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Premiumwettlauf in der PKV: Mehr Top-Leistungen bei Zahnersatz und Psychotherapie

Thorsten Bohrmann | Senior Versicherungsanalyst
Foto: Morgen & Morgen
Thorsten Bohrmann, Morgen & Morgen: "Die neuen PKV-Premiumtarife überbieten sich regelrecht. Jeder Versicherer ist bestrebt, dem Kunden die bestmögliche Versorgung zu bieten."

Premium statt Standard: Private Krankenversicherer setzen vermehrt auf Top-Leistungen – von 100 % Zahnersatz bis unbegrenzter Psychotherapie. Was das für Kunden und den Wettbewerb bedeutet.

Die private Krankenversicherung positioniert sich neu: Schaut man auf das Produktangebot, scheinen sich die privaten Krankenversicherer auf die Premiumkunden zu fokussieren. Anfang Januar hatte das Analysehaus Morgen & Morgen sein neues M&M-Rating PKV-Vollversicherung vorgestellt. Dafür wurden rund 4000 Tarifkombinationen in der Privaten Krankenvollversicherung unter die Lupe genommen. Eine spannende Erkenntnis: Zeichneten sich bislang die Tarife ohnehin durch ein hohes Bedingungsniveau aus, deutet sich nun ein Wettlauf bei den „Premiumtarifen“ an.


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„Die neuen PKV-Premiumtarife überbieten sich regelrecht und weitere Tarife werden erwartet. Der Wettbewerb in dem PKV-Vollversicherung verlagert sich damit zunehmend in dieses Segment und löst den Fokus auf digitale Gesundheitsanwendungen ab, die inzwischen als Standard gelten“, erklärt Thorsten Bohrmann, Senior Analyst bei Morgen & Morgen. Die Ursachen dafür dürfen laut Bohrmann im Wettbewerb liegen. „Jeder Versicherer ist bestrebt, seinen Kunden die bestmögliche Versorgung zu bieten und deshalb werden teilweise sehr gute Tarife noch aufgewertet“, sagt der Tarifexperte. Im Bereich Zahnersatz sei zu erkennen, dass es in den Tarifen inzwischen eine nahezu 100-prozentige Absicherung gebe. „Auch bei dem Thema Psychotherapie sind in der Regel keine Begrenzungen der Sitzungen pro Jahr enthalten“, sagt Bohrmann.

Wettlauf bei Premiumtarifen

Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGas) gelten laut dem Experten inzwischen als State-of-the-Art“. Versicherer wie die Hallesche, Allianz, Hanse Merkur und Barmenia setzen dabei auf eine Kombination aus telemedizinischen Angeboten, digitalen Coachingprogrammen und Apps zur Unterstützung bei spezifischen Gesundheitsproblemen. Die Hallesche hat ihre Videosprechstunde direkt in die Service-App integriert, Kundinnen und Kunden können so unkompliziert ärztliche Beratung in Anspruch nehmen, ohne Wartezeit oder Anfahrtswege. Ergänzt wird das Angebot durch digitale Programme etwa bei Rückenschmerzen, Diabetes oder psychischen Erkrankungen, die teilweise mit persönlicher Betreuung kombiniert werden. Auch bei der Allianz steigt vor allem bei jüngeren Versicherten die Nachfrage nach Online-Angeboten zur mentalen Gesundheit, darunter Schlaf- oder Stresscoachings. Hinzu kommen digitale Trainings bei chronischen Beschwerden wie Schmerzen sowie Online-Fitness- und Ernährungsangebote. Die Hanse Merkur bietet telemedizinische Hausarztmodelle über das Netzwerk von Avi Medical sowie digitale Unterstützung für Brustkrebspatientinnen, Schwangere und Betroffene psychischer Belastungen – inklusive spezialisierter Anwendungen etwa bei Lipödem.

Die Barmenia beobachtet eine hohe Nachfrage in den Bereichen Schmerz, psychische Gesundheit und Schwangerschaft. Der Austausch mit Anbietern digitaler Gesundheitslösungen wird laut dem Unternehmen fortlaufend intensiviert, um Angebote am tatsächlichen Bedarf auszurichten. Auch die Einführung von ePA und E-Rezept wird dort vorbereitet. Hallesche und Allianz sind dort schon weiter. „Die DiGas sind im PKV-Markt angekommen, jeder neue Tarif beinhaltet diese Leistung, auch ältere Tarife wurden mit diesen Leistungen kostenfrei aufgewertet. Es gibt eine Unterscheidung, die zu erkennen ist und zwar, dass Tarife nur die gesetzlichen Leistungen übernehmen oder das Tarife darüber hinaus gehen und umfangreicher leisten“, sagt denn auch Morgen & Morgen-Tarifexperte Bohrmann.

