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VKS-Kongress: Darum will Boris Palmer ein „Bundes-Ohrengesetz“ (mit Fotogalerie)

Foto: Cash.
Kongressraum im Crown Plaza Hotel in Frankfurt/Main.

Boris Palmer, der bekannte Oberbürgermeister Tübingens, fordert mehr Entscheidungsspielraum für lokale Behörden, weniger Detailvorschriften sowie die Vereinfachung von Verfahren – und macht einen speziellen Gesetzesvorschlag. Derweil erholen sich die Wohnimmobilienpreise weiter.

Der parteilose Palmer (früher Grüne) sieht für Kommunen, Unternehmen und Bürger die Belastungsgrenze durch unsinnige und überflüssige Bürokratie erreicht, die zudem Investitionen und wirtschaftliche Entwicklung behindert oder zumindest verzögert. Als Top Speaker beim diesjährigen „Sachwert Kongress“ des Verbands für Kapitalverwaltungsgesellschaften und Sachwertanbieter (VKS) in Frankfurt/Main lieferte er einige bizarre Beispiele aus seinem Rathaus für bürokratische Auswüchse, die auch die lokale Politik und die Behörden selbst verzweifeln lassen. 


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Unter anderem berichtete Palmer vom Bau einer Solaranlage in den „Ohren“ einer Schnellstraßenauffahrt in Tübingen. Gemeint sind damit die Flächen, die von den üblichen großen Bögen der Auf- und Abfahrten einer Autobahn oder Schnellstraße umschlossen werden und oft die Form eines Ohres haben. 

Obwohl die „Ohren“-Innenflächen komplett von Fahrbahnen umgeben und deshalb kaum anderweitig nutzbar sind, habe die Planungs- und Genehmigungszeit für die Solaranlagen wegen in diesem Fall unnötiger Vorschriften, langwieriger innerbehördlicher Abstimmungsprozesse bis nach Berlin und absurder Einwände acht Jahre gedauert, berichtete Palmer. Die Bauzeit waren dann acht Wochen.

„Das ist vollkommen abwegig“

Das Projekt wurde vom städtischen Stromversorger umgesetzt, der entsprechendes Stehvermögen hat. „Wenn Sie als einfacher Mittelständler eine Solaranlage bauen möchten: Wer tut sich das an, wer hält das durch, wer hat soviel Nerven und Geld? Das ist vollkommen abwegig“, so Palmer, der zum Thema „Mut zum Wandel – Der Mittelstand als Rückgrat der deutschen Wirtschaft“ referierte. 

Dabei seien „Ohren“ von Autobahnen generell bestens für Solaranlagen geeignet, dennoch sei in seinem Bundesland bislang noch keine weitere Bebauung geglückt. „In Baden-Württemberg warten noch 500 weitere Anträge auf Genehmigung“, so Palmer. Er hat deshalb einen einfachen Vorschlag: ein „Bundes-Ohrengesetz“ aus Berlin, wonach in ganz Deutschland der Bau von Solaranlagen in Autobahn-Ohren ohne weitere bürokratische Hürden grundsätzlich zulässig ist.

Boris Palmer / Foto: Cash.

Generell plädierte Palmer, der weniger von Bürokratieabbau und mehr von -vereinfachung sprach, für eine Generalklausel in Gesetzen, die Kommunen Freiheiten bei der Anwendung gibt und somit auch Entscheidungen vor Ort nach dem gesunden Menschenverstand erlaubt. Als positives Beispiel nannte er das im vergangenen Jahr verabschiedete Landeskindergartengesetz, das einen entscheidenden Satz enthalte: „Von allen Vorschriften dieses Gesetzes kann die Kommune abweichen“. 

IW-Experte Voigtländer über Wohnimmobilien

„Überbordende Regulierung“ war auch eines der Stichworte, die der Immobilienexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Prof. Dr. Michael Voigtländer, zu den Herausforderungen für die Immobilienwirtschaft und den Gründen für die Schwäche im Wohnungsbau zählt. Dazu kommen Fachkräftemangel, fehlendes Bauland und keine Produktivitätssteigerung seit 1990, so Voigtländer auf dem VKS Kongress.

Der Neubau werde somit voraussichtlich noch länger unter dem Bedarf bleiben, weshalb der Druck im Wohnungsmarkt hoch bleibe. Das führt zu deutlich steigenden Mieten, vor allem in den Großstädten und deren Umland. Unter anderem wegen spürbar gestiegener Reallöhne und weiterhin geringer Arbeitslosigkeit seien die Mieten trotzdem für viele tragbar, so Voigtländer.

Die Kaufpreise für Wohnimmobilien erholen sich derweil nach dem kräftigen Rückgang weiter. Sie haben sich seit Mitte 2024 stabilisiert und seit Anfang des Jahres 2025 hat der IW-Wohnindex zur Preisentwicklung wieder positive Vorzeichen. Der Anstieg war bei Einzelhäusern demnach zuletzt etwas größer als bei Eigentumswohnungen. 

Riesenbedarf und -chancen in der Bestandssanierung

Die Zukunft sei allerdings vor allem in Bezug auf die zuletzt volatilen Zinsen noch schwerer zu prognostizieren als sonst, so Voigtländer. Er sieht insbesondere in der Bestandssanierung enormen Investitionsbedarf und -chancen. Das Institut schätzt die zusätzlich notwendigen Bauinvestitionen bis 2030 auf jährlich 148 Milliarden Euro, davon allein 36 Milliarden Euro für die energetische Sanierung der Wohngebäude. 

Zum VKS Sachwert Kongress trafen sich am Dienstag und Mittwoch rund 220 spezialisierte Vertriebsexperten aus Emissionshäusern, Finanzvertrieben, Maklerpools sowie Vermittler von alternativen Investmentfonds (AIF) und anderen Sachwertanlagen in Frankfurt am Main – nach Angaben des Verbands ein Besucherrekord. Neben Palmer und Voigtländer als Top Speaker berichteten VKS-Mitglieder in Vorträgen und Panels über ihre Märkte und Produkte. Cash. war Medienpartner. 

P.S. Ein Blick auf die Satelliten-Ansicht von Google Maps verrät, dass es sich bei dem Palmer-Projekt offenkundig um den „Solarpark Lustnauer Ohren“ an der vierspurigen B27 in Tübingen handelt, der also tatsächlich nach den Körperteilen heißt. Zwei Ohren-Flächen der Auf- und Abfahrt sind demnach mit Solarmodulen bebaut. Nach Berichten der Lokalpresse ist inzwischen eine benachbarte, deutlich größere Fläche hinzugekommen, die zwischen der Bundes- und einer kleineren Parallelstraße eingeklemmt ist.

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