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Die Zukunft der Versicherungsbranche = Die Zukunft der Insurtechs?

Stephen Voss, CEO Neodigital Versicherung
Foto: Neodigital / Jennifer Weyland
Stephen Voss: "Davon können beide Seiten profitieren und die Kunden werden es honorieren."

Der deutsche Insurtech-Markt sortiert sich neu. Einige Anbieter geben ihre Lizenz ab, andere scheitern, wieder andere entwickeln tragfähige Modelle zwischen Technologie, Regulierung und Partnerschaft mit etablierten Versicherern. Was diese Entwicklungen für die Zukunft der Branche bedeuten, zeigt ein Blick auf die jüngsten Beispiele. Von Stephen Voss.

Der Titel „Die Zukunft der Insurtechs“ hat es in sich. Zum einen, weil man natürlich auch ein Stück weit in die Glaskugel schauen muss, zum anderen, weil es gar nicht mehr so viele echte Insurtechs, zumindest im deutschen Versicherungsmarkt gibt. Und um diese Anzahl zu bestimmen, müsste man sich darüber hinaus noch auf eine Definition von Insurtech einigen. Und da gehen die Meinungen gemeinhin auseinander.

Die BaFin hatte zuletzt mit ihrem nun einige Jahre zurückliegenden Rundschreiben 01/2021 sehr deutlich klargestellt was die Regulierung als Insurtech definiert. Und diese Definition ist eine sehr enge:

Die BaFin kategorisiert Insurtechs demnach als „junge und technikaffine Unternehmen mit Versicherungslizenz“. Dazu muss man wissen, dass die BaFin seit 2017 insgesamt nur gut sieben (*Achtung je nach Quelle 7 oder 8) Insurtechs in dieser engeren Definition zugelassen hat. Warum diese enge Definition? Ziel war es, die Aufsicht dieser Unternehmen nicht zu komplex zu gestalten, daher beaufsichtigt die BaFin diese Insurtechs nach dem Prinzip „gleiches Geschäft, gleiches Risiko, gleiche Regel“.  Es wird daher kein Unterschied gemacht zu den etablierten Versicherern, die schon Jahre und Jahrzehnte am Markt sind. Man muss aber festhalten, dass die BaFin diese Insurtechs, von denen einige keine mehr sind oder zwischenzeitlich sogar vom Markt verschwunden sind, nach den Grundsätzen der Proportionalität betrachtet. Es bleibt also fair.

Daneben tummeln sich unter dem weiteren Begriff Insurtechs natürlich noch andere Konstruktionen. Es gibt eine ganze Reihe von Start-ups ohne BaFin-Zulassung die gemeinhin auch als Insurtechs bezeichnet werden, die sich als Dienstleister, Partner, Promotoren für die Versicherungsbranche verstehen und zugelassenen Versicherungsgesellschaften technische, aber auch vertriebliche Lösungen anbieten.

Technik-Zulieferer oder echte Versicherung?

Fangen wir daher einmal mit der etwas einfacheren Prognose für die Insurtechs im weiteren Sinne an. Diese Kategorie wird sich entlang der Veränderungen in der Wertschöpfungskette der etablierten Versicherungsunternehmen anpassen und hier ihre Dienstleistungen, ob Service, Technik oder Vertrieb weiterhin anbieten und sich losgelöst von regulatorischen Rahmenbedingungen auch immer wieder neu erfinden.


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Und hier findet sich dann auch eine spannende Überleitung zu den regulierten Insurtechs, denn seit 2017 haben sich ein paar Gesellschaften aus dem von der BaFin eng definierten Bereich bewusst oder gezwungenermaßen verabschiedet. Einige sind freiwillig aus der klar beschriebenen begrifflichen Abgrenzung ausgeschert, dazu zählt beispielsweise die in Heidelberg ansässige Getsafe. 

Getsafe hatte, nachdem die Gesellschaft zunächst als Assekuradeur gestartet ist, sich um eine BaFin-Lizenz bemüht und diese im Oktober 2021 auch erhalten. Getsafe war in der Folge 2024 auch das erste deutsche Insurtech, das nach eigenen Aussagen schwarze Zahlen schrieb.

Regulation, Technik-Knowhow und tiefe Branchenkenntnis entscheidend

Spannend ist hierbei, dass sich die Führung von Getsafe in 2025 dazu entschied, die eigene BaFin-Versicherungslizenz für Schaden- und Unfallgeschäft perspektivisch wieder abzugeben — da sie laut eigener Aussage keinen langfristigen Wettbewerbsvorteil mehr biete. Hier hat man also klar für sich und für die eigene Zukunft entschieden, dass es nicht notwendigerweise eine BaFin-Lizenz bedarf, um erfolgreich zu sein.  Insurtechs mit Lizenz sehen das klassischerweise natürlich etwas anders, weil natürlich auch immer etwas von der Unabhängigkeit verloren geht, wenn man selber nicht mehr Herr über die Risikotragung ist und sich dann nach Anderen (Erstversicherern) richten muss.