Wachstumsfeld bKV

Ein Blick auf das künftige Marktpotenzial zeigt, dass die betriebliche Krankenversicherung bei allen Anbietern inzwischen eine zentrale Rolle einnimmt. Nach Angaben des Verbandes der Privaten Krankenversicherer (PKV-Verband) verzeichnete die bKV 2024 abermals ein starkes Wachstum. So stieg die Zahl der Beschäftigten mit einen bKV-Vertrag von 2,1 auf 2,4 Millionen Personen. Ein Plus von 15,8 Prozent. Nach Angaben von Assekurata boten Ende 2024 hierzulande 56.500 Unternehmen ihren Mitarbeitern ein bKV an. Ein Zuwachs von 43 Prozent gegenüber 2023. Die Zahlen zeigen: Aus dem einst zarten Pflänzchen ist ein veritabler Baum geworden. Und es gibt noch Luft nach oben. Versicherer wie die BarmeniaGothaer sehen in dem Segment jedenfalls noch ein beträchtliches Wachstumspotenzial, das noch gehoben werden kann.

„Der Markt für betriebliche Krankenversicherungen (bKV) ist nach wie vor kaum erschlossen – nur 2,1 Millionen Arbeitnehmer profitieren bislang von den Vorteilen. Dabei zeigen über 16 Millionen bereits jetzt konkretes Interesse, während rund 24,2 Millionen Arbeitnehmer das Angebot noch gar nicht kennen“, betont Pressesprecherin Marina Weise-Bonczeck. Für die Allianz spielt die bKV ebenfalls eine wichtige Rolle. „Sie ist das dritte Segment für unser Unternehmen und seit Jahren ein starkes Wachstumsfeld“, sagt der APKV-CEO. Der Trend gehe hin zu noch mehr Flexibilisierung und Gestaltungsfreiheit. Dabei haben sich besonders die Budgettarife als tragende Säule im Markt etabliert. „Viele Unternehmen legen Wert darauf, ihren Mitarbeitenden über die bKV vielfältige Gesundheitsleistungen anzubieten, und dafür sind Budgettarife prädestiniert, sagt Esser.

Die ersten Budgettarife kamen 2017/2018 auf Markt. Die Hanse Merkur ist hingegen verhältnismäßig spät auf den Zug aufgesprungen und bietet die Tarife nach Aussage von Bussert seit etwa eineinhalb Jahren an. Unterstützt durch digitale Services und ein breites Leistungsspektrum steige die Nachfrage dort weiter an, so Bussert.

Gefragt sind laut Hallesche Vertriebsleiter Hertwig inzwischen auch Assistance-Leistungen. „Hier zeichnet sich ein klarer Trend ab: Was früher als ergänzendes Serviceelement galt, ist heute integraler Bestandteil moderner Versorgungskonzepte. Medizinische Beratungshotlines, Terminmanagement, Zweitmeinungsangebote oder digitale Gesundheitsanwendungen – etwa Apps und telemedizinische Leistungen – werden von Arbeitgebern gezielt nachgefragt und von Mitarbeitenden zunehmend geschätzt. Die bKV entwickelt sich damit spürbar weiter: hin zu einem ganzheitlichen Gesundheitsangebot im betrieblichen Kontext“, sagt Hertwig.

„Das größte Wachstum besteht dort, wo bereits das größte Wachstum stattfindet: in der betrieblichen Krankenversicherung“, sagt Vema-Vorstand Neder. „Als noch relativ neues Versorgungskonzept ist die bKV sehr vielen Entscheidern noch gar nicht bekannt. Der Fachkräftemangel ist ein reales Problem, bei dem man sich sehr bewusst als attraktiver Arbeitgeber positionieren muss, um im „war for talents“ punkten zu können. Ein so wertiger Benefit wie die bKV kann dabei helfen, Bestandsmitarbeiter zu halten und die Entscheidung eines Bewerbers positiv zu beeinflussen. Ganz zu schweigen von positiven Kosteneffekten“, erklärt Neder.

