USA: „Das Risiko einer Finanzkrise ist erheblich“

Dr. Andreas A. Busch, Senior Economist bei Bantleon, rechnet in den USA mit einer schweren Wirtschaftskrise und nennt die Gründe

In den USA hat die Fed die Leitzinsen innerhalb kürzester Zeit so kräftig angehoben wie seit den 1980er Jahren nicht mehr. Unternehmen und Haushalte wurden dadurch kalt erwischt. Unter anderem haben sich die Hypothekenzinsen mehr als verdoppelt, was noch nie in den zurückliegenden 50 Jahren vorgekommen ist. 

Wenig verwunderlich gerät der US-Immobilienmarkt dadurch massiv unter Druck. Schon jetzt ist absehbar, dass die Wohnbauinvestitionen deutlich schrumpfen und damit das BIP belasten werden. Hinzu kommen Jobabbau und negative Vermögenseffekte, was den Konsum bremsen wird. Alles zusammen ist für sich genommen schon problematisch genug, gibt letztlich aber nur einen Vorgeschmack darauf, was den Rest der Wirtschaft noch erwartet. Eine ausgewachsene Rezession ist in unseren Augen nicht mehr abzuwenden. Immobilienmärkte sind die ersten Opfer des Zinsschocks

Die ultralockere Geldpolitik nach der globalen Finanzkrise hatte die Immobilienmärkte rund um den Globus lange Zeit mächtig angeheizt. In vielen Ländern gingen die Haus- und Wohnungspreise durch die Decke. In den USA und Kanada war z.B. in den vergangenen zehn Jahren mehr als eine Verdoppelung zu beobachten, in Deutschland immerhin ein Plus von 85%. Dass diese Entwicklung problematisch ist, zeigt allein schon ein Blick auf die verfügbaren Einkommen, die im gleichen Zeitraum um lediglich rund 30% bis 50% zunahmen (vgl. Abbildung 1). 

Abb. 1: Weltweit sind die Immobilienpreise durch die Decke gegangen

Quellen: BIZ, BEA, Destatis, STCA, Bantleon

Mit dem 180-Grad-Kurswechsel der Notenbanken hat sich das Umfeld aber inzwischen komplett gewandelt. Wie üblich und grundsätzlich wenig überraschend ist der Immobilienmarkt der Sektor der Wirtschaft, der als Erster die Belastungen durch die restriktive Geldpolitik zu spüren bekommt. In den USA lassen die Daten der vergangenen Wochen jedoch eine sogar noch deutlichere Abkühlung erkennen, als wir bislang angenommen hatten. In der Folge trübt sich der Ausblick für die weltweit grösste Volkswirtschaft weiter ein. Erstens wegen der immer ausgeprägteren direkten Bremseffekte vonseiten des Immbilienmarkts auf das Wirtschaftswachstum. Zweitens ist zu befürchten, dass auch die Unternehmen noch stärker durch die verschlechterten Finanzierungskonditionen in Mitleidenschaft gezogen werden. Drittens nehmen die Risiken für die Finanzstabilität zu. Im Folgenden sollen diese Aspekte im Einzelnen betrachtet werden, ebenso wie die Konsequenzen, die sich daraus für die Geldpolitik ergeben.  US-Immobiliendaten haben zuletzt deutlich negativ überrascht

Als prominenter Geschäftsklimaindikator liefert der jeweils zur Monatsmitte veröffentlichte NAHB-Wohnungsmarktindex den frühesten Einblick in die aktuelle Verfassung der Immobilienwirtschaft. Er ist in den vergangenen vier Monaten deutlich stärker gesunken als erwartet. In der Summe beliefen sich die Rückgänge auf 29 Punkte – der Konsensus hatte mit -8 Punkten gerechnet. Ein solch scharfer Stimmungseinbruch innerhalb so kurzer Zeit war noch nie in der 37-jährigen Historie zu beobachten (mit Ausnahme der Corona-Krise Anfang 2020, vgl. Abb. 2).

