Verlieren die Zentralbanken die Kontrolle?

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David Wehner, Do Investment AG

Die historisch hohen Inflationsraten in den Industrieländern sind weiterhin der größte Belastungsfaktor für die Wirtschaft und die Kapitalmärkte. Erste Bremsspuren sind bereits erkennbar. Das Konsumentenvertrauen sinkt, Ausgaben für Konsumgüter werden zurückgehalten und Kreditkartenschulden steigen. Die Wachstumsraten in den USA und Europa sind rückläufig, eine Rezession ist in den nächsten zwölf bis 18 Monaten nicht auszuschließen. Denn in Phasen hoher Inflation gibt es mittelfristig nur Verlierer. Die privaten Haushalte ächzen unter den steigenden Lebenshaltungskosten, die Margen und Gewinne von Unternehmen schrumpfen und der Staat befindet sich in einer Zwickmühle, da konjunkturunterstützende Maßnahmen die Inflation weiter anfeuern könnten.

Mittlerweile sind die hohen Inflationsraten zu einem wichtigen politischen Thema geworden – auch für die im November stattfindenden Zwischenwahlen in den USA. So wird für US-Präsident Joe Biden und die Demokraten eine Entspannung bei den Inflationsraten wesentlich sein. Gleiches gilt für die Zentralbanken, die den Anstieg der Inflationsraten bis Ende 2021 noch als temporären Effekt verharmlosten. Die EZB-Sitzung in der letzten Woche hat zwar keine Zeitenwende, aber dafür eine Zinswende eingeläutet. Im Juli ist mit der ersten Zinserhöhung seit der Eurokrise zu rechnen. Die US-Notenbank wird ihren Zinserhöhungszyklus in dieser Woche fortsetzen, eine Zinserhöhung um 75 oder sogar 100 Basispunkte ist nicht ausgeschlossen. 

Kapitalmärkte laufen den Zentralbanken voraus

Die Kapitalmärkte haben mittlerweile auf das geldpolitische Anpassungstempo der Zentralbanken reagiert. Die Aktienmärkte sind in den letzten zehn von elf Wochen gefallen, diesen Montag sind die Aktien- und Rentenmärkte, Gold und Bitcoin im Gleichlauf gesunken. Alle Einzeltitel des S&P 500 haben am Montag negativ geschlossen, zum ersten Mal seit dem Jahr 1990. Die US-Renditen sind innerhalb von drei Handelstagen sprunghaft um vierzig Basispunkte angestiegen. Auf der Währungsseite ist ebenfalls eine ungewöhnlich hohe Volatilität zu beobachten.

Es wirkt derzeit so, als würden die Zentralbanken der Industrieländer die Kontrolle über die Kapitalmärkte verlieren. So haben sie im letzten Jahr die Inflation als temporäre Erscheinung abgetan, jetzt mussten sie ihren Kurs um 180 Grad korrigieren. Die Pläne der EZB, der Bank of England und der US-Fed sahen bisher vor, die Märkte auf den geldpolitischen Anpassungsprozess vorzubereiten und die Zinsen schrittweise zu erhöhen. Dieser Plan geht allerdings nicht auf, da die Kapitalmärkte die Entwicklungen vorwegnehmen und die Zentralbanken hinterherlaufen. Das Resultat dieser Gemengelage lautet Volatilität. 

Für die Kapitalmärkte wird der Zins-Ausblick der US-Fed in dieser Woche entscheidend sein und inwieweit sie es schafft, vor die Erwartungen der Kapitalmarktteilnehmer zu gelangen. Dabei wünschen sich zahlreiche Experten einen steilen Zinsanstieg durch die global wichtigen Zentralbanken. Die Konsequenzen einer solchen geldpolitischen Straffung sind ebenfalls in der Realwirtschaft erkennbar: Der Anstieg bei Immobilienkreditzinsen läuft auf eine Abkühlung des Marktes zu. Zudem verhängen große Technologie-Unternehmen wie Tesla, Amazon und Facebook Einstellungsstopps oder sie trennen sich sogar von Personal. 

Am Zielkorridor vorbei

Die Inflationsraten müssen sich in den nächsten Monaten stabilisieren und im besten Fall leicht rückläufig sein, damit die Zentralbanken das Tempo bei ihrem geldpolitischen Anpassungsprozess nicht erhöhen. Aber: Ein solches Szenario ist derzeit kaum absehbar, da Lebensmittel- und Energiepreise weiter steigen.
Grundsätzlich sehe ich eine Wahrscheinlichkeit, dass – nach der US-Fed-Sitzung diese Woche sowie Hexensabbate in den Sommermonaten Juli und August – wieder höhere Niveaus bei den global wichtigen Aktienmarktindizes möglich sind. Allerdings konnten wir in diesem Jahr schon zweimal die Erfahrung machen, dass bei Bärenmarkt-Rallyes immer die Gefahr eines abrupten Endes mit schwebt.

Ich gehe davon aus, dass die nächsten zwölf bis 18 Monate an den Kapitalmärkten weiterhin herausfordernd bleiben. In Anbetracht der Weltwirtschaftslage, des Ukraine-Krieges, der historisch hohen Inflationsraten und der restriktiveren Zentralbankpolitik mit den jeweiligen Konsequenzen komme ich zu dem Schluss: Die Korrektur an den Kapitalmärkten hielt sich bisher im Rahmen! Interessant wird sein, wie die Zentralbanken reagieren, wenn sie ihr angestrebtes neutrales Zins-Niveau erreichen, aber die Inflation auf einem erhöhten Niveau verbleibt und nicht in den Zielkorridor von zwei Prozent fällt.

Autor David Wehner ist Senior Portfoliomanager bei Do Investment AG.

Die Do Investment AG ist Teil der Unternehmensgruppe von Herrn Silvius Dornier. Eingebunden in ein einzigartiges Netzwerk und in enger Verknüpfung mit dem Family Office der Familie Silvius Dornier werden Privatpersonen, mittelständische Unternehmerfamilien, konservative Institutionen und Stiftungen ganzheitlich in allen Fragen der Vermögensplanung und des Vermögensmanagements betreut. Die Kernkompetenzen der Do Investment AG liegen neben der Strukturierung und Verwaltung von liquiden Vermögenswerten in ausgewählten Sachwertinvestments im Bereich der Agrarwirtschaft

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