Zinswende: „Einige Akteure haben sich sicherlich wieder verzockt“

Mit der ersten Zinserhöhung seit elf Jahren reagieren Europas Währungshüter auf die Rekordinflation. EZB-Präsidentin Christine Lagarde kündigte an, im Juli die Leitzinsen im Euroraum um jeweils 25 Basispunkte anheben zu wollen. So bewerten Asset Manager und Immobilienspezialisten den Schritt und die Folgen für ihr Marktsegment.

Christian Horf, Mitglied des Vorstandes der Commerz Real

Trotz der zu erwartenden Zinsschritte ist in der Eurozone weiterhin mit einem deutlich negativen Realzins, das heißt inflationsbereinigtem Zins, zu rechnen: Die Inflation wird bis auf Weiteres höher liegen als das Niveau an den meisten Zinsmärkten. Daran haben sich Kapitalanleger in den vergangenen Jahren grundsätzlich bereits gewöhnen müssen, doch mit diesem historischen Ausmaß betreten sie Neuland.

In diesem Inflations- und Zinsumfeld erfüllen Sachwerte für Investoren eine mögliche Schutzfunktion.

Eine Gefahr für die Immobilienmärkte in Europa könnte von einem unvorhergesehenen und extrem starken Zinsanstieg ausgehen, denn dann würde die Finanzierung teurer und es drohten mögliche Bewertungskorrekturen, da Investoren ihre Renditeerwartungen erhöhen und die Kaufpreisvervielfältiger entsprechend senken würden.

Ich halte eine starke Bewertungskorrektur in den Core-Lagen aber für unwahrscheinlich.

Für die Anleger offener Immobilienpublikumsfonds entfallen in einem Umfeld steigender Zinsen zukünftig die Guthabengebühren auf die vorzuhaltende Liquidität. Im Gegenteil: Mit den Liquiditätsreserven können womöglich bald schon wieder positive Zinserträge erzielt werden, was sich in der Rendite bemerkbar machen wird.

Christian Horf, Commerz Real (Foto: Commerz Real)

Marc Brütsch, Chefökonom der Swiss Life AG:

Die Ankündigung kommt im Rahmen unserer Erwartungen. Es macht in Anbetracht der aktuell hohen Inflation Sinn, dass die EZB die Normalisierung der Geldpolitik vorantreibt und es ist daher zu erwarten, dass die Leitzinsen im zweiten Halbjahr 2022 in rascher Folge angehoben werden. Der starke Anstieg der Kreditprämie für Anleihen der peripheren Länder Italien, Griechenland oder Spanien zeigt aber, dass die EZB sehr sorgfältig mit der Bewirtschaftung ihrer Bilanz und der künftigen Ausrichtung der Anleihekaufprogramme umgehen muss. An den Finanzmärkten wird eine graduelle Straffung der Geldpolitik bereits vorweggenommen. In unserem Basisszenario gehen wir davon aus, dass es den führenden Notenbanken gelingt, mittelfristig die Inflationsraten wieder an ihre Zielwerte heranzuführen. Im Fall der Eurozone wird sich die Inflationsrate ab 2024 wieder auf einem Niveau «nahe bei, aber unter 2%» einstellen. In einem solchen wirtschaftlichen Umfeld ist der Anstieg der Langfristzinsen bereits weitgehend vollzogen, für Deutschland rechnen wir bis 2024 mit einer Schwankungsbreite der Rendite auf eine Bundesanleihe mit zehn Jahren Laufzeit zwischen 1.2% und 1.7%.

Betreffend Immobilienfinanzierung erwarten wir keine weiteren starken Veränderungen. Die bereits angestiegenen Finanzierungskosten haben die Bedingungen für viele Investoren aber bereits verändert und wir prüfen die Finanzierung jedes Assets genau, auch aufgrund der aktuell hohen Unsicherheit betreffend Preissetzung im Markt. Wir erwarten, dass sich die Unsicherheit in den nächsten Monaten mit sinkender Inflation und klarerer Zinserwartung wieder legt.

Marc Brütsch, Swiss Life (Foto: Swiss Life)

Axel Drwenski, Head of Research, KGAL:

Die zögerliche und nur geringfügige Anhebung des Leitzinses sorgt für Turbulenzen auf den Anlagemärkten. Dies ist für den Immobilienmarkt etwas verwunderlich, ist doch allen Akteuren seit langem klar, dass das „Null-Zins“ Regime der letzten Jahre endlich ist. Doch trotzdem haben sich sicherlich wieder einige Akteure „verzockt“ und stehen nun am Ende des Zinszyklus mit einer unzureichenden Finanzierung dar oder sehen ihre Wertsteigerungsphantasien platzen. Doch neben diesen gibt es die große Mehrzahl von Assetmanagern und Anlegern, die vorsichtig und vorausschauend ihr eignes oder das Geld ihrer Kunden angelegt haben. Sie werden trotz des aufziehenden Gegenwindes nicht in Turbulenzen geraten.

Es ist wie das Kartenspiel für Kinder „Schwarzer Peter“: Wer am Ende die falsche Karte hat, verliert das Spiel. Auf den Immobilienmarkt übertragen heiß dass, wer am Ende des Zinszyklus die falsche oder eine unzureichende Finanzierung oder die falschen Wertsteigerungsannahmen hat, hat ein Problem. Die anderen Mitspieler wie wir hingegen, können sich zurücklehnen und sich auf die nächste spannende Runde freuen.

Alexander Drwenski, KGAL (Foto: KGAL)

Holger Lüth, CFO der Domicil Real Estate AG

Die Bauzinsen sind in Erwartung der EZB-Zinserhöhung und aufgrund seitens der Banken erhöhter Risikovorsorge ohnehin schon seit Anfang des Jahres gestiegen. Mit der beschlossenen Erhöhung werden die Zinsen vermutlich weiter steigen – der Anstieg wird sich aber in Grenzen halten. Für Unternehmen, die sich kurzfristig variabel finanzieren, dürfte sich wenig ändern. Bei negativen Leitzinsen sind üblicherweise die Referenzzinssätze bei 0,00 % gefloort. Die aktuell stark steigenden Baukosten im Neubausegment machen zudem die Bestandsimmobilie wieder vergleichsweise attraktiver.

Holger Lüth, Domicil Real Estate (Foto: Domicil Real Estate)

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