Aber, und das darf ich hier als Vertreter eines lizensierten Unternehmens gerne einmal sagen, das regulierte Umfeld hat seine Herausforderungen sowohl administrativer als auch finanzieller Natur. Neodigital hat sich immer gerne und bewusst diesen Anforderungen gestellt. Ganz klar auch in Deutschland für Deutschland. Dafür braucht es aber ein entsprechendes Skillset und Durchhaltevermögen, was nicht jeder im Markt so von Anfang an aufbauen konnte oder wollte. Für Insurtechs mit Versicherungslizenz bedeutet die Anfangszeit ein teures Vergnügen und handwerkliches Geschick, was in diesem hart umkämpften Markt nicht ohne das richtige Personal zu bewerkstelligen ist.  Rückblickend darf man es daher durchaus auch als Glücksfall bezeichnen, dass die Neodigital von Beginn an in der Lage war, versierte und entsprechend im Versicherungsmarkt langjährig erfahrene Mitarbeitende zu gewinnen.

Ein Start-up, dessen Mitarbeitende alle das Handwerk „Versicherung“ nicht nur verstanden, sondern eben auch in Start-up-Manier bereit und fähig waren, neue digitale Wege zu gehen und alte Pfade zu verlassen. Nur daraus ließ sich die optimale Kombination aus Versicherung-Know-How und Digitalisierungsexpertise finden. Ein Umstand, der deswegen so betont werden muss, weil viele Insurtechs diese Kombination nicht vorweisen konnten und an der Komplexität des Marktes und am hohen Wettbewerbsdruck gescheitert sind, den sie mit ihren guten Ideen und digitalen Ansätzen eigentlich auf ein neues technologisches Level heben wollten. Nur so konnte Neodigital den Sweetspot zwischen Risikoträgerschaft als Erstversicherer und gleichzeitig einem der Marktführer im Bereich Technologie und Digitalisierung für Versicherungen spartenübergreifend treffen.

Die Zukunft hängt von der Strategie ab

Die Heidelberger sind hier einen anderen Weg gegangen. Getafe hat eine für ihr Modell passende Management Entscheidung getroffen und macht ohne eigene Lizenz weiter.

Beim nächsten ehemaligen Insurtech haben wieder andere einen wieder anderen Weg entschieden. Element, ansässig in Berlin, ist zum Ende 2024 in eine finanzielle Schieflage geraten. Die weiteren Ereignisse nahmen dann in der Folge weiter Fahrt auf. Die Finanzsituation verbesserte sich nicht und als Konsequenz kündigte dann der Rückversicherer die Zusammenarbeit entsprechend auf. Daraufhin verhängte die BaFin im Rahmen ihrer regulatorischen Aufsicht ein Neugeschäftsverbot. Der Insolvenzantrag beim Amtsgericht Charlottenburg wurde Anfang 2025 gestellt. Das endgültige Insolvenzverfahren wurde am 1. März 2025 eröffnet.

Die Geschäftsstrategien von Getsafe und Element sind sehr verschieden, aber letztlich sind beide keine Risikoträger mehr. Auch Mailo, ehemals ein Gewerbeversicherer mit Lizenz hat sich aus dem Markt zurückgezogen gleiches gilt für Wefox, die sich in 2024 aus dem deutschen Markt offiziell verabschiedet haben, wenn auch Wefox nie eine Lizenz als deutscher Risikoträger hatte. Schaut man dann noch etwas weiter über die eigentliche BaFin-Definition hinaus findet man weitere Kandidaten, die nicht mehr aktiv sind. So ist die ehemals zur Baloise gehörende Friday Insurance mittlerweile als Marke an die Allianz Direct verkauft und die zur Swiss Re gehörende iptiQ geht nach einer strategischen Entscheidung ebenfalls Richtung Allianz Direct.

Ausmaß der benötigten Digitalisierung von vielen Insurtechs unterschätzt

Hier kommen wir wieder zurück auf die Frage nach der Zukunft der Insurtechs. Es ist demnach nicht einfach in Deutschland. Aber es gibt eben auch die anderen Beispiele. In einem Umfeld von mehreren hundert Versicherern im deutschen Markt als junges Unternehmen erfolgreich zu agieren, bedarf besonderer Talente. Und es bietet gerade dieser Markt durch den aktuell anhaltenden Automatisierungs- und Digitalisierungsdruck auch künftig vielfache Chancen für Insurtechs und junge Technologien. Denn die Digitalisierung – obwohl schon seit Jahren Thema von Gastbeiträgen und Artikeln – ist immer noch bei viele etablierten Versicherern nur zögerlich angegangen worden – wenn überhaupt. Das belegen unter anderem auch die anteiligen IT-Investitionen der Versicherer im Vergleich zu anderen Industrien und Wirtschaftszweigen.

