Kongress „Sachwerte Digital“: Crowdinvesting am Scheideweg

Staatssekretär Dr. Florian Toncar im Gespräch mit Aygül Özkan und Alexander Endlweber
Foto: Axentis.de / Georg J. Lopata
Staatssekretär Dr. Florian Toncar (links) im Gespräch mit Aygül Özkan (ZIA) und Veranstalter Alexander Endlweber (rechts).

Auch die hippe Branche der Crowdinvestments hat mit Regulierung zu kämpfen. Die Banken hinken bei der „Tokenisierung“ hinterher. Ein Staatssekretär gibt sich die Ehre, bleibt aber – mit einer Ausnahme – vage. Und kaum jemand stellt die Sinn-Frage.

Das waren die wichtigsten Eindrücke des Kongresses „Sachwerte Digital“ in der vergangenen Woche in Berlin. So wies Rechtsanwalt Heinz-Gerd Pinkernell, Partner in der Kanzlei LPA-GGV, darauf hin, dass in Europa bislang nur vier Plattformen über eine Zulassung nach der 2021 in Kraft getretenen EU-Verordnung für European Crowdfunding Service Provider (ECSP) verfügen. Darunter ist noch kein Unternehmen aus Deutschland.

Diese Zulassung ermöglicht Crowd-Plattformen nicht nur, europaweit auf Kundensuche zu gehen, sondern unter anderem, unbedingt rückzahlbare Darlehen anzubieten, also auch klassische Anleihen und besicherte Papiere. Das ist bislang Banken vorbehalten. Entsprechend hoch sind die Anforderungen an ECSP, etwa bezüglich Verhaltensvorschriften, Controlling und Dokumentation.

Plattformen ohne eine solche Zulassung müssen weiter auf die teilweise schlecht beleumundeten Nachrangdarlehen zurückgreifen. Pinkernell betonte, dass ESCP-Emissionen eine eigene Gattung darstellen und deshalb auch die Beschränkungen des Vermögensanlagengesetzes für „Schwarmfinanzierungen“ zum Beispiel bezüglich der Investitions-Höchstgrenzen für einzelne Anleger nicht gelten. Plattformen mit ECSP-Zulassung haben also einen enormen Wettbewerbsvorteil.

Regulierung offenbar unterschätzt

Angestrebt wird eine solche Lizenz auch von zwei Unternehmen aus dem Ausland, die bereits in Deutschland aktiv sind und sich auf dem Kongress in Berlin präsentierten: Dagobertinvest, Marktführer in Österreich, und die schnell expandierende Plattform Estateguru aus Estland, die in Deutschland noch auf die Raisinbank als „Frontingbank“ angewiesen ist. Sie werden wohl nicht die einzigen bleiben, die aus dem EU-Ausland nach Deutschland drängen.

Auch deutsche Crowdinvesting-Plattformen streben durchaus ECSP-Zulassungen an. Doch offenbar haben sie – ähnlich wie regelmäßig ihre Pendants aus dem klassischen Sachwertemarkt – die Regulierung, das Ausmaß der Bürokratie und die Dauer der Abläufe unterschätzt.

Das betrifft nicht nur ECSP. Den meisten Akteuren scheint nicht bewusst zu sein, dass ihnen bei ihrem Lieblings-Thema „Tokenisierung“, also der Digitalisierung von Produkten und Prozessen auf Basis der Blockchain-Technologie und digitaler Berechtigungsscheine („Token“), ein noch weit größeres Regulierungs-Ungetüm droht: Die MiCAR.

MiCAR vergleichbar mit MiFID

Das Kürzel steht für „Markets in Crypto Assets Regulation“, also eine EU-Vorschrift zur Regulierung der Krypto-Märkte. Sie umfasst nicht nur Krypto-„Währungen“, sondern auch tokenisierte Wertpapiere und demnach auch entsprechend digitalisierte Crowdinvestings.

Die MiCAR befindet sich in der Endphase der Verabschiedung und wird voraussichtlich ab 2023 mit Übergangsfristen in Kraft treten. Sie ist von Bedeutung und Umfang vergleichbar mit der EU-Richtlinie MiFID für Finanzdienstleister und Wertpapiere, wie Rechtsanwalt Dr. Thorsten Voß von der Kanzlei Schalast kürzlich bei einem Online-Pressegespräch betonte. Voß muss es wissen: Er stand einst selbst in Diensten der BaFin.

Voß zufolge ist die MiCAR-Definition für Kryptowerte weiter gefasst als die bisherige Definition im deutschen KWG und umfasst „eine digitale Darstellung von Werten oder Rechten, die unter Verwendung der Distributed-Ledger-Technologie oder einer ähnlichen Technologie elektronisch übertragen und gespeichert werden können.“ Der Begriff „Distributed-Ledger-Technologie“ steht für die dezentrale Speicherung von Daten, also zum Beispiel in einer Blockchain. Die MiCAR umfasst demnach auch alle Crowdinvesting-Token, sofern diese übertragbar sind (was regelmäßig der Fall ist, sonst macht die Sache wenig Sinn).

Crowdinvesting am Scheideweg

Künftig erfordern alle Leistungen von Krypto-Dienstleistern eine Genehmigung, betonte Voß. Dazu zählen nicht nur die Anbieter und die Dienstleister wie zum Beispiel Verwahrer selbst, sondern es gibt auch Vorschriften für die Produkte und Prospekte („Whitepapers“). In welcher Beziehung die MiCAR zur MiFID II, zum deutschen WpHG sowie wohl auch zur ECSP steht und welche Vorschriften im Zweifel Vorrang haben, ist im Detail noch nicht geklärt.

