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Ungleich verteilt und viel zu wenig genutzt: Die bAV zwischen Pflicht und Kür

Jens Denfeld, Senior Manager Human Capital, Deloitte
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Jens Denfeld, Senior Manager Human Capital bei Deloitte

Großunternehmen und Gutverdienende nutzen bAV-Angebote deutlich stärker als KMU und Geringverdiener, wie eine aktuelle Deloitte-Studie zeigt. Das enorme Potenzial der bAV bleibt nach wie vor ungenutzt.

Betriebliche Altersversorgung (bAV) gibt es in Deutschland seit rund 150 Jahren. Einige betriebliche Versorgungswerke wurden sogar noch vor der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) eingeführt. Und wenn sich auch seitdem sehr viel an der bAV geändert hat, so ist doch ein wesentliches Merkmal gleichgeblieben: die bAV war und ist freiwillig. Das gilt sowohl für Versorgungsleistungen, die vom Arbeitgeber zugesagt oder finanziert werden, als auch für von Arbeitnehmenden per Entgeltumwandlung selbst finanzierte Vorsorge.

Diese Freiwilligkeit führte langfristig zu einer heterogenen Verteilung von bAV-Ansprüchen: Während die ersten Versorgungswerke von großen Industrieunternehmen eingeführt wurden, ist die Verbreitung in manchen Branchen und vor allem aber unter kleinen Unternehmen deutlich weniger stark ausgeprägt. Tatsächlich sind die Informationen über die Verteilung von bAV bei deutschen Beschäftigten eher spärlich gesät. Die Deloitte bAV-Studie, die seit 2017 jährlich auf Basis repräsentativer Befragungen durchgeführt wird, schließt diese Informationslücke. 2024 wurden 2.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte befragt.

Verbreitung von betrieblicher Altersversorgung bei Arbeitnehmern

Laut den Befragten ist dabei der Anteil der Arbeitnehmern, die über einen vom Arbeitgeber finanzierten bAV-Anspruch verfügen, seit 2019 nicht gestiegen. Sowohl damals als auch 2024 gaben 49 Prozent der Studienteilnehmer an, eine vom Arbeitgeber finanzierte Altersvorsorge zu erhalten. Dabei zeigt sich sehr deutlich die Abhängigkeit des bAV-Angebots von der Unternehmensgröße: Bei Arbeitgebern mit 5.000 oder mehr Mitarbeitenden liegt die Durchdringung bei 67 Prozent, bei Arbeitgebern mit weniger als zehn Mitarbeitern nur bei 21 Prozent.


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Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei der Nutzung der Entgeltumwandlung zum Aufbau von Altersvorsorge ab. Die Teilnahmequoten sind zwar seit 2019 von 22 Prozent auf 42 Prozent gestiegen, liegen aber durchweg unter der für arbeitgeberfinanzierte bAV und weisen ebenfalls eine deutlich niedrigere Durchdringung bei kleinen Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern aus (17%) als bei Großunternehmen (52%).

Man muss konstatieren, dass die Entgeltumwandlung keineswegs eine fehlende arbeitgeberfinanzierte bAV substituiert. Die weitaus meisten Beschäftigten haben entweder sowohl eine arbeitgeber- als auch arbeitnehmerfinanzierte bAV (37%) oder keines von beidem (43%). Bei kleinen Unternehmen sind es 76 Prozent der Angestellten, die weder eine arbeitgeber- noch arbeitnehmerfinanzierte Vorsorge aufbauen. Im Wesentlichen dient die Entgeltumwandlung in der Praxis weniger dazu, eine Versorgungslücke zu schließen, als vielmehr zusätzliche Vorsorge aufzubauen.

Der gleiche Eindruck entsteht, wenn man die Teilhabe an bAV in Verbindung mit dem Einkommen der Arbeitnehmenden betrachtet. Je höher das Einkommen, desto höher ist auch die Durchdringung sowohl mit arbeitgeber- als auch arbeitnehmerfinanzierter bAV. Bei Monatseinkommen von weniger als 2.000 Euro liegt der Anteil der Beschäftigten mit arbeitgeberfinanzierter Altersvorsorge bei 29 Prozent (Entgeltumwandlung: 17%). Bei Monatseinkommen von mehr als 10.000 Euro erhalten 78 Prozent der Arbeitnehmer eine bAV vom Arbeitgeber (Entgeltumwandlung: 65%), Insgesamt liegt die geringste bAV-Quote bei männlichen und weiblichen Arbeitnehmern im Alter über 50 Jahren, bei Unternehmen mit unter 50 Mitarbeitern und unterdurchschnittlichem Einkommen vor: nur neun Prozent dieser Personengruppe verfügt über bAV.

