12. Branchengipfel Sachwertanlagen: „Der Vertrieb wird wieder gebraucht“

Helmut Schulz-Jodexnis auf dem Cash. Branchengipfel
Foto: Florian Sonntag
Helmut Schulz-Jodexnis: „Viele Kunden treffen derzeit keine Entscheidungen, weil sie verunsichert sind.“

Jung DMS & Cie. (JDC) zählt zu den führenden Vertriebsorganisationen für Sachwertinvestments. Antworten auf dem Cash. Branchengipfel gab Helmut Schulz-Jodexnis, Leiter des Produktbereichs Sachwerte und Immobilien.

Inflation, Zinswende, Kostenexplosion & Co.: Wie wirken sich die veränderten Rahmenbedingungen auf den Vertrieb von Sachwertanlagen aus?

Schulz-Jodexnis: Die gestiegenen Zinsen spielen eine sehr große Rolle. Ich glaube aber, die Inflation als solche hat noch stärkere Auswirkungen, weil sie die Menschen verunsichert. Im Vertrieb von Immobilien spüren wir einen deutlichen Wandel. Bis Februar oder März dieses Jahres war es kaum möglich, exklusive Projekte zu bekommen. Jetzt werden wir damit überhäuft. Die Provisionen steigen wieder, das ist ja auch ein Signal. Jetzt wird Vertrieb wieder gebraucht und die Anbieter bemühen sich verstärkt zu kooperieren. Vorher war das auch schon mal anders. Was sind die Gründe? Zum einen haben sich die Institutionellen bei dem Zinsniveau einigermaßen aus dem Geschäft zurückgezogen. Der Verkauf von Projekten en bloc wird dadurch erschwert. Die Bauträger sind jedoch finanziert, zum einen mit Hilfe von Förderungen, die teilweise ausgefallen sind, zum anderen aber auch auf Basis einer Abverkaufsrate, die sie nun nicht erfüllen können. Bis September war noch alles gut, aber der Oktober war in Bezug auf den Absatz für einige eine Katastrophe. Ich sehe da erhebliche Engpässe. 

Wie sieht es bei den Privatkunden aus?

Schulz-Jodexnis: Im Bereich der privaten Anleger nehmen wir große Unsicherheit wahr. Das betrifft zum einen die Frage, wie sich der persönliche Spielraum durch Inflation und Energiepreise verringert, aber auch Fragen wie „Wird das fertiggebaut?“ oder „Wie werden die Kosten sein?“. Daneben spielen die Banken eine große Rolle. Nicht nur, dass die Zinsen gestiegen sind und die Finanzierung dadurch erheblich teurer ist, es werden auch deutlich mehr Kunden abgelehnt. Dadurch fällt ein Teil der Kunden schlicht weg und von den anderen treffen viele derzeit keine Entscheidungen, weil sie verunsichert sind.

Gilt das auch für den Bereich der alternativen Investmentfonds, kurz AIFs, für Privatanleger?

Schulz-Jodexnis: Im Bereich Publikums-AIFs war schon länger eher ein sehr eingeschränktes Sortiment das Problem, zumal um die 70 Prozent der Fondsangebote mit Immobilien besetzt waren, wenn auch mit unterschiedlichen Konzepten. Damit waren die Fonds bis auf wenige Ausnahmen auch immer im längerfristigen Anlagebereich, also bei Laufzeiten von über zehn Jahren. Im Bereich New Energy gab es immer Nachfrage, aber da fehlte das Angebot. Bezüglich der Vertriebsunterstützung in diesem Segment sind die Fondsanbieter, die jetzt noch am Markt sind, ja ohnehin die Gestandenen. Sie haben auch immer den Vertrieb gut unterstützt. Das kann ich ausnahmslos sagen. Aber auch in diesem Bereich haben wir im Oktober einen deutlichen Einbruch, weil die Angstfaktoren überwiegen und der Spielraum der Kunden ja in vielen Fällen tatsächlich eingeschränkt wird. Eine Prognose ist derzeit schwierig. Das macht einen auch zurückhaltend für das erste Quartal 2023. So gut die Ausgangslagen für Opportunitäten auf der Assetseite sein mögen, so verhalten sind die Vertriebsfeedbacks auf der anderen Seite, was die Entscheidungsfreude der Anleger angeht.

Hilft die Inflation nicht auch als Vertriebsargument?

Schulz-Jodexnis: Nein. Obwohl es angebracht wäre, trägt die Inflation nicht zur spontanen Investitionsentscheidung bei. „Sieben oder mehr Prozent Inflation, jetzt muss ich sofort in Sachwerte investieren“: So denkt der Kunde nicht. Der Kunde sagt: „Ich gebe jetzt monatlich mehr aus, ich muss Rücklagen bilden. Ich kann jetzt nicht investieren.“ Und je langfristiger das Investment wird, desto eher fragt er sich: „Warum soll ich mich bei sieben oder mehr Prozent Inflation für drei Prozent langfristig festmachen? Das ist kein guter Deal.“ Das ist die Haltung, die vorherrscht. Die langfristige Sicht auf den Wertverlust des Geldes fällt vielen Kunden derzeit nicht leicht und es ist schwierig, ihnen klarzumachen, welche Auswirkungen Inflation gerade auf lange Sicht für sie hat. Auf der anderen Seite ist weiterhin genug Geld vorhanden und immer noch genug Investitionsdruck da, trotz oder gerade wegen der Inflation.

Kommen wir zum Thema ESG, also der Nachhaltigkeit. Hier muss der Fondsvertrieb neuerdings die Präferenzen der Kunden abfragen und mit den Produkten in Einklang bringen. Wie weit sind die Anbieter damit? 

