Wie wahrscheinlich ist der Italexit?

Dies ist aus zwei Gründen fraglich: Zum einen kann die gerade erst bestätigte Regierung von Giuseppe Conte zwar keinen Euro-Ausstiegsplan ankündigen, sie ist aber gewillt, mit der bisherigen Wirtschaftspolitik zu brechen: Die selbstverständliche Haushaltsdisziplin wird in Frage gestellt.

Die Finanzmärkte werden eine bewusste weitere Ausweitung der Haushaltsdefizite wohl kaum positiv aufnehmen. Dieses Risiko dürfte sich zunächst aber nicht allzu sehr auswirken, vor allem weil Italien noch einen kleinen Spielraum hat, bevor das Land in Gefahr gerät (es weist zurzeit ein geringeres Haushaltsdefizit als Frankreich auf und kann auf einen Leistungsbilanzüberschuss verweisen).

Ebenso ist vorstellbar, dass die Fixierung Salvinis auf die Migrationsfrage Brüssel oder dem deutsch-französischen Tandem einen Ansatzpunkt gibt, um im Austausch gegen ein Entgegenkommen in dieser Frage ein Wirtschaftsprogramm zu erhalten, das für die Märkte akzeptabel ist.

Geldpolitik verschleiert strukturelle Probleme

Die strukturellen Reformen in den einzelnen Mitgliedstaaten und die institutionellen Reformen auf EU-Ebene sind bisher kaum vorangekommen. Dieser Mangel wird durch die weiterhin aktive Unterstützung durch die Zentralbank und den günstigen Konjunkturzyklus verschleiert. Er kann jedoch offen zutage treten, wenn sich die Konjunktur in ein paar Monaten verlangsamt, und dies erst recht, wenn die Verlangsamung mit dem Auslaufen der Unterstützung durch die EZB zusammenfallen sollte.

Da die Reformen nicht ausreichten, um die Verschuldung zu senken, werden die Märkte den anfälligsten Peripherieländern noch nicht erlauben, zu haushaltspolitischen Mitteln zu greifen, ohne dass diese Intervention zu höheren Zinsen führt. Außerdem wird die Europäische Union zu diesem Zeitpunkt noch nicht über einen Haushalt verfügen, mit dem sie die Lücken in den anfälligsten Mitgliedstaaten füllen könnte.

Mit anderen Worten: Die schwächsten Länder werden am meisten ins Hintertreffen geraten, und auf diese Weise wird die wunderbare Konvergenzdynamik zwischen den Ländern der Eurozone, von der die Aktien-, Anleihe- und Kreditmärkte in den letzten sechs Jahren profitiert haben, plötzlich in Frage gestellt. Diese Aussicht allein rechtfertigt schon Emmanuel Macrons Verweise auf die Dringlichkeit, die die Umsetzung seines Reformprogramms in Frankreich besitzt.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass weder die Geld- noch die Haushaltspolitiken über das frühere Maß an Flexibilität verfügen werden, wenn es darum geht, die nächste Konjunkturverlangsamung in den Griff zu bekommen.

Für Anleger wird es in dieser nächsten Phase des Konjunkturzyklus folglich darauf ankommen, die Reflexe, die sie seit 2012 erworben haben, abzulegen und ihr Management der Marktrisiken von Grund auf zu überdenken.

Didier Saint Georges ist Mitglied des Investmentkomitees bei Carmignac

Foto: Carmignac

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