Michael Groß: „Berufsbilder werden immer instabiler“

Cash. sprach mit Unternehmensberater und Schwimm-Olympiasieger Dr. Michael Groß über die erfolgreiche Führung eines Unternehmens im digitalen Zeitalter, die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt und die Fähigkeit, aus Niederlagen zu lernen. Teil zwei des Interviews

Michael Groß: „Der Beruf des Finanzvermittlers ist bei den Berufswünschen der jüngeren Generation völlig unterrepräsentiert.“

Cash.: Warum ist es wichtig, auch im digitalen Zeitalter analog zu bleiben?

Groß: Je stärker Geschäftsprozesse digitalisiert werden, desto wichtiger wird der einzelne analoge Kontakt. Bei mir an der Universität möchten beispielsweise die Studenten mehr denn je persönliches analoges Feedback zu ihren Seminararbeiten haben, der Rest geht online über eine gemeinsame Plattform.

In den Unternehmen will zwar niemand mehr die Alltagsroutine analog besprechen, das wird alles möglichst einfach auf digitalen Arbeitsplattformen abgebildet.

Die Mitarbeiter möchten aber kontinuierlich persönliches Feedback zu ihren Leistungen haben. Und das geht nur analog.

Sie prophezeien in Ihrem Buch auch das Ende der E-Mail.

Genau. Wer kommuniziert denn unter 25 noch per E- Mail? Das geht schon in den Familien mit den WhatsApp-Gruppen los.

Man sollte vermeiden, dass wichtige Informationen in irgendwelchen E-Mail-Ordnern vor sich hin darben, und stattdessen auf gemeinsame digitale Arbeitsplattformen zugreifen. So hat jeder Mitarbeiter jederzeit alle wichtigen Informationen zur Verfügung.

Cash.: Massiver Verlust von Arbeitsplätzen oder Jobwunder? Wie wird sich die Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt auswirken?

Groß: Es passiert beides: Arbeitsplätze gehen massiv verloren, es gibt aber auch Jobwunder. Für bestimmte Berufe findet man keine Leute mehr, zum Beispiel Lkw-Fahrer oder Taxi-Fahrer.

Die wird in zehn Jahren niemand mehr brauchen, viele Berufsfelder verschwinden. Dafür wird es neue Berufsfelder geben, insbesondere im Bereich IT, in die die jüngere Generation automatisch hineinwächst.

Ein Professor der University of California in Berkeley hat übrigens die These aufgestellt, dass Kinder, die heute geboren werden, zum Ende ihrer Berufskarriere nicht mehr den Beruf ausüben werden, mit dem sie angefangen haben.

Noch vor hundert Jahren war es so, dass die Kinder meistens den Beruf ihrer Eltern ausgeübt haben. Das war möglich, weil die Berufsbilder damals sehr stabil waren.

Heute werden sie immer instabiler. Das führt dazu, dass man in seinem Leben höchstwahrscheinlich zwei- oder dreimal einen neuen Beruf ausüben wird.

Bei vielen Absolventen der Wirtschaftswissenschaften gilt mittlerweile ja das Motto: „Wenn überhaupt Finanzdienstleistungsbranche, dann Fintech.“

Der Beruf des Finanzvermittlers ist bei den Berufswünschen der jüngeren Generation völlig unterrepräsentiert. Ich sehe das bei meinen Studenten im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich: Dort will niemand mehr in dieser Branche arbeiten.

Sie wollen nicht in ein Berufsfeld einsteigen, das es möglicherweise in 40 Jahren nicht mehr gibt. In der Finanzdienstleistungsbranche sollte man deshalb schon jetzt schauen, in welche Richtung man sich weiterentwickeln kann – nicht positionsmäßig, sondern fachlich-inhaltlich.

Beim Thema Fintechs vergessen allerdings viele, worauf sie sich einlassen. Ein Fintech bedeutet, dass Leben und Arbeiten eins werden. Und es bedeutet: Gambling. Der ganze Einsatz kann umsonst sein, wenn das Fintech scheitert, was eher die Regel ist. Das ist vielen nicht bewusst.

Cash.: Welche Fähigkeiten, die Ihnen bei Ihren Schwimmwettkämpfen geholfen haben, können auch bei der Führung eines Unternehmens im digitalen Zeitalter hilfreich sein?

Groß: Ein Sportler lernt, sich ständig neu auszurichten – zum Beispiel wenn er sich verletzt oder wenn sich der Wettbewerb anders entwickelt als gedacht. Dann muss man den Schalter umlegen – Plan B verfolgen oder ganz neu ansetzen.

Wir wissen: Jedes Rennen fängt bei null an. Einer meiner Olympiasiege ist nur deshalb zustande gekommen, weil ich spontan Dinge verändert habe, als ich merkte, dass die Spiele bisher nicht optimal laufen.

Außerdem lernt man als Sportler, mit Fehlern, Enttäuschungen und Niederlagen umzugehen. Gerade das ist heute wichtiger denn je.

Interview: Kim Brodtmann

Foto: Picture Alliance

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