Neders Aussagen werden durch eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung WTW untermauert. Demnach wollen viele Firmen ihre Zusatzleistungen trotz Spardruck weiter ausbauen. Im Fokus: Die Vorsorge und insbesondere die Gesundheit. Laut WTW bleibt – trotz wirtschaftlichem Druck – das Thema Mitarbeiter-Benefits für viele Unternehmen ein zentrales Handlungsfeld. Wie die aktuelle Studie „Benefits Trends 2025“ zeigt, planen 61 Prozent der Arbeitgeber in den kommenden drei Jahren, ihre Zusatzleistungen auszubauen. Dabei geht es insbesondere um die Förderung von Gesundheit, Vorsorge und psychischem Wohlbefinden. Im Ranking der Prioritäten steht das Thema Gesundheit klar an erster Stelle: 81 Prozent der Unternehmen setzen auf physische und psychische Gesundheitsangebote. Altersvorsorge und finanzielle Benefits – etwa zur Förderung von Resilienz und Absicherung – gewinnen ebenfalls an Bedeutung. Damit zeichnet sich ab, dass die dynamische Entwicklung in der bKV und der bAV weitergehen dürfte. Laut WTW bietet dies Potenzial für neue Beratungskonzepte. Das gelte insbesondere an der Schnittstelle von bAV, bKV und Gesundheitsmanagement, schreibt die Unternehmensberatung.

Wachstumsperspektiven gibt es auch bei den privaten Zusatzpolicen. Wesentliche Gründe sind zum einen die Leistungsgrenzen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die in vielen Bereichen zu spüren sind. Gleichzeitig hat die Corona-Pandemie das Bewusstsein für Gesundheit geschärft – und mit ihr die Ansprüche der Versicherten verändert. Gesundheit gilt heute mehr denn je als hohes Gut, das es aktiv zu schützen gilt. Die Studie „Private Krankenversicherung 2024“ der Continentale Versicherungsgruppe zeigt, dass nur etwa jeder zweite gesetzlich Versicherte ab 25 Jahren mit Preis und Leistung des Gesundheitssystems zufrieden. Zugleich glauben 80 Prozent der GKV-Versicherten, dass eine gute medizinische Versorgung künftig nur noch durch zusätzliche private Vorsorge gesichert werden kann. „Eine private Zusatzversicherung stellt für viele Menschen eine geeignete Lösung dar, um die Versorgungsqualität zu verbessern und sich in bestimmten Bereichen auf das Niveau eines Privatpatienten zu heben“, sagt Fonds Finanz-Geschäftsführerin Schönteich.

Zusatzversicherungen gefragt

Und so zieht die Nachfrage nach entsprechenden Produkten an. Laut der Continentale-Studie verfügen inzwischen 39 Prozent der gesetzlich Versicherten über eine oder mehrere private Zusatzversicherungen. Für Vermittlerinnen und Vermittler dürfte eine weitere Erkenntnis der Studie interessant sein: Rund jeder fünfte Befragte kann sich vorstellen, in den kommenden zwölf Monaten eine weitere Zusatzversicherung abzuschließen. An der Spitze des Interesses stehen dabei Zahnzusatzversicherungen, gefolgt von ambulanten Zusatzpolicen – inklusive Leistungen für Sehhilfen, Vorsorgeuntersuchungen und Naturheilverfahren. Ebenfalls gefragt sind stationäre Wahlleistungen sowie Krankenhaustage- und Krankentagegeld bei Arbeitsunfähigkeit.

Im Durchschnitt sind gesetzlich Versicherte bereit, monatlich rund 60 Euro in private Zusatzversicherungen zu investieren – ein deutliches Zeichen für das wachsende Bedürfnis nach individueller Absicherung. Spannend ist zudem ein Blick auf die Abschlusskanäle: Beim Abschluss von Krankenzusatzversicherungen bleiben Versicherer und Vermittler weiterhin die wichtigsten Ansprechpartner. Vergleichsportale hingegen spielen bislang nur eine untergeordnete Rolle. Wie die aktuelle Studie „Private Krankenversicherung 2024“ der Continentale zeigt, erfolgt der Großteil der Abschlüsse nach wie vor persönlich vor Ort – und damit etwa doppelt so häufig wie über digitale Kanäle. Allerdings deutet sich hier ein Wandel an: So plant rund die Hälfte der gesetzlich Versicherten, die bisher noch keine Zusatzversicherung abgeschlossen haben, dies künftig online zu tun. Mehr als ein Drittel gibt zudem an, dafür künftig Vergleichsportale nutzen zu wollen. Die steigende Onlineaffinität der Versicherten beginnt sich auch auf das Abschlussverhalten auszuwirken.

Christine Schönteich
Fonds Finanz Geschäftsführerin Christine Schönteich: „Wir sehen in sämtlichen Segmenten Wachstumspotenzial.“ / Foto: Fonds Finanz

Dennoch dürfte für Vermittler der persönliche Kontakt im PKV-Vertrieb ein entscheidender Erfolgsfaktor bleiben. Wobei digitale Touchpoints und hybride Beratungsmodelle auch hier an Bedeutung gewinnen. Wer sich als Partner der Kunden im digitalen Raum positioniert, dürfte damit langfristig Sichtbarkeit und Vertrauen gewinnen.