Abb. 2: Zinsschock bringt Bauwirtschaft massiv unter Druck

Quellen: NAHB, MBA, Bantleon

Abb. 3: Stimmungseinbruch kündigt immer grösseren Rückgang bei den Bauinvestitionen an …

Quellen: BEA, NAHB, Bantleon; * Q4/2022 = Oktober-Wert

Bedenklich ist der beschleunigte Absturz des NAHB-Index vor allem deshalb, weil er als Frühindikator vorzeichnet, was bei den realwirtschaftlichen Daten erst noch bevorsteht. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Wohnbauinvestitionen. Diese sinken bereits seit sechs Quartalen und liegen mittlerweile um rund 11% unter dem Vorjahresniveau. Wie die Gegenüberstellung der Veränderung des NAHB-Index und des Jahreswachstums der Wohnbauinvestitionen in Abb. 3 zeigt, dürfte sich dieser Abwärtstrend im laufenden und in den kommenden Quartalen noch verschärfen.

Abb. 4: … den gleichen skeptischen Ausblick zeichnet der beispiellose Zinsanstieg

Quellen: BEA MBA, Bantleon

Verantwortlich für den zunehmenden Pessimismus ist primär der massive Anstieg der Hypothekenzinsen. Bei 30-jährigen Laufzeiten – die in den USA das Finanzierungsgeschäft dominieren – ist seit deren Tiefpunkt Ende 2020 bei rund 2,80% inzwischen mehr als eine Verdopplung auf zuletzt 7,14% zu beobachten. Ähnlich wie der NAHB-Einbruch sucht auch dieser Zinsschock im historischen Vergleich seinesgleichen und kündigt mit einem Vorlauf von zwei Quartalen ebenfalls weitere Rückgänge der Wohnbauinvestitionen an (vgl. Abb. 4).

Abb. 5: Bedenklich ist auch der Absturz der Kreditanträge

Quellen: MBA, Census Bureau, Bantleon

Der ungebrochene Abwärtstrend bei den Anträgen für Hypothekenkredite komplettiert den trüben Ausblick. Bezogen auf die Bevölkerungsgrösse ist der entsprechende Index der Mortgage Bankers Association zuletzt auf den niedrigsten Stand seit knapp drei Jahrzehnten gesunken. Auch er zeichnet scharfe Rückgänge bei den Aktivitätsdaten vor, wie z.B. bei den Baubeginnen (vgl. Abb. 5).

Abb. 6: Darüber hinaus mahnen die plötzlich deutlich sinkenden Preise zur Vorsicht

Quellen: S&P Global, Bantleon

Neben dem Reigen enttäuschender Daten aus der Bauwirtschaft sticht darüber hinaus die abrupte Trendwende bei den Immobilienpreisen ins Auge. Vor wenigen Monaten dominierte noch die Einschätzung, das vergleichsweise geringe Angebot an Häusern würde dafür sorgen, dass die Preise trotz der absehbar sinkenden Nachfrage nur wenig unter Druck kommen würden. Die jüngsten Zahlen lassen nun aber ein ganz anderes Bild erkennen. Waren die Preise noch bis in die Mitte des 2. Quartals hinein monatlich um robuste 1,3% bis 2,4% gestiegen, hat der Trend plötzlich gedreht. Im August und September stehen Rückgänge um 0,6% bzw. 1,3% zu Buche – das sind Bewegungen, die an den Immobiliencrash vor rund 15 Jahren erinnern (vgl. Abb. 6).

Abb. 7: Bald dürfte eine Entlassungswelle im Bausektor ins Rollen kommen

Quellen: BEA, BLS, Bantleon

Alles in allem deuten die jüngsten Informationen auf grössere unmittelbare Belastungen vonseiten der einbrechenden Bauwirtschaft auf das BIP-Wachstum hin, als bislang abzusehen war. Aber auch die indirekten Bremseffekte scheinen gravierender zu sein. So sorgen die rückläufigen Hauspreise für spürbar sinkende Immobilienvermögen bei den Privathaushalten, was letztlich den Konsum dämpfen dürfte. Darüber hinaus muss davon ausgegangen werden, dass die nachgebenden Bauinvestitionen zu umfangreicheren Jobverlusten führen (vgl. Abb. 7), was ebenfalls den privaten Verbrauch belasten wird.  Ausblick für die Unternehmensinvestitionen trübt sich immer mehr ein

Wenn sich in den vergangenen Wochen herausgestellt hat, dass der Immobilienmarkt massiv durch den Zinsschock in Bedrängnis kommt, ist auch bei den Unternehmensinvestitionen mit grösserem Ungemach zu rechnen. Wegen der längeren Wirkungsverzögerungen, mit denen sich steigende Zinskosten in einer rückläufigen Kapitalgüternachfrage der Firmen niederschlagen, ist in den realwirtschaftlichen Daten zwar bislang nur eine moderate Abkühlung auszumachen. So weist die BIP-Statistik für die Unternehmensinvestitionen in Q3/2022 immer noch einen Zuwachs von 3,2% gegenüber dem Vorjahr aus. Verglichen mit dem Plus von über 12% Mitte 2021 kommt darin jedoch bereits eine merklich nachlassende Dynamik zum Ausdruck (vgl. Abb. 9). 