Umgekehrt verfügen Beschäftigte im Alter über 40 mit Monatseinkommen über 7.300 Euro in Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitenden zu 94 Prozent über eine bAV-Absicherung. So bleibt festzuhalten, dass die Fortschritte, die in den letzten fünf Jahren in der bAV erzielt wurden, kaum zu einer insgesamt größeren Verbreitung von Ansprüchen geführt hat, vor allem nicht bei Arbeitnehmern mit niedrigen Einkommen. Diese Personengruppe wäre vermutlich nur mit einem Obligo zu erreichen.

Gestaltung von betrieblicher Altersversorgung

Die Gestaltung von bAV unterlag in den letzten 50 Jahren einem tiefgreifenden Wandel. Viele Versorgungszusagen waren ursprünglich aus einem Fürsorgegedanken heraus auf ein bestimmtes Versorgungsniveau unter Einbeziehung der gesetzlichen Rente ausgerichtet. In sogenannten Gesamtversorgungszusagen war es eine typische Zielgröße, unter Anrechnung der gesetzlichen Rente ein Niveau von rund 70 Prozent des letzten Einkommens vor dem Ruhestand zu erreichen.
Doch mit der steigenden Lebenserwartung, stagnierenden Belegschaften und damit wachsenden Rentnerbeständen in Relation zu aktiven Mitarbeitenden wuchs in den Unternehmen das Bewusstsein für die finanziellen Risiken, die in solchen Versorgungszusagen schlummern. Die Achtziger- und Neunzigerjahre waren dementsprechend davon gekennzeichnet, neue Typen von Versorgungszusagen einzuführen, die weniger Risiken beinhalteten. In aller Regel wurde auch das Versorgungsniveau (und damit die Kosten) der Versorgungszusagen von Generation zu Generation gesenkt.

Seit rund 25 Jahren haben sich in der Gestaltung von unmittelbaren Versorgungszusagen sogenannte beitragsorientierte Leistungszusagen (BOLZ) durchgesetzt. Die BOLZ vereint ein höchstes Maß an Flexibilität für die Mitarbeitenden mit risikoreduzierten Ansätzen für die Arbeitgeber. Durch eine Kapitalanlage der im Rahmen der Versorgungszusagen fälligen Beiträge kann zudem eine Bilanzberührung für die Unternehmen vermieden werden. Nicht zuletzt können die langen Anlagezeiträume in der bAV zur Erzielung attraktiver Renditen bei gleichzeitig niedrigen Risiken genutzt werden. Zudem ist von großer Bedeutung, dass Arbeitgeber und Beschäftigte im Rahmen einer BOLZ gemeinsam Versorgungleistungen aufbauen können.

Bei der Befragung der Arbeitnehmern zeigt sich, dass die Flexibilität eines bAV-Angebots einen hohen Stellenwert genießt. Wie schon in den vergangenen Jahren waren auch 2024 an erster Stelle unterschiedliche Auszahlungsmöglichkeiten gefragt. Auch an der Auswahl der Geldanlage besteht ein recht hohes Interesse. Dem gegenüber werden Bausteine für Hinterbliebenenleistung, Invalidenabsicherung und Pflege nachrangig gewichtet.

Großes Interesse an Auszahlungsoptionen

Hinsichtlich der Auszahlungsmöglichkeiten ist ein seit Jahren hohes Interesse an Kapitalauszahlungsoptionen zu beobachten. Im Jahr 2024 zogen 40 Prozent der Befragten eine einmalige Kapital leistung vor, 21 Prozent votierten für zehn jährliche Raten und 39 Prozent für eine lebenslange Rente. Die Kapitalzahlung ist hinsichtlich ihrer flexiblen Verwendung (37%) von hohem Interesse. Weitere 26 Prozent planen im Alter eine eigene Kapitalanlage und 18 Prozent möchten gern das mit einer Rentenzahlung verknüpfte Untergangsrisiko bei einer vermuteten unterdurchschnittlichen Lebenserwartung vermeiden.

77 Prozent der Teilnehmer sind an einem schrittweisen Eintritt in den Ruhestand interessiert, als häufigstes angestrebtes Ruhestandsalter werden 60, 63 und 65 genannt. Das mit Abstand am meisten genannte Ziel für den Ruhestand ist das Durchführen von Reisen (78%). Obwohl die Beschäftigten sich Flexibilität wünschen, sind die meisten bereit, ihren Eintritt in den Ruhestand mit einigem zeitlichen Vorlauf zu planen. 44 Prozent der Befragten würden sich fünf Jahre im Voraus festlegen, weitere 30 Prozent immerhin drei Jahre vorab.

Zusammenfassend kann man demnach feststellen, dass bAV umso attraktiver für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist, je mehr sie sich an individuelle Bedürfnisse anpassen lässt. Ganz besonders gilt das für die Auszahlung der Versorgungsleistung.

Autor Jens Denfeld ist Senior Manager Human Capital bei Deloitte.

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