„Das größte Risiko in 2024 ist ein Inflations-Comeback“

Nun haben wir über viele positiven Dinge gesprochen. Was ist denn das negative Momentum in 2024, was viele vermutlich  noch gar nicht auf dem Zettel haben?

Mayr: Für uns ist das nicht die Geopolitik, sondern es ist ein mögliches Inflations-Comeback. Bei negativen Überraschungen muss man immer schauen, was eingepreist ist und was den Markt komplett auf dem falschen Fuß erwischen könnte. Da ist aus meiner Sicht ein 1970er-Jahre-Comeback der Inflation, was global ein großes Problem wäre, weil es dann kaum sichere Häfen gibt. Dann kommen wieder sehr viele Segmente des Marktes unter Druck. Und für Investoren wird es sehr schwer, dann die richtige Exit-Tür rechtzeitig zu finden.   

Kaffarnik: Damit das passiert, bräuchten wir eine Explosion auf der Rohstoffpreisseite, einen Ölpreis über 120 US-Dollar oder etwas ähnliches. Oder wir bekommen noch mal eine Situation wie bei COVID, bei der die Lieferketten massiv beeinflusst werden. 

Kaiser: In den USA könnte es in der Tat eine Richtungswahl geben, und es hat eine andere Dimension als 2016. Märkte mögen keine Unsicherheit, und wir müssen zwischen Risiken und Unsicherheiten unterscheiden. Aber das könnte jetzt wirklich ein bisschen Unsicherheit längerfristig werden, auch in Richtung der Institutionen: Nato, Uno, Nato mit Ukraine. Insofern sind die US-Wahlen diesmal kein rein nationales Ereignis.

Kaffarnik: Die Position Trumps in Sachen Nato ohne die USA ist nicht neu, wird aber bereits im Wahlkampf adressiert werden und nicht erst bei der Wahl. Da bin ich gespannt, ebenso, was die Entwicklung im gesamten Nahen Osten betrifft.

Mayr: Geopolitische Risiken werden am Anfang jedes Jahres immer intensiv diskutiert. Im Laufe des Jahres sind dann aber doch meist die großen ökonomischen Trends, die Notenbanken und so weiter, die großen Markttreiber. Geopolitisch kann immer mal ein Störfeuer auftreten. Aber man sollte dadurch nicht den Blick verlieren, was wirklich in der Ökonomie passiert. Falls Trump ein großes Risiko ist, dann eher für Europa, denn für die USA.

Schauen wir noch einmal auf die USA aus ökonomischer Sicht. Die frühere Happy Hour für US-Papiere als Stabilitätsanlagen scheint beendet. Droht Amerika jetzt der Zins-Kollaps?

Kaiser: Ich glaube es nicht. Risikoaufschläge könnten eine Rolle spielen, aber sicherlich kein Kollaps.

Mayr: Es gibt zwei ganz große Faktoren, die das verhindern. Zum einen ist der US-Dollar nach wie vor die Weltreserverwährung. Das heißt, den Emerging Marktes, aber auch vielen anderen Investoren fehlt die Alternative. Der Euroraum hat es bisher nicht geschafft, das Safe Asset bereitzustellen, was eine nennenswerte Alternative wäre. Auch die Chinesen sind noch weit davon entfernt. Gleiches gilt für die BRIC-Staaten. Das heißt, es fehlt die Alternative, und man darf auch nicht vergessen: Wenn es wirklich schwierig wird, dann wird die Fed auch wieder als Käufer der letzten Instanz da sein, weil dann natürlich Inflations- und Konjunkturrisiken in die andere Richtung drehen werden. Das heißt, man sollte nicht auf Grund der aktuellen Lage Sorge haben, dass die Fed den Staat nicht mehr stützten kann, weil wenn es wirklich schwierig wird, dann bricht auch die Inflation in sich zusammen, und dann wird die Fed eben wieder den Spielraum haben, dort zu stützen.

Ulrich Kaffarnik: „Die Wahrscheinlichkeit für eine Weltrezession in 2024 ist extrem gering. Da müsste wirklich alles schief gehen, was schief gehen kann.“

Blicken wir auf China. Die Zero-Covid-Politik hat dem Land sichtbar nicht gut getan. Das Reich der Mitte kommt nur langsam wieder in Tritt. Ist es derzeit überhaupt ein Kauf und wenn ja, in welcher Form?

Kaiser: Ja, China boomt, trotz der Probleme im Immobilienmarkt und der Deflation. Wir müssen uns aber daran gewöhnen, dass China künftig nicht mehr mit sieben, acht Prozent wachsen kann, sondern eher mit zwei, drei oder vier Prozent. Wir haben mittlerweile ganz normale Verhältnisse dort, was auch Einfluss auf die Wachstumsraten hat, wie bei vielen anderen Volkswirtschaften zuvor auch. Dennoch stimme ich nicht in den Abgesang Chinas ein. Das Land wird weiterhin eine große Rolle spielen, und ich kann mir auch vorstellen, dass es mit den Fünfjahresplänen und mit den Entwicklungen eher positiver dort vorangeht. Ob man jetzt schon wieder einsteigen sollte, weiß ich nicht, es ist noch sehr spekulativ. Da der Aktienmarkt zuletzt allerdings sehr schwach war, kann es eigentlich nur besser werden.