Darüber hinaus lassen die Monatsdaten inzwischen sogar noch klarere Schwächesignale erkennen. Demnach verzeichneten die Auslieferungen von Maschinen und Anlagen – die zur Berechnung des BIP herangezogen werden – im September zum ersten Mal seit über eineinhalb Jahren einen Rückgang. Gleichzeitig gesunkene Auftragseingänge in diesem Segment deuten darauf hin, dass sich diese Abschwächung zu Beginn des laufenden Quartals fortsetzen dürfte. 

Mit Blick auf die kommenden Quartale sind die Perspektiven unseren weit vorauslaufenden Frühindikatoren zufolge sehr trüben. So kündigt unser Leading Profit Margin Index deutlich sinkende Unternehmensgewinne an (vgl. Abb. 8). Zentrale Belastungsfaktoren sind hier die massiv gestiegenen Lohn-, Rohstoff- und Zinskosten. Nachgebende Gewinne werden sich indes unweigerlich in sinkenden Investitionsbudgets niederschlagen.

Abb. 8: Die Industrie sollte mit etwas Verzögerung ebenfalls unter Druck kommen …

Quellen: Bloomberg, Bantleon

Dass der Zinsschub und der davon ausgehende Gegenwind in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung sind, verdeutlicht unser US Capex Indicator, der auf der Dynamik der Renditeveränderung basiert. In der direkten Gegenüberstellung mit den Unternehmensinvestitionen in Abb. 9 lässt er ebenfalls einen scharfen Einbruch unausweichlich erscheinen, der bis weit ins nächste Jahr hineinreichen sollte.

Abb. 9: … auch hier sorgt der Zinsschock für beispiellosen Gegenwind …

Quellen: BEA, Bantleon Arbeitsmarkt und Konsum werden ebenfalls unter Druck kommen

Für den Arbeitsmarkt verheisst dieser Ausblick nichts Gutes. Aktuell ist seine robuste Verfassung aufgrund von Nachholeffekten nach dem Corona-Einbruch noch eine wichtige Stütze der US-Wirtschaft. Der nach wie vor dynamische Beschäftigungszuwachs federt den Kaufkraftentzug durch die hohe Inflation ab und verhindert so schärfere Bremsspuren beim privaten Konsum, von dem rund zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts abhängen. 

Werden Maschinen und Anlagen aber wie von uns erwartet nicht erneuert bzw. stillgelegt, werden die Unternehmen parallel die Beschäftigung abbauen müssen. Die bislang noch soliden Stellenschaffungen sollten mithin enden und dürften von einer steigenden Arbeitslosigkeit abgelöst werden (vgl. Abb. 10). Damit käme die aktuell letzte Konjunkturstütze zu Fall und eine Rezession wäre unvermeidbar. Mit vier Quartalen dürfte sie mindestens so lange dauern wie der Durchschnitt der Konjunktureinbrüche in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Abb. 10: … der schliesslich den Arbeitsmarkt zu Fall bringen wird

Quellen: BEA, BLS, Bantleon Zinsschock gefährdet die Finanzmarktstabilität

Wie eingangs erwähnt, sind neben dem Einbruch am Immobilienmarkt und der Aussicht auf deutlich sinkende Unternehmensinvestitionen die wachsenden Risiken für die Stabilität der Finanzmärkte das dritte grosse Problem, das vom Zinsschock ausgeht. Eine zentrale Gefahr stellen zweifelsohne drohende Ausfälle bei Immobilienkrediten dar. Von Land zu Land finden sich hier indes deutliche Unterschiede, die nicht zuletzt mit den unterschiedlich lang laufenden Zinsbindungen zusammenhängen. Während in den USA nur ein geringer Teil (rund 15%) variabel verzinst ist, liegt der Anteil kurzfristiger Hypotheken beispielsweise in Schweden und Australien mit 50% und 60% deutlich höher. Entsprechend schneller drohen die Hauskäufer hier unter Druck zu kommen. 

