BGH-Urteil: Vertrieb haftet bei Faulheit des Kunden

Erneut hat der Bundesgerichtshof (BGH) ein Leitsatzurteil gefällt, über das nicht wenige Finanzdienstleister den Kopf schütteln werden. Daneben korrigiert er mit dem Urteil einen absurden Rechenfehler des OLG Celle. Der Löwer-Kommentar

„Die Sichtweise des BGH mag in Hinblick auf seine Rechtsgrundsätze durchaus eine gewisse Stringenz haben, für das echte Leben hingegen ist sie eine ziemliche Zumutung.“

Das Urteil hat der BGH in der vergangenen Woche mit dem Stichwort „abgelehnte Prospektlektüre Leitsatzentscheidung“ veröffentlicht. Demnach wird ein Anlageberater nicht dadurch von seinen Aufklärungspflichten entlastet, dass ein Anleger die Entgegennahme eines Emissionsprospekts mit der Begründung ablehnt, dieser sei „zu dick und zu schwer“ und nur „Papierkram“ (III ZR 498/16).

„Der Pflichtenumfang des Anlageberaters wird allein durch ein solches Verhalten nicht reduziert; insbesondere wird er nicht davon entbunden, den Anleger persönlich über die wesentlichen Risiken des Geschäfts zu informieren oder zumindest darauf aufmerksam zu machen, dass der Prospekt weitere wichtige, über das Gespräch hinausgehende Hinweise enthalten kann“, schreibt der BGH.

Im Klartext: Der Berater ist schadenersatzpflichtig, wenn der Kunde zu faul war, den Prospekt überhaupt in die Hand zu nehmen. Er hätte ihm die Informationen regelrecht aufdrängen müssen.

Starkes Stück

Das ist schon ein ziemlich starkes Stück. Der BGH spricht den Anleger damit einmal mehr komplett von jeder Verantwortung für sein eigenes Verhalten frei.

Dass ein nicht entmündigter Erwachsener von selber auf die Idee kommen könnte, dass ein Emissionsprospekt Informationen über die angebotene Beteiligung enthält, ist anscheinend schon zu viel verlangt. Und die Konsequenzen zu tragen, wenn er freiwillig darauf verzichtet, offenbar erst recht. Und das, obwohl der Kläger in den Jahren 2006 und 2007 insgesamt immerhin 75.000 Euro in drei Schiffsfonds investiert hatte.

Sache noch nicht entschieden

Allerdings: Die Sache ist noch nicht entschieden. Der BGH wies den Fall – auf Revision des beklagten selbständigen Anlageberaters, der in den Vorinstanzen zum Schadenersatz verurteilt worden war – zurück an das Oberlandesgericht (OLG) Celle.

Der Berater kann nun vor dem OLG weitere Argumente unter anderem dazu vortragen, warum er von dem generellen Desinteresse des Klägers an weiteren Informationen ausgehen konnte. Dann wäre er in diesem Punkt wohl aus dem Schneider.

Seite 2: Urteil eigentlich zu Gunsten des Beraters

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