Schulz-Jodexnis: Hier muss man differenzieren zwischen den Sparten. Bei den offenen Investmentfonds ist das Thema sehr weit gediehen. Hier haben wir überwiegend entsprechende Informationen zu den Produkten erhalten. Im Bereich der Sachwertanlagen, gerade auch Immobilien-AIFs, ist bisher hingegen fast nichts zu sehen. Der Vertrieb muss jedoch sehr granular die Präferenzen der Kunden abfragen und in Einklang mit den Merkmalen der Produkte bringen. Dabei sind weitaus mehr Informationen erforderlich als nur die Einstufung nach Artikel 8 oder 9 der Offenlegungsverordnung. Das ist im Grundsatz ohne den Anbieter nicht leistbar. Der 34f-Vertrieb ist dazu noch nicht verpflichtet. Aber in den Haftungsdächern und im Bankenbereich, fallen die Fonds, die keine Informationen geliefert haben, bei den ESG-Abfragen regelmäßig heraus. Im Augenblick sind das 100 Prozent der Publikums-AIFs. (Anmerkung d.Red: Kurz nach dem Branchengipfel wurde ein Gesetzentwurf bekannt, wonach die ESG-Abfragepflicht wie erwartet – voraussichtlich ab März 2023 – auch auf den 34f-Vertrieb ausgeweitet werden soll.)

Wäre eine Alternative, dass der Finanzdienstleister den Kunden dazu drängt, die Frage nach der ESG-Relevanz zu verneinen, um dann auf den ESG-Abgleich verzichten zu können?

Schulz-Jodexnis: Nein, das darf er nicht. Er darf den Kunden nicht lenken in diesen Profilabfragen. Die Frage „Willst du Rendite oder grün?“, die das Thema in den meisten Fällen wohl erledigen würde, ist nicht erlaubt. Wir kommen um das ESG-Thema nicht herum. Es ist verpflichtend und haftungsrelevant. Deswegen war ich etwas traurig, dass konkret eigentlich gar nichts passiert und zusätzlich das Problem fehlender Vorgaben der BaFin hochgekocht ist. Wir laufen Gefahr, dass wir die Produkte schlicht nicht mehr verkaufen dürfen, wenn der Kunde ESG will und wir dann keine Informationen haben. Auch ohne detaillierte BaFin-Vorgaben müssen sich die Anbieter zusammensetzen und statt zu konkurrieren ein einheitliches Bild schaffen. Dem Vertrieb würde es helfen und den Absatz der Angebote auch voranbringen.

Die Pandemie hat ihren Schrecken verloren, Kontaktbeschränkungen sind weitgehend Geschichte. Beobachten oder erwarten Sie eine Renaissance des persönlichen Beratungsgesprächs?

Schulz-Jodexnis: Die persönlichen Beratungen haben laut Auskunft unserer Vertriebspartner wieder deutlich zugenommen. Wobei ein großer Teil auch weiterhin für bestimmte Präsentationen und Beratungsanlässe die Onlinesysteme weiter nutzt.  Man kann aber nicht sagen, dass sich die Onlineberatung als alleinige Lösung aufgrund von Kontaktbeschränkungen durchgesetzt hat. Gerade im Sachwertevertrieb, wo es um größere Anlagesummen geht, legen die meist älteren Kunden auf das persönliche Gespräch oder das bewährte Telefonat noch viel Wert. Ich habe gerade wieder einige Kundenveranstaltungen unserer Vermittler besucht, wo es erstaunlich viele Teilnehmer gab.

Welche Facetten der Digitalisierung helfen dem Vertrieb auch nach der Pandemie?

Schulz-Jodexnis: Alles, was die Arbeit und Abwicklung vereinfacht kommt gut an. Wobei viele der Dinge wie Beratungstools in größeren Organisationen schon vorhanden waren. Onlinemeeting-Tools wie Zoom oder Teams werden weiter genutzt, bei den Kunden, die es zu schätzen wissen. In der digitalen Abwicklung gab es seitens der Anbieter teilweise Erleichterungen, die gerne weitergenutzt werden. Dazu gehört insbesondere die Annahme von Zeichnungsscheinen per E-Mail und der Verzicht auf Originalunterschriften, wo nicht erforderlich. Leider sind das alles noch zarte Pflänzchen auf dem Weg hin zu einer volldigitalen Abwicklung „End to End“. 

Wie kann der klassische Vertrieb gegenüber digitalen Lösungen wie Crowdinvesting-Plattformen, Token-Emissionen & Co. bestehen?

Schulz-Jodexnis: Unsere Wahrnehmung ist, dass der Vertrieb gerade bei Sachwerten hier keinen großen Disruptionseffekt wahrnimmt. Die Crowdplattformen haben sich nur bedingt im klassischen Produktvertrieb durchgesetzt und leiden teilweise unter Imageproblemen, weil nicht alle Angebote rund liefen. Das kann man so bei anderen Angeboten seit Einführung des KAGB und der AIFs nicht mehr feststellen. Außerdem möchte der Sachwertekunde für die erklärungsbedürftigen Angebote einen Berater an seiner Seite haben, was die rein digitale Abwicklung stark beschränkt. Den Crowdinvestmentplattformen ist dazu eine nachhaltige Kooperation mit dem Vertrieb nicht gelungen, was überwiegend auch am mangelnden Kundenschutz der Tippgebermodelle lag. Die Tokenisierung wird als Vorteil derzeit eher nicht wahrgenommen. Die meisten Smartkontrakte sind mit Anleihen unterlegt und damit bewegt man sich deutlich vom Sachwert und Asset weg.

Moderation: Frank Milewski und Stefan Löwer, beide Cash.

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