Gravierende Hürden im Vertrieb privater Krankenversicherungen sieht Fonds-Finanz-Geschäftsführerin Schönteich aktuell nicht. „Wir sehen in sämtlichen PKV-Segmenten – von der Vollversicherung über Zusatzpolicen bis hin zur bKV – ein anhaltend hohes Wachstumspotenzial.“ Makler, die sich fachlich gut aufstellen und die Bedürfnisse ihrer Zielgruppen verstehen, könnten hiervon in hohem Maße profitieren. Insbesondere die Corona-Pandemie habe zu einem Wandel der Kundenbedürfnisse geführt. „Während vor der Pandemie eine günstige Prämie von Bedeutung war, spielen heute Themen wie Qualität, Beitragsstabilität oder angebotene Services wie Online-Sprechstunden eine wichtigere Rolle. Insbesondere in der Krankenvollversicherung stellen wir eine wachsende Nachfrage nach besonders leistungsstarken Tarifen fest – etwa mit Chefarztbehandlung, Einbettzimmer und weltweiter Geltung. Gerade in der bKV ist die Akzeptanz signifikant gestiegen. Vor einigen Jahren galt sie noch als Nischenprodukt, heute sind die Tarife auf dem Markt sehr etabliert und fester Bestandteil moderner Benefit-Strategien. Wir haben uns in der Produktberatung auf diese neuen Kundenbedürfnisse eingestellt und liefern die entsprechenden Kennzahlen, Infos und Argumente dazu“, sagt die Vertriebsexpertin.

Hybride Beratung gewinnt an Bedeutung

Allgemein sei zu beobachten, dass hybride Beratungsmodelle – insbesondere die Videoberatung – stark an Bedeutung gewonnen haben. Fonds Finanz habe frühzeitig auf diese Entwicklung reagiert und sein Unterstützungsangebot für Vermittler entsprechend erweitert, so Schönteich. Neben digitalen Tools stehen den Partnern weiterhin auch die klassischen Leistungen des firmeneigenen Kranken-Kompetenzcenters zur Verfügung. Im Fokus steht ein möglichst breites Angebot für unterschiedliche Beratungsansätze. Maklerinnen und Makler können unter anderem auf Online-Abschlussstrecken, digitale Antragstools und eine Kombination aus analogen und digitalen Verkaufshilfen zugreifen. Auch die systematische Lead-Generierung wird unterstützt.

Ein wachsender Stellenwert kommt im PKV-Vertrieb der Künstlichen Intelligenz zu. Diese soll künftig verstärkt dazu beitragen, Makler im Alltag zu entlasten und ihnen mehr Freiraum für die individuelle Kundenberatung zu verschaffen. Ziel sei es, so das Schönteich, die Vertriebspartner passgenau in ihren jeweiligen Geschäftsmodellen zu begleiten – ob digital, persönlich oder kombiniert.

Dr. Johannes Neder, Vorstand Vema
Vema-Vorstand Dr. Johannes Neder: Die größte Hürde für den Erfolg in dem Segment liegt vor allem im Kopf des Vermittlers.“ / Foto: Vema

Vema-Vorstand Neder sieht die größten Hürden für den Vertriebserfolg in dem Segment vor allem im Kopf des Vermittlers. Die Versorgungssituation der Kunden habe sich in den letzten Jahrzehnten kaum verändert. „Im Bereich der Zusatzversicherungen muss man seine Kunden im Grunde nur darauf ansprechen“, sagt Neder. Vielleicht seien viele Vermittler hier gehemmt, wollten ihren Kunden aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation nicht noch mehr Versicherungskosten aufbürden.

Noch Potenzial

„Dabei liegt in diesem Segment in den meisten Vermittlerbeständen noch gutes Potenzial. Man muss es einfach angehen. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass der Kunde ,Nein‘ sagt“, so Neder. Bei der Vollversicherung sieht Neder in der negativen Berichterstattung in den Medien eine spürbare Bremse. Ein fünfminütiger TV-Beitrag, in dem eine Rentnerin über kaum noch bezahlbare Beiträge ihrer Krankenversicherung klagt, ohne die Ursachen dafür zu durchleuchten, verzerre das Bild. Eine weniger polarisierende Berichterstattung wäre oft wünschenswert. „Denn mit einer vernünftigen Betreuung und auch etwas Eigeninteresse an seinen Versicherungen gäbe es das Dilemma nicht. Das kann man manchen Kunden alles erklären. Manche werden es nachvollziehen können, andere werden skeptisch und damit in der GKV bleiben“, sagt Neder.

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