Ohne Zweifel ist die Krypto-Szene einschließlich Token also mit einer gewaltigen regulatorischen Herausforderung konfrontiert. Damit steht auch Crowdinvesting am Scheideweg. Die Branche wird sich wohl in jene Plattformen teilen, die die Herausforderung der Regulierung – mindestens die ECSP – bewältigen und jene, die das nicht schaffen.

Zwar spielte auch die MiCAR auf dem Kongress „Sachwerte Digital“ durchaus eine Rolle, aber das gewaltige Ausmaß dieser Regulierung ist – soweit sich aus den Vorträgen und Reaktionen schließen lässt – offenbar den wenigsten Akteuren bewusst. Die Situation erinnert an die klassische Sachwertbranche in der Zeit vor Einführung des KAGB im Jahr 2014, die seinerzeit zu einem dramatischen Aderlass unter den Anbietern geschlossener Fonds (heute: Alternative Investmentfonds) geführt hat.

Kaum jemand stellt die Sinn-Frage

Trotzdem stellte auf dem Kongress kaum jemand die Sinn-Frage, also die Frage, welchen Vorteil Tokenisierung gegenüber herkömmlichen digitalen Abläufen eigentlich bringt, wenn am Ende doch wieder staatlich zugelassene und beaufsichtigte Institute sowie Verwahrer involviert sein müssen und 1.000e von Regeln zu beachten sind (und ob andernfalls nicht vielleicht doch zuviel Schindluder getrieben wird).

Lediglich Dr. Maurizio Singh vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband wagte in der „Bankenrunde“ die Frage in den Raum zu stellen, wer denn die Kunden berät, wenn durch Tokenisierung doch die Intermediäre eingespart werden sollen. Ansonsten zogen die Vertreter der Bankhäuser M.M. Warburg, Hauck Aufhäuser Lampe und DZ Bank sowie dem Bundesverband Deutscher Banken nicht in Zweifel, dass Tokenisierung sinnvoll ist.

Die behäbigen Organisationen der Institute, die anspruchsvolle Umsetzung im Korsett von KWG und WpHG sowie die geringe Bereitschaft der Geschäftsleitungen zu Investitionen ohne kurzfristigen Deckungsbeitrag würden aber die Umsetzung behindern, so der Tenor. So bleibt das Token-Geschäft wohl weiterhin hauptsächlich den Startups und darauf spezialisierten Plattformen vorbehalten.

Angekündigte Erleichterung für Solardach-Immobilienfonds

Highlight des Kongresses war sicherlich, dass es Veranstalter Alexander Endlweber gelungen ist, Dr. Florian Toncar (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und enger Vertrauter von Finanzminister Christian Lindner (FDP), auf die Bühne zu holen. Toncar blieb in der Befragung durch Endlweber und Aygül Özkan vom Immobilienverband ZIA allerdings recht vage. Unter anderem sind digitale Grundbücher, die es erlauben würden, tatsächlich Immobilieneigentum zu „tokenisieren“ (und nicht nur Forderungen), demnach noch in recht weiter Ferne.

Hauptsächlich ging es um das geplante „Zukunftsfinanzierungsgesetz“, zu dem das Finanzministerium ein Eckpunktepapier vorgelegt hat. Dieses ist jedoch überwiegend unkonkret und liest sich eher wie ein Wahlkampf-Flyer der FDP. Toncar zufolge wird derzeit der Gesetzentwurf erarbeitet, der dann in die regierungsinterne Abstimmung sowie anschließend das parlamentarische Verfahren geht und in der ersten Jahreshälfte 2023 in Kraft treten soll.

Als konkrete Maßnahme kündigte Toncar lediglich an, ändern zu wollen, dass Immobilienfonds durch Solaranlagen auf dem Dach „keine Immobilienfonds mehr sind“. Gemeint ist damit offenkundig, dass Immobilienfonds heute durch den Betrieb von Solaranlagen unter Umständen ab bestimmten Grenzwerten steuerlich von „Vermietung und Verpachtung“ in die ungünstigeren „Einkünfte aus Gewerbebetrieb“ rutschen können. Das zu ändern, ist sicherlich richtig und für die Betroffenen wichtig, aber am Ende doch ein Detail. Relevant ist es wahrscheinlich weniger für die Crowdinvesting-Plattformen, sondern am ehesten für die klassische Sachwertbranche und ihre Immobilienfonds.

Mehr als 300 Teilnehmer

Zu dem Kongress „Sachwerte Digital“ haben sich mehr als 300 Teilnehmer aus den Bereichen Sachwertanlagen, Crowdinvesting-Plattformen und Dienstleister im „Café Moskau“ in Berlin-Mitte getroffen. Aus der klassischen Sachwertbranche wurden unter den Gästen unter anderem gesichtet: Andreas Heibrock (Patrizia Grundinvest), Christian Grall (Project Investment), Sven Mückenheim (Dr. Peters), Paul Schloz (Asuco), Lars Genz (Walnut), Alex Gadeberg (Fondsbörse), Frederik Voigt (ZIA), Christian Drake (Paribus Invest), Siegfried de Witt (Habona).

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