Wenig verwunderlich geben die Notenbanken in diesen Ländern bereits zu erkennen, dass sie die daraus resultierenden Gefahren stärker ins Auge fassen. Während die schwedische Reichsbank im Protokoll zum Zinsentscheid von Mitte September explizit auf die kurze Zinsbindung hinweist, ist die australische Notenbank sogar einen Schritt weitergegangen. Entgegen den Erwartungen hatte sie Anfang Oktober das Tempo bei den Zinserhöhungen von 50 Bp auf 25 Bp verlangsamt. Unter anderem begründete sie diesen Wandel mit den Risiken, die für die privaten Haushalte aus den kräftigen Zinsanhebungen folgen.

Abb. 11: Verschuldung der Unternehmen ist ein grosses Problem

Quellen: BIZ, Bantleon

Das Risiko, dass die US-Bürger durch den Zinsschock innerhalb kurzer Zeit und in grosser Zahl in die Zahlungsunfähigkeit getrieben werden, ist angesichts der lang laufenden Hypothekenkredite und auch der im historischen Vergleich nicht aussergewöhnlich hohen Verschuldung (vgl. Abb. 11) sicherlich geringer als in Australien und Schweden. Nicht zuletzt geben die aktuell historisch niedrigen Ausfallraten in diesem Segment weniger Anlass zur Sorge. Eine Krise wie in den Jahren 2008/2009 braut sich mithin wohl nicht zusammen.

Gleichwohl gibt es einige Risiken, die gegenwärtig nur schwer abzuschätzen sind. Meldungen über ein einbrechendes Hypothekenkreditgeschäft bei Wells Fargo, einer der grössten US-Banken, mahnen z.B. zur Vorsicht, wonach der Zinsschub schwerwiegende Schockwellen innerhalb der Bankenbranche auslösen könnte. 

Darüber hinaus sorgt unabhängig von der Entwicklung im Hypothekengeschäft die Verschuldung der US-Unternehmen für Ungemach. Sie ist in den vergangenen Jahren auf neue historische Höchststände geklettert (vgl. Abb. 11). Entsprechend sollten die Firmen früher oder später durch die massiv gestiegenen Finanzierungskosten deutlich unter Druck kommen. Die Gegenüberstellung der von der Rating Agentur Moody’s ausgewiesenen Ausfallraten von Unternehmensanleihen im High-Yield-Sektor und unseres weit vorauslaufenden Financing Conditions Index deutet hier auf einen ungewöhnlich kräftigen Anstieg der Insolvenzzahlen hin (vgl. Abb. 12). Bei stark steigenden Ausfällen von Anleihen und Unternehmenskrediten ist aber die Gefahr einer Finanzkrise nicht mehr von der Hand zu weisen.

Abb. 12: Deutlicher Anstieg der Unternehmenspleiten zu befürchten

Quellen: Moody‘s, Bantleon Aktuell noch gelassener Konjunktur- und Finanzmarktausblick der Fed dürfte sich bald ändern

Was folgt aus diesem Ausblick für die Geldpolitik? Bis zuletzt hat die Fed Hinweise auf wachsenden konjunkturellen Gegenwind und zunehmende Gefahren für die Finanzmarktstabilität als wenig relevant abgetan. Unsere Analysen kommen jedoch zu einem ganz anderen Ergebnis. Die Gefahren einer ausgewachsenen Rezession sind groß – das Risiko einer Finanzkrise erheblich. Dies sollte spätestens Anfang 2023 auch den Währungshütern klar werden.

Zunächst dürften die wachsenden Finanzmarktrisiken zusammen mit enttäuschenden Konjunktur- und Wachstumszahlen dazu führen, dass die Leitzinsen im kommenden Jahr nicht mehr angehoben werden – bzw. in unserem Risikoszenario nur noch geringfügig Anfang Februar. Anschließend dürfte die steigende Arbeitslosigkeit den Fokus auf das Vollbeschäftigungsziel der Geldpolitik rücken lassen. Zum Sommer hin rechnen wir daher allen gegenteiligen Bekundungen der Währungshüter zum Trotz mit dem Beginn von Leitzinssenkungen.

Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments