Deutsche Steuerpolitik: Wartet Godot hinter der nächsten Ecke?

Dr. Andreas Billmeier, Sovereign Research Analyst bei der auf Anleihen spezialisierten Legg Mason-Tochter Western Asset Management, erinnert die aktuelle deutsche Steuerpolitik an Becketts Stück. Im Marktkommentar unten und im Anhang analysiert er, ob Godot in Form einer expansiveren Steuerpolitik vielleicht sogar schon hinter der nächsten Ecke wartet.

Olaf Scholz (SPD), Bundesminister der Finanzen, will an Schwarzer Null festhalten.

„Um vorweg die Spannung gleich einmal zu nehmen: Godot ist vielleicht nah, wartet jedoch noch nicht gleich hinter der nächsten Ecke“, steigt Dr. Andreas Billmeier, Sovereign Research Analyst bei der auf Anleihen spezialisierten Legg Mason-Tochter Western Asset, in die Analyse der deutschen Steuerpolitik ein. Allerdings sei die aktuelle Entwicklung hin zu einer entgegenkommenderen steuerpolitischen Haltung auch eher intellektueller Natur. Denn die schwarze Null ist nach wie vor das Maß aller Dinge. „Es gibt jedoch zwei mögliche Handlungsstränge, die für Bewegung und damit zu konkreten expansiven Maßnahmen führen könnten: Entweder verschlechtert sich die wirtschaftliche Situation in Deutschland dermaßen, dass ein antizyklischer Anreiz nötig wird, oder aber es kommt zu einer strukturellen Veränderung beim Investitionsbudget sowie anderen Prioritäten bei den Ausgaben im Bundeshaushalt“, analysiert Billmeier weiter.

Gleichwohl wäre jedoch ein guter Beitrag an tatsächlichen Anreizen kurzfristig möglich – wenn das Budgetziel erreicht und nicht überschritten würde, glaubt der Experte von Western Asset. Denn im Schnitt habe die Bundesregierung in den letzten vier Jahren eine Budgetüberschuss von 1,3 Prozent erwirtschaftet. Diese Reserven für „schlechte Zeiten“, die sich in den wirtschaftlichen guten Jahren angehäuft haben, müssten also „nur“ genutzt werden.

Moderater Aufschwung

„Auf der zyklischen Seite zeigen aktuelle Daten einen moderaten Aufschwung: Der Einkaufsmanagerindex im Baugewerbe hat sich etwas erholt – ebenso wie die Automobilindustrie. Der Einkaufsmanagerindex bei Dienstleistungen war jedoch enttäuschend und könnte auf weiterhin schlechte weiche Daten hinweisen“, glaubt Billmeier. Alles in allem sei es gut möglich, dass die deutsche Wirtschaft um eine technische Rezession nicht herumkomme. Dennoch geht man bei der Legg Mason-Tochter davon aus, dass das Wirtschaftswachstum in 2019 positiv bleiben und es eine moderate Erholung in 2020 geben wird – obwohl auch Abwärtsrisiken durchaus ernstgenommen werden müssten.

Auf der strukturellen Seite falle das deutsche Grundkapital allerdings auch seit etwa einer Dekade. Investitionsbudgets könnten ebenso erhöht werden, wie man bei Haushaltsausgaben andere Prioritäten setzen könnte. „Jene Maßnahmen, die allerdings tatsächlich einen Unterschied machen könnten, fehlt eine breite Akzeptanz. Unter der jetzigen Koalition sind sie also schwer vorstellbar – vor allem auch, weil einige von ihnen einen klaren Bezug zum Klimaschutz haben“, glaubt Billmeier – auch, da das Klimapaket insgesamt ja deutlich moderater ausgefallen sei als erhofft.

Auswirkungen auf die Märkte

Für das letzte Quartal des Jahres erwarten die Experten von Western Asset gleich eine Fülle an Ideen für eine expansivere Steuerpolitik – vor allem, wenn das Wachstum im dritten Quartal erneut negativ ausfällt. Solche Meldungen könnten die Renditen deutscher Staatsanleihen in die Höhe treiben, sagt Billmeier, betont gleichzeitig aber auch, dass die wirtschaftliche und politische Situation im Land sich derzeit so gestaltet, dass es schwer ist, Raum für eine signifikante strukturelle steuerpolitische Dynamik zu schaffen. „Das Ziel für das Haushaltsdefizit wird in Deutschland auch weiterhin die schwarze Null sein – von der aktuellen Konjunkturdelle einmal abgesehen – und der Verschuldungsgrad wird weiterhin sinken, womit ein deutlicher, makro-getriebener Ausverkauf deutscher Staatsanleihen unwahrscheinlich wird“, sagt Billmeier.

Warten auf die Fiskalpolitik

Es gäbe Raum für Bewegung an der steuerpolitischen Front in Deutschland – allerdings glaubt Billmeier, dass der wirtschaftliche Abschwung dafür wesentlich deutlicher werden müsste. „Durch eine langfristige, strukturelle Brille betrachtet, gibt es durchaus wachsenden Anerkennung für die Rolle einer Bundesregierung, die sie für deutlich proaktivere Rahmenbedingungen für Infrastrukturinvestments einsetzt – die es teilweise auch zu finanzieren gilt. Kurzfristig wird das jedoch wenig gelten. Mittelfristig könnten aber gerade die Grünen als Teil der Regierung dafür sorgen, dass sich die Klimaausgaben erhöhen. Vermutlich wird das aber erst mit der kommenden Bundestagswahl 2021 etwas werden. Bis dahin zieht Godot noch seine Kreise“, schließt Billmeier ab.

Foto: Kay Nietfeld/dpa

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