„Lebensversicherer müssen umdenken – und zwar jetzt“

Für die Lebensversicherer in Deutschland verdüstern sich die Aussichten: Ohne gezielte Produktivitätssteigerung und Kostensenkung lasse sich das Leben-Geschäft nicht länger profitabel betreiben, warnt Christian Kinder von der Beratungsgesellschaft Bain & Company.

Nach Simon-Kucher & Partners und Steria Mummert Consulting warnt nun auch das Beraterhaus Bain vor wachsenden Herausforderungen für die Assekuranz: Der Vertrieb von Lebensversicherungen sei zumindest mittelfristig von einem Wachstums- zu einem Verdrängungsmarkt geworden, sagt Berater Kinder. Aktuell stoße das Wachstum des einstigen Erfolgsprodukts an seine Grenzen, was sich sowohl im steten, wenn auch moderaten Rückgang im Bestand, als auch nur geringen Zugewinnraten im Neugeschäft widerspiegeln würde.

Christian Kinder, Bain & Company

Das zur Bekämpfung der Eurokrise gesenkte Zinsniveau habe die Lebensversicherung für den Anleger unattraktiv gemacht, erklären die Berater von Bain. „Die Garantieverzinsung von 1,75 Prozent liegt unterhalb der zu erwartenden mittelfristigen Inflationsrate von circa zwei Prozent und die Verpflichtungen aus hochverzinsten Altverträgen setzen den zu erwartenden Überschussbeteiligungen enge Grenzen“, heißt es in einer Mitteilung. Ihre letzte Rennaissance habe die private Rentenversicherung zu Beginn der Finanzkrise als Einmalbeitrags-Police erlebt, in der Anleger ihre Ersparnisse einlagern konnten, um damit steuerfreie und sichere Erträge zu erzielen.

„Überdimensionierter Vertriebsapparat und hohe Regulatorik“

Darüber hinaus erweise sich der in Jahrzehnten des Wachstums aufgebaute Verwaltungs- und Vertriebsapparat als überdimensioniert. Damit nicht genug: Zu allem Überfluss sorgten Finanzaufsicht, Regulatorik und Verbraucherschutz für steigende Anforderungen, die zusätzliches Geld kosten, warnen die Berater: „Auf der einen Seite stehen die Reformabsichten des vorgesehenen Regelwerks Solvency II. Nach derzeitigem Stand wird knapp die Hälfte der deutschen Lebensversicherer ihr Eigenkapital aufstocken müssen.“

Auf der anderen Seite stünden erwartete Maßnahmen für mehr Transparenz bei der Geldanlage und bei den Provisionsstrukturen – „sie werden die Lebensversicherer vor neue verwaltungstechnische und versicherungsmathematische Aufgaben stellen“, so die Versicherungsexperten.

„Nur die Großen bleiben Vollsortimenter“

„Nur die größten Anbieter der Branche werden als Vollsortimenter fortbestehen können“, sagt Gunther Schwarz, Partner bei Bain & Company in Düsseldorf und Leiter der Versicherungs-Praxisgruppe für Europa. „Viele kleinere Lebensversicherer werden sich spezialisieren müssen, um Verwaltung und Vertrieb wirtschaftlicher gestalten zu können.“

Stark an der Kapitalrendite orientierte Gesellschaften werden sich laut Bain auf fondsgebundene Policen konzentrieren, um Risiken und Kapitalbedarf zu minimieren. „Nischenanbieter müssen prüfen, wie sie ihre Vertriebseffizienz steigern können. Versicherungsunternehmen, deren Lebensversicherungssparte nicht zwingend für den Fortbestand des Gesamtunternehmens notwendig ist, müssen prüfen, ob sie ihr Neugeschäft einstellen“, so Schwarz.

Rettungsanker Produktinnovationen

Doch die Berater wollen nicht nur Schwarz sehen: Wie in der Vergangenheit könnten Produktinnovationen dazu beitragen, sich gegen diese negativen Trends in der Branche zu stemmen, heißt es. Ein Ansatzpunkt sei der demographische Wandel, der neue und flexible Produkte für die Generation 60+ erfordere, etwa zur Wiederanlage von Lebensversicherungsauszahlungen oder zur Absicherung diverser Aspekte der Langlebigkeit, wie Betreuungsbedürftigkeit oder Inanspruchnahme von speziellen Diensten im Alter.

„Lebensversicherer müssen umdenken“

Ohnehin seien biometrische Risiken – auch jenseits des reinen Faktors „Leben“ – die Spezialität der Lebensversicherung und das, was sie von Bankprodukten unterscheide, sagt Experte Kinder. Hier müssten neue, innovative Wege gefunden werden, um das Produkt aus der „Zwickmühle zwischen sinkenden Zinsen und steigenden Regulierungsanforderungen“ zu holen. „Die Lebensversicherer müssen umdenken – und zwar jetzt“, fordert Kinder. „Sie brauchen ein gesamthaftes, neues Konzept, das die Beschaffung frischen Kapitals ebenso vorsieht wie die Anpassung von Geschäftsmodell, Organisation und Produkten an die veränderten Rahmenbedingungen.“ (lk)

Foto: Shutterstock, Bain & Company

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