Mayr: Aus meiner Sicht ist China tatsächlich für Investoren einfach schwierig zu greifen, zum einen aufgrund des großen politi-schen Einflusses, der zunehmend erratisch geworden ist, zum anderen auch, weil die Geschäftsmodelle eben nicht so transparent sind, wie das an westlichen Kapitalmärkten der Fall ist. Blickt man auf 2023 war die Entwicklung durchaus überraschend: Zu Beginn des Jahres oder eigentlich bereits 2022 war eine der großen Storys, dass China von billiger Energie durch die russischen Rohstoffimporte profitiert und dadurch einen erheblichen Schub erhält. Auf der Inflationsseite stimmt das, sie ist sehr niedrig geblieben. Der Volkswirtschaft hat es aber nicht wirklich die großen Impulse geliefert. Und das lässt zukünftig eher erwarten, dass, wie Sie sagen, Wachstumsraten von über sieben Prozent, ich würde sogar sagen über fünf Prozent, eher unwahrscheinlich sind, sondern dass man vermutlich in diesem Soft Landing oder vielleicht auch strukturell verlangsamten Prozess etwas länger unterwegs ist, als das viele Analysten bisher so auf der Uhr hatten. China kann mittlerweile schon fast als entwickelter Wirtschaftsraum gelten, mit sich an die Volkswirtschaften in den USA und Europa annähernden Wachstumsraten. 

Kaffarnik: Noch eine Ergänzung hinsichtlich der Probleme am Immobilienmarkt. Ich glaube nicht, dass es eine Pleitewelle gibt.  Es war im Grunde lange Zeit eine Self-fulfilling Prophecy: Es ging immer höher, immer höher. Jetzt haben wir diese Probleme, und wir haben die halt nicht erst seit zwei Monaten oder drei Monaten, sondern wir haben sie über Jahre hinweg. Und was folgt, ist: Wir haben eine Sparquote in China, die um die 30 Prozent liegt. Zum Vergleich, in den USA ist sie bei 4,8 Prozent. Das heißt, da hängt natürlich ein Riesenkonjunkturrisiko drin. Es müsste der Job der chinesischen Regierung sein, die Inlandskonjunktur zu verbessern. Die Hälfte des Weltwachstums in 2024 dürfte aus China – trotz der Probleme am Immobilienmarkt – und aus Indien kommen, Indien wahrscheinlich mit 6,5 Prozent, China mit etwa 5 Prozent. Die USA dürften zwei bis drei Prozent liefern, die Eurozone, Deutschland ausgeklammert. etwas über 1 Prozent. China ist also relativ zu den anderen Staaten weiterhin ein Wachstumsmotor. Dennoch sehe ich das Thema Investments in China  noch als schwierig an. China will die USA erreichen. Haben die USA Interesse, dass es passiert? Never ever! Also werden sie den gesamten Technologietransfer aus den USA nach China in ihrem Sinn steuern. Auch aufgrund der regulatorischen Unsicherheiten wäre ich mit Engagements in China vorsichtig. Ich würde es eher über Unternehmen aus den USA und Europa tun, die in China gut verankert sind.  

Mayr: Und da könnte natürlich auch ein amerikanischer Wahlkampf noch mal Volatilität verursachen. Denn mit großer Wahrscheinlichkeit wird Trump im Wahlkampf das China-Thema sehr aggressiv aufrufen. Investoren stehen am Ende dann vor der Frage: Welchem dieser Wirtschaftsräume schließe ich mich an?

Letzte Frage, wie sollten Vermittler jetzt auf ihre Kunden zugehen?

Kaiser: Im Fokus stehen sollte die Langfristperspektive, Vermögensstruktur und die Asset Allocation. Und ganz wichtig, man sollte verstehen, was man kauft.

Mayr: Man sollte den Anlagehorizont nicht zu kurz werden lassen. Auch 2024 wird die Welt nicht untergehen, entgegen vieler Unkenrufe. Die Stimmung ist deutlich schlechter als die Lage bzw. die Aussicht. 2023 war in Deutschland ein unglaublich aufgeregtes Jahr und wahnsinnig viele Unkenrufe, dass alles schwierig wird. Der Finanzmarkt hingegen lief 2023 wunderbar. Größer könnte die Divergenz nicht sein. Wenn man jetzt nach vorne schaut: Vermutlich werden wir nicht die gleichen Renditen erwirtschaften wie 2023. Aber es sieht auf jeden Fall sehr auskömmlich aus, und vielleicht sollte sich die gesellschaftliche Debatte etwas mehr an der ökonomischen Realität orientieren.

Kaffarnik: Was sich noch sagen lässt: Leute, geht jetzt nicht aus den Mischfonds raus, denn die Renditen bei Anleihen sind wieder da.  Es gibt mit Anleihen damit wieder einen Stabilisator, was das Segment der Mischfonds attraktiver macht. Deshalb sollte jetzt das Nachkaufen auf der Agenda stehen, nicht das Verkaufen.

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