitaldeckung erfreut sich also einer großen Unterstützung. Der Kreis schließt sich: Mehr Vorsorge auf Aktienbasis – mehr Kapitaleinkommen im Alter. Es ist an der Zeit.

Autor ist Dr. Hans-Jörg Naumer, Global Capital Markets & Thematic Research bei Allianz Global Investors. Neben zahlreichen Veröffentlichungen ist er Herausgeber und Autor mehrerer Bücher, u.a. zur Vermögensbildungspolitik und „Kapitaleinkommen in Zeiten der Disruption“.

Das Deutsche Institut für Vermögensbildung und Alterssicherung (DIVA) in Frankfurt/Main ist das führende Meinungsforschungsinstitut für finanzielle Verbraucherfragen in Deutschland. Die aktuelle Umfrage zum Deutschen Altersvorsorge-Index (DIVAX Altersvorsorge) wurde im Auftrag des DIVA im April 2025 von INSA-CONSULERE durchgeführt. Befragt wurden ca. 2000 Personen in Deutschland. Alle Ergebnisse sind auf der Website des DIVA zu finden.

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