Neue Ära der Schwellenländer

Asiatische Unternehmen handeln zunehmend aktionärsfreundlich. Das kommt Schwellenländer-Investoren zugute. Robeco sieht das Jahrzehnt der Schwellenländer aufziehen.

Schwellenländer stehen wieder hoch im Kurs.

„Schwellenländer werden von der Rotation von Wachstums- zu Substanzaktien profitieren“, fassen Wim-Hein Pals, Leiter des Emerging Markets-Teams, und Arnout van Rijn, Chefanlagestratege für den asiatisch-pazifischen Raum, anlässlich einer Robeco-Veranstaltung zusammen. Das vorliegende Resümee greift Marktentwicklungen auf, zeigt Probleme wie Lösungsansätze in der Anlageregion Asien und gibt Einblicke in die Investmentstrategie von Robeco.

In den vergangenen 25 Jahren hat sich das Investmentsegment „Emerging Markets“ dramatisch verändert: Hatten Mexiko und Malaysia Mitte der 1990er Jahre noch großes Gewicht, dominiert heute China – und Asien macht fast drei Viertel des Schwellenländer-Index aus. Zudem hat Lateinamerika sehr unter den sinkenden Rohstoffpreisen gelitten.

Asiatische Unternehmen sollten Aktionäre auf „amerikanische Art“ betrachten

Asiens Dominanz stellt Anleger vor eine neue Herausforderung, wie die Spezialisten von Robeco erläutern. Lange Zeit war es trotz starken Wachstums schwierig, in diesem Teil der Welt Renditen zu erzielen. Warum? Es fehlte an aktionärsfreundlichen Praktiken. Ein Beispiel dafür sind Bilanzen mit viel teurem Eigenkapital und niedrigen Gewinnausschüttungen.

Bemerkenswert dagegen findet van Rijn, dass in Lateinamerika trotz der niedrigeren Wachstumsraten in diesem Teil der Welt viele Unternehmen immer noch ansehnliche Renditen erwirtschaften. Seiner Überzeugung nach hängt dies damit zusammen, dass sie Managementmethoden anwenden, die in den angelsächsischen Ländern üblich sind. „Unternehmen werden dort im Interesse der Aktionäre geführt. Wir wollen erreichen, dass asiatische Unternehmen Aktionäre ebenfalls mehr auf ‚amerikanische Art‘ betrachten“, sagt van Rijn. „Unter anderem indem sie ihre Bilanzen effizienter gestalten. Bislang betrachten sie Eigenkapital als kostenloses Finanzmittel, selbst wenn es aufgrund der Bilanzposition effizienter wäre, sich Fremdkapital zu beschaffen. Wir versuchen, den Managern der Unternehmen aufzuzeigen, dass sie durch Fremdkapitalaufnahme eine höhere Eigenkapitalrentabilität erreichen können.“

Viele Führungskräfte asiatischer Unternehmen halten es immer noch für ein Zeichen von Schwäche, Dividenden zu zahlen. Neue Generationen von Managern verstehen aber laut van Rijn besser, dass das nicht so ist: „In den Schwellenländern ansässige Pensionskassen, die höhere Dividenden wollen, schließen sich dieser Diskussion an.“ Beispiel Südkorea: Dort ist der an die Aktionäre verteilte Prozentsatz der Gewinne von bescheidenen 17 Prozent auf 30 Prozent gestiegen. Diese Ausschüttungsquote ist immer noch viel geringer als in Taiwan mit 60 Prozent und liegt auch deutlich unter dem weltweiten Durchschnittswert von 40 Prozent. Darüber hinaus stellt Pals fest: „Was die Behandlung von Aktionären betrifft, ist Russland ein dramatischer Fall. Allerdings war die Situation zu Beginn dieses Jahrhunderts noch deutlich schlimmer. Staatlich kontrollierte Unternehmen haben ihre Minderheitsaktionäre allmählich stärker im Blick.“

Eigenkapitalrendite ist wichtiger als Wachstum

Die Gespräche, die die Experten mit Unternehmensvorständen führen, bilden bei Robeco zudem die Grundlage der ESG-Politik für Schwellenländer: Diese zielt unter anderem auf eine Verbesserung von Managementpraktiken ab, sodass das hohe Wachstum in diesen Ländern auch zu stärkeren Ertragssteigerungen und höheren Gewinnausschüttungen führt, von denen die Anleger profitieren.

