Der neue Kinder- und Jugendreport der DAK-Gesundheit verdeutlicht eine anhaltend hohe psychische Belastung bei jungen Menschen. Die Analyse zeigt deutliche Steigerungen bei Angststörungen, Depressionen und Essstörungen, insbesondere bei Mädchen im Alter von 15 bis 17 Jahren.
Besonders auffällig ist die Zunahme chronischer Verläufe. Die Zahl dauerhaft behandlungsbedürftiger Angststörungen verdoppelte sich seit 2019 und stieg um 106 Prozent. Fachleute sprechen von einem langfristigen „Erbe der Pandemie“, da sich auch andere psychische Erkrankungen zunehmend verfestigen.
DAK-Vorstandschef Andreas Storm betont die Tragweite der Ergebnisse. „Die aktuellen Ergebnisse des DAK-Kinder- und Jugendreports zeigen den Ernst der Lage und eine neue Dimension. Die leise Hoffnung auf einen Rückgang bei psychischen Erkrankungen ist nicht eingetreten. Ängste, Depressionen und Essstörungen begleiten viele junge Menschen inzwischen dauerhaft – vor allem Mädchen. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht einen Teil dieser Generation verlieren.“ Storm fordert eine umfassende Initiative für die mentale Gesundheit junger Menschen.
Wissenschaftliche Einordnung und Ursachenfaktoren
Laut DAK-Kinder- und Jugendreport hat sich die Chronifizierung von Angststörungen verdoppelt: Im Vorpandemiejahr 2019 mussten 8,1 von 1.000 Mädchen zwischen 15 und 17 Jahren jedes Quartal mit einer Angststörung ambulant oder stationär behandelt werden. 2024 waren es 16,6 je 1.000 jugendliche Mädchen. Das entspricht einer Steigerung von 106 Prozent. Zudem haben sich die Komorbiditäten, also ein gleichzeitiges Auftreten zweier psychischer Erkrankungen bei jungen Patientinnen, ebenfalls knapp verdoppelt. Die Zahl jugendlicher Mädchen, die zeitgleich an einer Angststörung und einer Depression litten, erhöhte sich 2024 im Vergleich zu 2019 um rund 90 Prozent.
Prof. Dr. med. Christoph U. Correll von der Berliner Charité ordnet die Ergebnisse ein. „Die Zahlen des DAK-Kinder- und Jugendreports machen das Erbe der Pandemie sichtbar. Wir sehen eine langfristige Verfestigung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen.“ Fehlende soziale Kontakte und ausbleibende Entwicklungsschritte hätten vor allem bei Mädchen zu internalisierenden Verhaltensmustern geführt. Zudem verweist Correll auf die gestiegene Nutzung sozialer Medien. „Sie sehen Körperbilder, Glücks- und Zufriedenheitsideale, die nicht erfüllt werden können. Das erhöht das Stresslevel und kann die Ausprägung psychischer Erkrankungen fördern und vertiefen.“
Für die Sonderanalyse werteten Forscherinnen und Forscher von Vandage und der Universität Bielefeld Abrechnungsdaten von rund 800.000 DAK-versicherten Kindern und Jugendlichen aus. Die Datenbasis umfasst etwa 42 Millionen ambulante und stationäre Behandlungsfälle sowie Arzneimittelverordnungen aus den Jahren 2019 bis 2024.
Plateau-Bildung auf hohem Niveau
Der Kinder- und Jugendreport zeigt, dass 2024 rund 22 von 1.000 DAK-versicherten Kindern und Jugendlichen zwischen fünf und 17 Jahren mit einer Angststörung behandelt wurden. Das entspricht hochgerechnet bundesweit rund 230.000 Kindern und Jugendlichen. Seit 2021 bleiben die Zahlen in allen Altersgruppen auf einem konstant hohen Niveau. Diese Plateau-Bildung zeigt sich besonders deutlich bei jugendlichen Mädchen: 2024 mussten 66,5 von 1.000 Mädchen mit einer Angststörung ambulant oder stationär versorgt werden, insbesondere mit sozialen Phobien und Panikstörungen. Hochgerechnet waren es deutschlandweit rund 75.500 Teenagerinnen im Alter von 15 bis 17 Jahren. Im Vergleich mit dem letzten Vorpandemiejahr 2019 ist das ein Plus von 53 Prozent.
Dr. Michael Hubmann, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, bestätigt die Entwicklung aus der Praxis. „Wir sehen weiterhin eine hohe Rate an psychischen Belastungen bei Kindern und Jugendlichen. Insbesondere Ängste spielen dabei eine große Rolle.“ Die Vielzahl aktueller gesellschaftlicher Krisen verstärke diese Lage. Hubmann spricht sich für einen Ausbau präventiver Angebote in Schulen, Kitas und Jugendzentren aus.
Auch Schülerinnen und Schüler selbst melden zunehmenden Unterstützungsbedarf. „Wir befinden uns in der Krise der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen“, sagt Quentin Gärtner, Mitorganisator der Kampagne „Uns geht’s gut?“ der Bundesschülerkonferenz. „Wir brauchen Unterstützung von Fachkräften wie Schulpsychologen oder Schulsozialarbeitern, Schulgebäude, in denen man sich tatsächlich wohlfühlen kann, und Unterricht, der Wohlbefinden als notwendige Voraussetzung für Leistung anerkennt. Die Bundesregierung und Bildungsministerkonferenz dürfen uns nicht weiter im Stich lassen. Die Lösungen liegen auf der Hand. Die Politik muss jetzt liefern.“
Die Entwicklung betrifft nicht nur Angststörungen. Ein ähnliches Muster zeigt sich bei Depressionen und Essstörungen. Die Behandlungszahlen jugendlicher Mädchen mit Depressionen stiegen 2024 gegenüber 2019 um gut 27 Prozent, bei Essstörungen um etwa 38 Prozent. Seit 2021 verharren auch diese Diagnosen auf nahezu gleichbleibendem Niveau. Bundesweit waren 2024 rund 84.000 Mädchen wegen Depressionen und etwa 23.000 Teenagerinnen wegen Essstörungen wie Magersucht und Bulimie in Behandlung.












