Mehr Freiheit für die Riester-Rente

Foto: picture alliance / dpa Themendienst | Andrea Warnecke

18 Jahre Riester-Rente: 2002 wurde die Riester-Rente aus der Taufe gehoben, um mithilfe staatlicher Zulagen die private Vorsorge zu stärken. In diesen 18 Jahren hat die Riester-Rente einige Veränderungen erlebt, doch beliebter ist sie dadurch in den letzten Jahren nicht geworden. Nach Ansicht der Sutor Bank und des Instituts für Vermögensaufbau ist es jetzt höchste Zeit, Entscheidungen zu treffen, um die Riester-Rente zukunftsfest zu machen.

Seit 2013 stagniert die Zahl der Riester-Verträge mehr oder weniger, seit 2017 nimmt die Anzahl sogar sukzessive ab. Von den bestehenden rund 16,5 Millionen Verträgen ist jeder fünfte ruhend gestellt. Die Zukunft – ungewiss. Ein wesentlicher Punkt betrifft die Bruttobeitragsgarantien. „Damit die Riester-Rente endlich ihr Potenzial entfalten kann, braucht sie mehr Freiheiten“, sagt Robert Freitag, geschäftsführender Gesellschafter der Sutor Bank.

„Um die Riester-Rente nun zügig weiter zu entwickeln, ist eine pragmatische Herangehensweise gefragt. Es lässt sich dafür sehr gut an bereits Vorhandenem orientieren“, ergänzt Dr. Dirk Rathjen, Vorstand beim Institut für Vermögensaufbau. Die Rürup-Rente und ein Blick nach Schweden könnten dabei besonders helfen.

Niedrigzins und Garantien führen für Produktgeber und Sparer in eine Sackgasse

Die Bruttobeitragsgarantie sieht Dr. Dirk Rathjen als die große Krux der Riester-Rente an – und sieht als Hauptursache die EZB-Politik: „Die Niedrigzinspolitik macht 100-Prozent-Garantien, wie sie bei Riester vorgeschrieben sind, auf Dauer für neue Verträge unmöglich“, erklärt Dr. Rathjen. Die EZB-Kapitalmarktpolitik und ihre staatliche Zinssteuerung hätten die Zinsen in eine regelrecht absurde Tiefe getrieben. Der Blick auf die Renditen von Staatsanleihen verschiedener Länder und Laufzeiten zeige ein tiefrotes Tableau, bis auf wenige Ausnahmen etwa in Europa bei langen Laufzeiten.

„Ist es – bei aller Solidarität für Südeuropa, die auch wir gut und wichtig finden – fair, dass Sparer, die zum Beispiel Spanien für acht Jahre Geld leihen, trotz des Risikos keine Zinsen bekommen, sondern sogar Geld drauflegen müssen, weil die Zinsen spanischer Staatsanleihen negativ sind?“, führt der Experte aus. Die Inflation sei dabei noch nicht einmal berücksichtigt. Zudem hätten die niedrigen Zinsen die Immobilienpreise in Höhen getrieben, die vielen EU-Bürgern den Erwerb einer Immobilie unmöglich machten. 

„Es wäre erfreulich, wenn die Gegner der Anpassung der Garantieerfordernis erklären würden, wie man bei negativen Zinsen eine Garantie von 100 Prozent geben soll. Die Abschaffung oder zumindest die Absenkung der Garantie ist durch die EZB-Politik der letzten Jahre unverzichtbar geworden und es muss schnell gehen, wie die Arbeit am Risikobegrenzungsgesetz verdeutlicht“, sagt Rathjen. Eine Konsequenz zeichnet sich bereits ab: Viele Produktanbieter denken darüber nach, sich Anfang nächsten Jahres ganz aus dem Feld der Riester-Rente zurückziehen, was das Angebot massiv einschränken würde. Der Handlungsdruck auf die Verantwortlichen in der Politik steigt dadurch weiter.

Beim Sparer wiederum schlagen Niedrigzinsen und Garantien kräftig auf die Rendite. „Für die Mehrheit der Bevölkerung ist es ohnehin schon kaum möglich, ihre Altersvorsorgeziele zu erreichen. Auch dieser bitteren Realität sollten sich die Verfechter der 100-Prozent-Garantie stellen“, erklärt Robert Freitag von der Sutor Bank. 

Plädoyer für mehr Zutrauen in die Mündigkeit der Vorsorgenden

Aus dem Blickwinkel der Zielgruppe stellt sich nach Ansicht von Robert Freitag die Frage: „Warum sollte nicht jeder selbst frei entscheiden können, ob er eine Beitragsgarantie haben möchte oder nicht?“ Selbst das ließe sich weiter ausdifferenzieren – in Garantie-Staffelungen zwischen 0 und 100 Prozent. „Muss man Menschen denn wirklich bis in jeden Winkel hinein ‚vor sich selbst schützen‘?“, gibt Freitag zu bedenken.

Lediglich eine Lockerung der Garantiepolitik, wie sie von vielen derzeit gefordert wird, greife zu kurz. „Das Bedürfnis vieler Menschen, über die Anlagemodalitäten mit zu entscheiden, wird von der Politik unterschätzt. Immer wieder wird die Vollkaskomentalität der Deutschen kritisiert, doch wer nicht mehr Entscheidungsfreiheit gewährt, wird an der Situation nichts ändern“, stellt Robert Freitag fest. Produkte, die mehr Entscheidungsfreiheit lassen, gebe es längst – und könnten ein Vorbild sein.

Rürup-Rente zeigt, was möglich ist

Die Rürup- oder Basisrente, die sich primär an Selbständige richtet, bietet nach Einschätzung von Robert Freitag im Gegensatz zur Riester-Rente genau diesen Vorteil – nämlich den Verzicht auf den Zwang zu einer Beitragsgarantie. „Das Renditepotenzial steigt auf diese Weise deutlich an und hilft damit auf der einen Seite ganz entscheidend dem Sparer, aber auch den Produktgebern, indem sie der Niedrigzins-Bredouille entgehen“, sagt Robert Freitag. „Sicherlich gibt es dabei noch einigen Adaptionsbedarf, doch könnte die Basisrente im wahrsten Sinne des Wortes eine sehr pragmatische Basislösung für eine Riester-Reform sein.“ 

Nach Beobachtung von Robert Freitag bewerten viele die nicht vorgeschriebene Beitragsgarantie bei der Rürup-Rente jedoch eher als Nachteil. „Wer sich beispielsweise im Internet über die Rürup-Rente informieren möchte, findet nicht wenige Informationsseiten, auf denen der Verzicht auf eine Beitragsgarantie explizit als Nachteil aufgeführt ist. Das zeigt: Ein Mentalitätswandel fängt schon bei der Kommunikation an“, so Freitag.

Schweden macht’s vor

Auch ein Blick über Deutschland hinaus hilft. „Zwar ist Deutschland nicht das einzige Land, in dem Beitragsgarantien derart fest verankert sind – auch in Frankreich und insbesondere in den Niederlanden gibt es eine lange Garantietradition. Doch es gibt viele Länder, die es anders machen“, analysiert Dr. Dirk Rathjen vom Institut für Vermögensaufbau.

Beispiel Schweden, das als Vorreiterland im Bereich Altersvorsorge gilt: Neben einer quasi obligatorischen betrieblichen Altersvorsorge gibt es dort die kapitalgedeckte „Prämienrente“ als weiteren Vorsorgebaustein. 2,5 Prozent des Einkommens fließen dabei obligatorisch in einen oder mehrere Fonds, die ein Sparer aus einigen Hundert zertifizierten Fonds auswählen kann. „Dies funktioniert auch ohne Beitragsgarantie, mit einer günstigen und transparenten Kostenstruktur und vor allem einer einfachen Handhabung“, fasst Dr. Rathjen zusammen. 

Bleibt noch ein Blick auf EU-Ebene: Mit dem „Pan-European Personal Pension Product“, kurz PEPP, kommt voraussichtlich Ende 2021 eine Lösung auf den Markt, die möglichst viele Menschen innerhalb der EU zum Altersvorsorgesparen animieren soll. Online-Vertrieb, eine obligatorische Beratung und eine einfache wie kostengünstige Standardversion sollen für regen Zulauf sorgen.

Das sogenannte Basis-PEPP wird mit verschiedenen Kapitalschutz-Varianten angeboten, eine Kapitalgarantie soll es nicht geben. „Die PEPP-Initiative ist ein begrüßenswertes Vorhaben, bei dem sich jedoch die Frage stellt, wovon bei den niedrigen Kosten Berater bezahlt werden sollen. Über 90 Prozent der Deutschen schließen trotz der offensichtlich höheren Kosten ihre Altersvorsorge bei Beratern ab, weil sie den Rat brauchen“, erklärt Rathjen. 

Fazit: mehr Freiheit für die Riester-Rente

Bruttobeitragsgarantien sind nach Einschätzung von Dr. Dirk Rathjen und Robert Freitag ein Korsett, das Sparer und Produktgeber gleichermaßen einschnürt. Pragmatische Lösungen seien in Reichweite, doch wie man daraus eine Brücke zur Riester-Rente schlagen könnte, scheine bislang kaum eine Rolle zu spielen. Was in Berlin zum Thema Riester geköchelt werde, bleibe schwer zu durchschauen. Die Gesetzesnovelle dulde jedoch keinen Aufschub. „Gönnen wir der Riester-Rente etwas mehr Freiheit, ohne Garantiezwang, um erwachsen zu werden“, erklären Rathjen und Freitag.

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