„Zurzeit sind Schwellenländer-Aktien ausgesprochen billig“, hebt Pals hervor. „Bei den Kurs-Gewinn-Verhältnissen gibt es gegenüber den Industrieländern Abschläge von 30 Prozent – verglichen mit einem historischen Durchschnitt von etwa 10 Prozent. Dies dient als Ausgleich für höhere Risiken und geringere Liquidität.“ Pals und van Rijn erwarten, dass die zwischen Industrie- und Schwellenländern bestehenden Unterschiede bei den Bewertungskennzahlen allmählich verschwinden werden. So sagt van Rijn: „Anleger sollten sich nicht allein auf Wirtschaftswachstum fixieren. Die Schwellenländer werden zwar auch in den nächsten Jahren stärker wachsen als die Industrieländer. Wichtiger ist aber die Eigenkapitalrendite.“

Generell ist Robeco eher in Substanz- als in Wachstumsaktien übergewichtet. Erstere stehen aktuell stärker in der Gunst der Anleger, nachdem sich die weltweite Performance von Wachstumstiteln in den letzten zehn Jahren verbessert hat. Mit Blick auf die unter dem Akronym „FAANG“ zusammengefassten Aktien von Facebook, Apple, Amazon, Netflix und Google in den USA erklärt Pals: „Die FAANG-Papiere erzielen Renditen, mit denen kein Sektor mithalten kann. Die Börsen der Schwellenländer können sogar noch stärker von der Rotation weg von Wachstums- hin zu Substanzaktien profitieren, denn wir finden in den Schwellenländern weitaus mehr unterbewertete Unternehmen als in den Industrieländern. Teils als Folge hiervon könnten die nächsten zehn Jahre durchaus zum Jahrzehnt der Schwellenländer werden.“

Währungen beeinflussen bei Schwellenländeranlagen den Erfolg

Als aktiver Investor ist Robeco nicht nur in Unternehmen, sondern auch in Ländern unter- oder übergewichtet – zum Teil, um Währungsrisiken zu begrenzen. Denn die Abwertung einer Lokalwährung kann die Rendite für Investoren in Schwellenländern auch dann zunichte machen, wenn sie die „richtigen“ Unternehmen ausgewählt haben. „Währungen entscheiden in diesem Segment maßgeblich über Anlageerfolg und -misserfolg“, bringt van Rijn es auf den Punkt. „Vor 25 Jahren gab es erhebliches Wachstum, verbunden mit riesigen Außenhandelsdefiziten. Heute erwirtschaften viele Schwellenländer bedeutende Überschüsse. Dies wiederum bedeutet, dass Währungen viel weniger anfällig und die betreffenden Volkswirtschaften wesentlich robuster sind. Dennoch werden schwache Länder nach wie vor von Krisen erfasst. Anleger am Rentenmarkt beobachten dies sorgfältig und reagieren schnell. Dessen muss man sich bewusst sein.“

Pals ergänzt: „Länder mit einem Defizit sind in unserer Strategie untergewichtet. Das macht sich auf lange Sicht bezahlt.“ Robeco ist in China leicht übergewichtet. Pals weiter: „Wir interessieren uns weniger für die alte Industrie und bevorzugen stattdessen Konsumgüter. Die Umwandlung von Wirtschafts- in Gewinnwachstum wird vor allem im ‚neuen’ China stattfinden. Und das sind die Unternehmen, die vom Handelskrieg weniger betroffen sind.“

Südkorea und Taiwan könnten in zehn Jahren als Industrieländer gelten

Das Schwellenländer-Universum ist nicht statisch: Als Robeco – seit 1930 in Schwellenländern investiert – im Jahr 1994 ein auf Emerging Markets spezialisiertes Team zusammenstellte, fehlte China fast völlig im Portfolio. Heute hat das Land ein Gewicht von 32 Prozent. Vietnam und Pakistan, zwei als „Frontier-Märkte“ eingestufte Länder, sind für eine Höherstufung zu „Schwellenländern“ vorgemerkt. Südkorea und Taiwan dürften nach Einschätzung von Pals und van Rijn in zehn Jahren als Industrieländer gelten. „China ist somit ein stabilisierender Faktor im Schwellenländer-Segment“, erklären die Robeco-Experten.

Insgesamt haben die Schwellenländer in globalen Indizes derzeit ein Gewicht von 13 Prozent, obwohl ihr Anteil an der Weltwirtschaft 60 Prozent beträgt. Dies ist zum Teil auf eine Unterbewertung und auf die geringere Zahl börsennotierter Unternehmen zurückzuführen. Doch das wird sich ändern. Ein unterstützender Faktor ist die wachsende Bedeutung professioneller Anleger an den lokalen Märkten. Mit Blick auf den Markt kommt van Rijn zu dem Schluss: „Kleinanleger, die ihre Anlageentscheidungen häufig auf Basis von Gerüchten treffen, geben derzeit den Ton an. Institutionelle Investoren spielen aber eine zunehmende Rolle am Markt, was mit dem Wachstum von Pensionskassen und Versicherungsgesellschaften zusammenhängt. Diese investieren nicht auf der Grundlage von Anlagetipps, sondern achten auf Faktoren, die tatsächlich für langfristige Renditen sorgen.“

Foto: Shutterstock

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