Allein unter den knapp 220 Sachversicherungsunternehmen stehen bei vielen noch die Weichen auf Digitalisierung mit entsprechend lang laufenden Projekten – bei den Krankenversicherern ist es nicht anders. Manche Unternehmen müssen sogar noch den ersten Schritt gehen und erstmal Automatisieren, bevor die Technologie tatsächlich Prozesse übernehmen kann damit überhaupt von einer umfassenden Digitalisierung die Rede sein kann.  Hier liegen auch heute und künftig die großen Chancen für die Insurtechs, und das für alle Formen und Definitionen.

Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die großen digitalen Rundumlösungen nicht so schnell in die Umsetzung kommen, wie das vielleicht gewünscht wurde und aus anderen Branchen vermeintlich einfach abzuschauen war. Ein Versicherer ist nicht nur regulatorisch ein komplexes Gebilde. Seine internen Strukturen, über Jahrzehnte gepflegte Silos und ehemals strikt getrennte Systemlandschaften machen es oftmals zur Sisyphos-Aufgabe, Ordnung in das Chaos zu bringen. Es kostet Zeit und ist teuer.  Die Erfahrung hat ebenfalls gezeigt, dass nicht jedes Unternehmen für alle Sparten diese kostenintensive Transformation leisten kann.

Das muss nicht nur finanzieller Natur sein, dazu zählen dann auch trotz oder gerade wegen der Digitalisierung die notwendigen Fachkräfte. Und: Anders als von vielen neuen Marktteilnehmern ausgerufen ist KI kein Allheilmittel, denn auch künstliche Intelligenz setzt zu Beginn menschliche Intelligenz und Expertise voraus. So kann es durchaus der Fall sein, dass in einigen Versicherungsunternehmen erstmal überhaupt die vorhandenen Daten so strukturiert werden müssen, um auf eine Transformation in ein automatisiertes, bzw. digitalisiertes Konstrukt vorbereitet zu sein. Hierbei können spezialisierte Unternehmen unterstützen.

Mit dem Smartphone in der Hand geboren

Genau hier liegen die Zukunftschancen der Insurtech, sie sind digital gestartet, kennen die Herausforderungen und sind oftmals gänzlich neue Wege gegangen, als die etablieren Branchengrößen. Und sie haben einen entscheidenden Vorteil: Insurtechs müssen ihre Geschäftsentscheidungen nicht mit dem Ballast von jahrzehntealten Kernsystemen belasten. Sie sind auf der grünen Wiese gestartet. Quasi schon mit dem Smartphone in der Hand geboren. 

Darüber hinaus haben die Insurtechs mit Lizenz zusätzlich den Bonus, angesichts der ohnehin schon gegebenen Komplexität der Materie „Versicherung“,  nicht nur Prozesse von Anbeginn digitalisiert und Bestände aufgebaut zu haben, sie haben auch die regulatorischen Vorgaben in einem sich dynamisch veränderten Umfeld angenommen und eingehalten. Das macht sie für die etablierten Versicherungsunternehmen noch attraktiver, gerade hinsichtlich des hiervorhandenen Know-Hows. Die Insurtechs wissen, was technologisch und regulatorisch zusammenpasst und machbar ist. Ein Know-How, das sich trotz zum Teil sehr starken Wettbewerbs in stabile Geschäftsmodelle und wachsende Kundenzahlen niedergeschlagen hat.

Die Erfahrung aus der Vergangenheit zeigt für Insurtechs noch etwas anderes ganz deutlich: In einen so stark von Wettbewerb getriebenen Versicherungsmarkt wie in Deutschland ist man gut beraten, nicht immer auf Konfrontation, sondern doch auf Kooperation zu setzen. Zusammenarbeit, gemeinsam nach vorne. Davon können beide Seiten gut profitieren und die Kunden werden es honorieren.

Letztendlich zeigen all diese Beispiele, dass der deutsche Markt gleichwohl für lizensierte Risikoträger aber auch spezialisierte „einfache Insurtechs“ sehr anspruchsvoll ist. Getsafe hat hier für sich eine klar begründete Entscheidung getroffen und konzentriert seine Ambitionen in ein Modell ohne eigenen Risikoträger. Einige sind auch gescheitert. Das gehört ebenso zu einem gesunden System. Und andere sind den Weg mit eigenem Risikoträger gegangen und können auf vielfältige Erfahrungen aufbauen, weil sie Talent, Technologie und Regulatorik unter einem Dach vereinen konnten. Das macht sie auch in den kommenden Jahren besonders attraktiv.

Diese Vielfalt und Flexibilität, der Mut zur Veränderung macht starke und erfolgreiche Insurtechs auch in Zukunft aus. Sie analysieren ihr Marktumfeld und sich selbst und treffen daraufhin Entscheidungen, die zu ihrer Zielstruktur und dem eigenen Skillset passen. So sollten gemeinhin alle Unternehmen agieren. Wer diese Maxime für sich verstanden hat, für den bietet die Zukunft der Versicherung gerade auch in Deutschland und Europa viele spannende Geschäftsmodelle. Vor allem als Insurtech.

Autor Stephen Voss ist CEO der Neodigital Versicherung AG.

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