EXKLUSIV

Baufinanzierung: „Der Preis-Spread zwischen gut und schlecht sanierten Immobilien wird immer größer“

Thomas Hein (links) und Carsten Brzeski, beide ING Deutschland
Foto: Frank Seifert
Carsten Brzeski (rechts) und Thomas Hein, beide ING Deutschland, über die wirtschaftliche Lage hierzulande und die Folgen für die Immobilienfinanzierung.

Carsten Brzeski, Chefvolkswirt, und Thomas Hein, Leiter Vertrieb Immobilienfinanzierung bei der ING Deutschland, über notwendige Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland und wie sich das Baufinanzierungs-Geschäft nachhaltig stärken lässt.

Herr Brzeski, es macht mal wieder der Begriff vom „Kranken Mann Europas“ die Runde, wenn es um Deutschland geht. Wie schlimm ist die Lage aus Ihrer Sicht tatsächlich?
Brzeski: Tatsächlich ist die Lage kritisch. Warum? Deutschland befindet sich bereits seit vier Jahren wirtschaftlich mehr oder weniger in einer Stagnation. Und nicht nur das: Wir verzeichnen das zweite Jahr nacheinander eine Mini-Rezession, die Industrieproduktion liegt aktuell immer noch zehn Prozent unter Pandemie-Level und im internationalen Wettbewerb sind wir innerhalb von nur zehn Jahren von Rang 5 (2014) auf Platz 20-25 (2024) gesunken. All das ist alarmierend und zeigt: Wir haben in den letzten Jahren viel zu wenig investiert, was sich in Rückständen vor allem bei der Digitalisierung, bei der Infrastruktur und bei der Bildung manifestiert. Fakt ist leider auch: Deutschland ist aktuell das Land in Europa, das am wenigsten wächst.
Hein: Diese Einschätzung können wir für die Immobilienbranche nur unterschreiben. Auch hier stagniert die Entwicklung bei Bauträgern und Projektentwicklern und dringend erforderliche Großprojekte in der Bauwirtschaft lassen auf sich warten – mit einer kleineren Ausnahme, dem öffentlichen Bau. Baukosten sind hoch und schwer längerfristig zu kalkulieren, Innovationen lassen auf sich warten genauso wie digitale Lösungen zur Kostensenkung – all das hängt eng mit der von Carsten beschriebenen Nicht-Entwicklung in Deutschland zusammen. Die Bauwirtschaft kann sich erst erholen, wenn sich die beschriebenen Rahmenbedingungen wieder bessern und das auch nur mit zeitlichem – Stichwort „Baugenehmigungs-Versatz“.
Brzeski: Auch das zeigt: Wir sind in Deutschland aktuell in einer Situation, in der uns konjunkturelle (Inflation und Zinsen) und strukturelle (Wettbewerbsfähigkeit und gesamtwirtschaftliches Geschäftsmodell) Gegenwinde fest im Griff haben.

Welche Reformen müssen aus Ihrer Sicht vordringlich angegangen werden?
Brzeski: Vor allem müssen wir in die Digitalisierung, Infrastruktur und Bildung investieren. Nur so können wir dem Investitionsstau und der allgemeinen Unsicherheit begegnen. Dafür sind Reformen dringend erforderlich. Allen voran muss die Bürokratie abgebaut werden. Und vom Staat müssen Anreize für die Privatwirtschaft gesetzt werden, die Investitionen im Land fördern. Auch eine Steuerreform oder zeitliche Steuererleichterungen sind denkbar. Wir brauchen allerorts Impulse, um die große Schockstarre, in der wir uns gerade befinden, aufzulösen. Der Fall der Ampel-Koalition hat gezeigt, dass es immer noch keine Einigkeit in der Politik gibt über den richtigen Weg raus aus der Schockstarre. Meine Hoffnung ist, dass die nächste Bundesregierung in der Lage ist, das Land mit einem deutlichen Plan und einer deutlichen wirtschaftspolitischen Strategie wieder wachzurütteln.
Hein: Bürokratie ist auch in der Immobilienbranche ein großes Thema. Wir brauchen u. a. schnellere Baugenehmigungen. Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) hat sich – zusammen mit den Partnern aus dem Bündnis bezahlbarer Wohnraum – das Ziel gesetzt, den Wohnungsbau einfacher, schneller und effizienter zu machen. Das Planen und Bauen nach dem sogenannten „Gebäudetyp E“. Das sind Ansätze, die in die richtige Richtung gehen. Aber es muss noch mehr passieren. Warum fokussiert man sich beim Thema Heizung allein auf Wärmepumpen? Warum setzt man nicht ebenso auf alternative Technologien? Ein weiteres gutes Thema: Das serielle Bauen. Es geht darum, Innovationen zu entwickeln und Alternativen Raum zu geben. Dann muss ich als Staat keine Vorgaben machen, sondern biete Lösungen an. Das wird helfen, die Stimmung weiter zu verbessern.

Stichwort Zinsen: Es herrscht verkehrte Welt – die EZB hat weit vor der FED den Zinslockerungszyklus begonnen und bereits nachgelegt. Wie bewerten Sie den Schritt?
Brzeski: Die FED hat ja mittlerweile auch nachgelegt. Allerdings scheinen die Notenbanken allgemein etwas entspannter auf die Inflation zu schauen, da macht die Konjunktur mehr Sorgen. Dank der erfolgreichen akuten Inflationsbekämpfung im letzten Jahr konnten die Leitzinsen seit dem Sommer langsam gesenkt werden. Jetzt sehen wir eine beschleunigte Phase der Zinssenkung. Vor allem die EZB scheint zu erkennen, dass die konjunkturellen und strukturellen Probleme in Deutschland auch für Gesamt-Europa zutreffen. Allerdings haben uns die Notenbanken in den letzten Jahren schon häufiger überrascht und man darf nicht ausschließen, dass die EZB doch noch Angst vor der eigenen Courage bekommt und die Zinsen nicht so weit senkt, wie die Märkte das aktuell denken. Wir sehen jedenfalls strukturell einige Gründe, die mittelfristig für eine höhere und gegen eine niedrigere Inflationsrate sprechen.
Hein: Auch wenn der Leitzins nicht das gleiche wie der Baufinanzierungszins ist: Die großen Zinsentwicklungen sind aktuell schon eingepreist. Die positive Stimmung sorgt in der Baufinanzierung dafür, dass wir deutlich besser als noch vor 1,5 Jahren dastehen. Die Menschen machen sich wieder mehr Gedanken über Eigentum und darüber, wie sie es gut finanzieren.

„Die Talsohle scheint durchschritten“

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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