EXKLUSIV

Interview mit Boris Herrmann und Zurich-Chef Carsten Schildknecht: Segeln, Risiken und Klimaschutz

Dr. Schildknecht, als Versicherer stehen Sie im engen Austausch mit Kapitalanlegern und Investmenthäusern. Sind die Erkenntnisse zum Klimawandel und der notwendige Umbau dort angekommen?

Schildknecht: Ich denke schon. In den letzten Jahren sehe ich zwei Entwicklungen: Eine positive, eine weniger positive. Positiv ist, dass wir uns dem Thema technologieoffener nähern. Statt auf Verbote zu setzen, rückt stärker die Chancenperspektive in den Vordergrund – neue Technologien, Innovationen, flankiert durch eine wirksame CO₂-Bepreisung. Das europäische Emission Trading System wurde ausgeweitet, Lücken geschlossen, weitere Sektoren wie Verkehr und Wohnen einbezogen. Die Kehrseite: Wenn Europa CO₂ konsequent bepreist, geraten energieintensive Industrien im internationalen Wettbewerb unter Druck. Eigentlich müssten wir unseren Markt gegenüber Regionen schützen, die keine CO₂-Bepreisung haben. In den USA wird unter der jetzigen Administration die CO₂-Bepreisung eher zurückgedrängt. Für Europa stellt sich daher die Frage: Wie sichern wir unser System ab, ohne neue Handelskonflikte auszulösen? Das Thema Zölle ist politisch heikel und niemand legt es offen auf den Tisch. Doch langfristig wird man es nicht umgehen können. Denn nur so lassen sich externe Kosten internalisieren – das ist der Schlüssel, um Klimawandel wirksam zu steuern. Mit einem funktionierenden Preissystem investieren wir automatisch dort, wo pro eingesetztem Euro die größte CO₂-Reduktion möglich ist. Aber wenn wichtige Regionen wie China oder die USA nicht mitziehen, braucht es Schutzmechanismen für unsere Industrie.

Die Investmenthäuser diskutieren derzeit, ob Verteidigung nachhaltig sein kann. Wie positioniert sich Zurich in dieser Debatte um Rüstung und kritische Infrastruktur im Lichte neuer geopolitischer Realitäten?

Schildknecht: Das Thema ist ein zweischneidiges Schwert. Rüstung hat durch die Bedrohung aus dem Osten zwar an Akzeptanz gewonnen, doch bleibt unklar, wo Waffen landen und wie sie eingesetzt werden. Deshalb haben wir im Vorstand intensiv diskutiert, ob wir unsere Umsatzgrenze für Rüstungsunternehmen für das ESG Label anheben – sie liegt bei fünf Prozent, und wir halten daran fest. Denn in den vergangenen Jahrzehnten wurden Kriege selten im Sinne legitimer Verteidigung geführt. Kunden können dennoch in Fonds investieren, die Verteidigungs- oder Rüstungsunternehmen enthalten, etwa einen DWS-Fonds zu Infrastruktur, Cybersicherheit und Verteidigung. Doch dieser trägt bei uns kein ESG-Label. Am Ende entscheidet der Kunde.

Von links: Cash.-Redakteur Jörg Droste, Boris Herrmann, Carsten Schildknecht, Cash.-Redakteur Kim Brodtmann (Foto: Florian Sonntag)

Nachhaltigkeit spielt in der Lebensversicherung zunehmend eine Rolle, insbesondere bei Fondspolicen. Wie stellen Sie sicher, dass Nachhaltigkeit nicht nur ein Etikett bleibt, sondern echten Mehrwert für Kunden und Makler bietet – auch unter dem Stichwort „Value for Money“?

Schildknecht: Wir sehen keinen Widerspruch zwischen Nachhaltigkeit und Rendite. Im Gegenteil: ESG-Fonds haben in den vergangenen Jahren teilweise sogar besser performt. Das zeigt: Nachhaltigkeit bedeutet nicht automatisch Renditenachteile. Langfristig ergänzen sich beide Ziele. ESG-orientierte Unternehmen vermeiden Reputationsrisiken, reduzieren künftige CO₂-Kosten und sind widerstandsfähiger gegenüber regulatorischen Veränderungen. Das schafft Stabilität und kann die Performance stützen. Studien zeigen zwar kein einheitliches Bild, aber viel spricht dafür, dass Nachhaltigkeit und Rendite komplementär sind. Für Kunden heißt das: Sie investieren in ihre Altersvorsorge und zugleich in die Zukunft kommender Generationen. Makler können sicher sein: ESG-Produkte bieten echten Mehrwert durch langfristig tragfähige Geschäftsmodelle. Und genau darin liegt der „Value for Money“.

Bei unserem letzten Interview im September 2021 lag die Ahrtal-Katastrophe gerade hinter uns. Ich habe den Eindruck, dass viele Firmen beim Elementarschutz ähnlich unvorbereitet sind wie Privatpersonen. Stimmt das? Und wie bewerten Sie die Pläne der Bundesregierung für eine Pflichtversicherung?

Schildknecht: Große Unternehmen investieren viel in Risikomanagement und sind meist gut aufgestellt. Anders sieht es bei kleineren Betrieben aus, die oft wie Privatkunden agieren und elementare Risiken unterschätzen. Zur Pflichtversicherung: Sie betrifft nur Privatkunden, und das ist auch richtig so. Ein Opt-out-Modell halten wir für sinnvoll. Denn Vertragsfreiheit ist ein Grundpfeiler unserer Ordnung. Versicherer müssen risikoadäquat kalkulieren: Wer etwa im Ahrtal direkt an der Ahr wieder baut, muss mit sehr hohen Prämien rechnen. Entscheidet sich ein Kunde dagegen, darf der Staat nicht im Schadenfall einspringen, während der Nachbar seine Prämie gezahlt hat. Ebenso wichtig ist Prävention. Vieles lässt sich durch einfache Maßnahmen vermeiden. Hier unterstützt unsere Zurich Resilience Solutions: Wir analysieren für Unternehmen ganze Standortnetze und Lieferketten in unterschiedlichen Klimaszenarien. So zeigen wir, welche Standorte langfristig nicht mehr haltbar sind, und entwickeln Maßnahmen gegen Risiken wie Fluten, Dürren oder Hitze. Nur wenn solche Vorkehrungen getroffen werden, bleibt das Restrisiko versicherbar.

Herr Herrmann, zum Schluss der Blick nach vorn: Was haben die Zurich und Sie in den nächsten Jahren gemeinsam vor?

Herrmann: Ein Projekt ist meine heimliche Leidenschaft: die Wiederherstellung von Korallenriffen und Mangroven auf den Philippinen. Dieses Projekt haben wir in den letzten Jahren gemeinsam mit der Zurich stark weiterentwickelt. Dort sind mittlerweile 3,5 Millionen Mangroven gepflanzt worden, um den CO2-Gehalt zu senken – eines der größten Aufforstungsprojekte mit deutscher Beteiligung. Und das ist nur der Anfang. Man könnte dort in den nächsten zehn Jahren 150 Millionen Mangroven pflanzen, das würde 50 Millionen Euro kosten. Dafür müsste man mal ein Finanzprodukt bauen, um eine Anlagemöglichkeit zu schaffen, bei der alle Gelder exakt dorthin fließen – ohne Zertifizierungs-, Overhead- und Marketingkosten. Ich hoffe, dass wir in den nächsten Jahren noch viel Schwung in dieses Projekt bringen können.

Das Gespräch führten Kim Brodtmann und Jörg Droste, beide Cash.

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