Versicherungsbetrug: Kein Kavaliersdelikt

Foto: Karin Brandl/Ergo
Karin Brandl, Bereichsleiterin Schaden bei der Ergo Versicherung: "Versicherungsbetrug ist kein Kavaliersdelikt."

Plausibilitätscheck, Brancheninformationen und Infrarotstrahlen: So decken Versicherungen Betrugsfälle auf. Von Cash.-Kolumnistin Karin Brandl

Vertrauen ist alles. Das gilt auch für die Gemeinschaft der Versicherten. Sie erwarten zu Recht, dass ihre Versicherung aus ihren Beiträgen nur berechtigte Ansprüche befriedigt. Doch Versicherungsbetrüger bringen – oder versuchen es – allein die Schaden- und Unfallversicherer um jährlich rund vier Milliarden Euro. Dabei geht es nicht nur zunehmend um organisierte Kriminalität. In Anbetracht der aktuellen wirtschaftlichen Lage wird auch finanzielle Not zum Treiber betrügerischer Schadenmeldungen.

Handyschäden, fingierte oder übertrieben dargestellte Einbruchdiebstähle, überteuerte Werte versicherter Gegenstände und das Verschweigen von Vorschäden gehören zu den häufigsten Betrugsversuchen. Aber auch Betrüger werden digital: Sie fingieren Online-Abschlüsse auf nicht existierende Kunden. Von einem Kavaliersdelikt kann in keinem Fall die Rede sein. Denn die Versichertengemeinschaft muss höhere Beiträge zahlen, weil den Unternehmen enorme Summen zur Kostenübernahme bei schweren Schäden fehlen.

Die Schadenregulierer der Versicherungen haben schon viel gesehen. Erfahrung, Gespür für Betrugsfälle und Statistik haben sie gelehrt: Rund jede zehnte Schaden- und Unfallmeldung ist ein Betrugsversuch. 2,4 Millionen der jährlich rund 24 Millionen gemeldeten Schadenfälle haben so, wie gemeldet, nie stattgefunden. Sie sind einzig der Versuch, sich zu bereichern. Doch diese Täter unterschätzen, wie ausgeklügelt Schadenmeldungen auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden.

Zum Beispiel über das Betrugserkennungstool FRISS, das die internen Daten einer Versicherung nutzt. Seit mehr als zehn Jahren ist die Branche auch über eine gemeinsame Datenbank Betrügern auf der Spur. Dieses „Hinweis- und Informationssystem“ – genannt HIS – ermöglicht den datenschutzkonformen Austausch mit anderen Versicherern in dubiosen Fällen. Das System sammelt die Daten von Versicherungsnehmern, Geschädigten, versicherten Personen und Zeugen, zu Fahrzeugen und Gebäuden. Im HIS dürften über fünf Millionen Daten gespeichert sein. Hier wird auch festgehalten, wer bereits als Versicherungsbetrüger aufgeflogen ist.

Erst der Kunde

Unter Einhaltung aller Datenschutzauflagen prüfen die Versicherer die in den Versicherungsanträgen gemachten Angaben. Manchmal liegen nur schlichte Fehler oder Unvollständigkeiten vor; öfter aber unwahre Absichten bis hin zu gezielten Manipulationen.

Das System ist durchdacht. Zunächst klären die internen Ermittler, ob sich der anfängliche Verdacht auf Unregelmäßigkeiten erhärten lässt. Dazu vertiefen sie sich in ihre bereits vorhandenen Informationen über den Antragsteller. Sie prüfen seine eingereichten Unterlagen, studieren seine Verträge, Vorschäden, Vertragsänderungen, Schadenunterlagen, Schadenanzeigen, Belege, Rechnungen und sein Zahlungsverhalten. Schon hier werden viele Betrüger entlarvt. Dabei helfen modernste Software und künstliche Intelligenz, die aus jedem erkannten Betrugsfall schlauer wird.

Auf Versicherungsverträge, die erst in den letzten sechs Monaten vor dem Schadenfall abgeschlossen wurden, liegt ein besonderes Augenmerk. Das gilt auch, wenn der Antragsteller über den Schadenhergang keine vollständige oder schlüssige Auskunft geben kann.

… dann der Schaden

Hier beginnt Schritt 2 der Ermittlungen: Wie plausibel ist der gemeldete Schaden? Die Skepsis steigt, wenn es dazu nur wenige Informationen oder falsche Belege gibt. Das gilt auch, wenn die beschädigte Sache flink vernichtet oder beseitigt worden ist.

Dann gehen die Experten mit detektivischem Knowhow an die Arbeit. Zum Beispiel wenn es darum geht zu klären, ob die eingereichte Rechnung eine Fälschung ist. Spezielle Farb- und Infrarot-Video-Bildsysteme erkennen schneller als ein Betrüger fälschen kann, an welchen Stellen das Dokument manipuliert wurde.

Unsere Dienstleister (Prüfdienstleister, Sachverständigen etc) unterstützen uns durch vielfältige Prüfmechanismen (Bilderkennung; AI-Check) dabei. Das heißt, auch hier haben wir professionelle Hilfe.

Erhärtet sich der Betrugsverdacht, ermitteln die Experten der Versicherung, ob sich die am Schaden beteiligten Personen kennen, ohne das angegeben zu haben. Sie prüfen auch, ob der verdächtige Kunde schon häufiger nach einer Schadenmeldung seine Versicherung gewechselt hat und vorbestraft ist. In Einzelfällen werden auch Detektive eingeschaltet.

Justitia wartet schon

Jeder, der einen Versicherungsvertrag abschließt oder einen Schaden meldet, ist nach dem Versicherungsvertragsgesetz zu ehrlichen Antworten auf alle Fragen verpflichtet. Wer lügt, muss mit empfindlichen Strafen rechnen. Deckt die Versicherung einen Betrug auf, kann sie Strafanzeige erstatten und zivilrechtliche bzw. strafrechtliche Maßnahmen einleiten.

Das hat Folgen. Bestätigt sich der Betrugsversuch, kann die Versicherung nicht nur ihre Zahlung verweigern. Sie fordert auch bereits bezahlte Leistungen und entstandene Kosten von dem Betrüger zurück. Und auch der Versicherungsschutz ist dann verloren. Zudem blüht dem Unehrlichen eine Strafanzeige. Wird er verurteilt, erwartet ihn eine Geldstrafe oder eine Haftstrafe zwischen fünf und zehn Jahren. Ein hoher Preis für einen vermeintlich schnellen Gewinn. Versicherungen kennen nicht nur die Tricks der Betrüger. Sie kombinieren auch immer besser Erfahrung und Technik, um sie zu enttarnen.

Karin Brandl ist seit 2018 Bereichsleiterin Schaden bei der Ergo Versicherung. Seit Februar 2022 verantwortet sie den Bereich Schaden Komposit der Ergo Versicherung AG.

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