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Interview mit Boris Herrmann und Zurich-Chef Carsten Schildknecht: Segeln, Risiken und Klimaschutz

Herr Dr. Schildknecht, die Zurich Versicherung feiert in diesem Jahr ihr 150-jähriges Bestehen. Vor diesem Hintergrund: Wie verbinden Sie Tradition mit einem glaubwürdigen, zukunftsgerichteten Nachhaltigkeitsanspruch?

Schildknecht: 150 Jahre zeigen, dass wir immer schon nachhaltig gedacht und gehandelt haben – sonst wären wir heute nicht mehr ein relevanter Versicherer. Die Zurich Gruppe wurde 1872 gegründet, unsere deutsche Einheit nur wenig später. Nachhaltigkeit war stets Teil unserer DNA, doch sie muss immer wieder neu interpretiert werden, denn die Risikolandschaft hat sich verändert. Heute bedeutet Nachhaltigkeit für uns vor allem, den Klimawandel und seine Folgen einzudämmen. Er ist das größte Risiko der Menschheit. Auch wenn er in der politischen Agenda zuletzt zuweilen in den Hintergrund zu rücken scheint, zeigen die Daten sehr klar seine Dramatik. Als Versicherer bewerten wir das ideologiefrei und kommen zum selben Schluss wie das World Economic Forum: Unter den Top-Fünf-Risiken mit Zehnjahreshorizont sind inzwischen rund 70 Prozent klima- oder umweltbezogen. Darum engagieren wir uns konsequent in diesem Bereich. Es ist ein Rennen, das wir nicht aufgeben dürfen. Boris Herrmann ist Spitzensportler, wir sind ein führender Versicherer, und uns eint eine Leidenschaft: den Klimawandel zu bekämpfen. Oder, wie es auf dem Malizia-Segel steht: „A Race We Must Win.“ Das ist das, was uns verbindet.

Frustriert es Sie als Versicherer nicht, dass das Thema Klimawandel derzeit aus dem Fokus gerät?

Schildknecht: Man muss hier den Zeithorizont betrachten. Im World Economic Forum werden Risiken sowohl kurzfristig – über zwei bis drei Jahre – als auch langfristig – über zehn Jahre – bewertet. In der Langfristperspektive stehen die umweltbezogenen Risiken nach wie vor ganz oben auf der Liste. Kurzfristig können diese Themen durch neue Bedrohungen wie Kriege oder geopolitische Auseinandersetzungen überlagert werden. Langfristig bleibt die Unfähigkeit der Menschheit, den Klimawandel wirksam einzudämmen, das Top-Risiko – für Versicherer, für die Wirtschaft und für die Gesellschaft insgesamt. Für uns als Versicherer ist deshalb klar: Klimarisiken stehen weiter im Zentrum unseres Handelns und unserer Strategien.

Das Interview fand im Clubheim des Kieler Segelclubs Baltic statt. (Foto: Florian Sonntag)

Zurich bezeichnet sich als Vorreiter beim Umbau von Kapitalanlagen nach ESG-Kriterien. Wo stehen Sie aktuell?

Schildknecht: Wir haben 2021 in Kiel unsere Nachhaltigkeitsstrategie vorgestellt und sie inzwischen weiterentwickelt. Sie umfasst nicht nur unsere Rolle als Investor, sondern auch als Unternehmen, Berater, Versicherer und Teil der Gesellschaft – mit klaren Zielen bis 2050, rückwärts heruntergebrochen auf 2030 und 2025. In der Kapitalanlage messen wir die CO₂-Intensität pro investiertem Euro. Für unser Aktien- und Unternehmensanleiheportfolio hatten wir uns bis 2025 eine Reduktion um 25 Prozent vorgenommen. Tatsächlich liegen wir bereits bei minus 40 Prozent – Ziel bis 2030 sind minus 55 Prozent, um 2050 klimaneutral zu werden. Gleiches gilt für unser Immobilienportfolio: minus 30 Prozent bis 2025, minus 45 Prozent bis 2030. Auch hier sind wir im Plan. Bei fondsgebundenen Anlagen entscheidet der Kunde, wir steuern über das Angebot. Unser Ziel: 70 Prozent ESG-Bezug bis 2030. Schon heute liegt der Anteil bei 67 Prozent. Damit sind wir sogar vor Plan.

Herr Herrmann, wie haben Sie den Klimawandel bei Ihrer zweiten Weltumseglung konkret wahrgenommen? Was haben Sie beobachtet?

Herrmann: Wir messen ja die CO₂-Konzentration im Ozean und können sehen, dass sie zunimmt. Auch die Temperatur der Meere steigt drastisch und sehr schnell an. Aber das ist nichts, was ich mit eigenen Augen sehen kann. Ein wichtiger persönlicher Eindruck ist, wie klein dieser Planet ist, denn man kann innerhalb kürzester Zeit mit einem kleinen Segelboot einmal um ihn herumsegeln. Das ist völlig verrückt. Man kann auch nicht weit gucken: Ich kann meine Konkurrenten nur drei oder vier Kilometer weit sehen, selbst wenn ihr Mast 30 Meter hoch ist – so sehr ist die Erde gebogen. Wir haben eine verzerrte Vorstellung von der Größe dieses Planeten. Aufgrund der Proportionen der Weltökonomie haben wir das Gefühl, die Erde sei riesig. Aber wir leben auf einem kleinen Planeten, der voller Meer ist. Die Bedeutung der Ozeane für unser Leben wird uns aber zum Glück immer bewusster – auch durch unsere wissenschaftliche Arbeit und unser gemeinsames Projekt.

Seit unserem letzten Gespräch hat sich auch politisch einiges verändert. Mit Donald Trump sitzt jetzt wieder ein US-Präsident im Weißen Haus, der den Klimawandel mit aller Macht ignoriert. In Deutschland ist die AfD, die den Klimawandel leugnet, mittlerweile zweitstärkste Kraft im Bundestag. Waren die letzten vier Jahre verlorene Jahre für den Klimaschutz?

Herrmann: Mein persönlicher Eindruck ist, dass es keine verlorene Zeit war. Ich glaube nicht, dass das Thema Klimaschutz so saisonal ist bzw. so stark von der Politik abhängt. Natürlich ist es für Wissenschaftler in den USA frustrierend, dass dort jetzt Messgeräte abgebaut werden, die seit 50 Jahren installiert sind. Andererseits sind neun von zehn neu gebauten Stromerzeugungsanlagen weltweit mittlerweile Renewables. Wind und Sonne sind die günstigsten Stromquellen, das sind ökonomische Logiken, die mit Trump nichts zu tun haben. Das wird sich einfach durchsetzen. Langfristig nachhaltig zu wirtschaften ist am Ende erfolgreicher. Das ist mein etwas zweckoptimistischer Blick auf die Dinge. Und es gibt ja weiterhin tolle Initiativen von vielen Unternehmen, die trotz Trump und aller Tagespolitik am Kurs festhalten und sich klar zu den ESG-Themen bekennen. Sie machen gute Dinge, weil die einfach wichtig sind.

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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