Bafin-Präsident Hufeld: „Wir betrachten einzelne Risikotreiber genauer“

Felix Hufeld, EZB-Aufsichtsratsmitglied und Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, spricht über die hochrangige Überprüfung des Kernaufsichtsprozesses, die Bedeutung des ICAAP, digitale Entwicklungen und andere Finanzdienstleistungen.

Bafin-Präsident Felix Hufeld

Sie leiten seit zwei Jahren eine hochrangige Gruppe, um die Kernaufsichtstätigkeit zu überprüfen – den aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess. Was ist das Mandat der Gruppe und was untersuchen Sie im Besonderen?

Hufeld: Der Aufsichtsrat hat die Gruppe vor gut zwei Jahren mit einem Beratungsmandat ausgestattet. Das Gremium bereitet den Aufsichtsrat auf Themen rund um den aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozesses vor. Ein zentrales Thema ist die Frage, wie die institutsindividuellen zusätzlichen Eigenmittelanforderungen bestimmt werden, die Säule-II-Anforderungen. Der aktuelle Ansatz der europäischen Bankenaufsicht knüpft die Bestimmung dieser Anforderungen eng an die Gesamteinschätzung des Instituts.

Wir fahren da also einen holistischen Ansatz. Den ergänzen wir nun, indem wir uns verstärkt die einzelnen Risikotreiber genauer ansehen. Das läuft bei uns unter der Überschrift „Risk-by-risk“-Ansatz. Diese zusätzliche Perspektive nehmen wir vor allem deswegen ein, weil sich nicht alle Faktoren, die in die Gesamtbewertung eines Instituts einfließen, gleichermaßen auf dessen Kapitalbedarf auswirken. Es liegt zum Beispiel nahe, Liquiditätsrisiken oder Risiken, die wir besser mit qualitativen Maßnahmen als mit Kapitalaufschlägen einhegen können, nicht unmittelbar in die Bestimmung der Säule-II-Anforderungen einfließen zu lassen. Mit dem „Risk-by-risk“-Ansatz setzen wir übrigens auch die aufsichtlichen Überprüfungsleitlinien der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde um.

Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial im Aufsichtsprozess und was erwarten Sie von den Banken?

Hufeld: Mit der Einführung einer „Risk-by-risk“—Perspektive, also der Betrachtung einzelner Risiken, möchten wir auch der internen Risikotragfähigkeitsrechnung und Kapitalplanung der Institute (Internal Capital Adequacy Assessment Process/ICAAP) eine größere Bedeutung im aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess verschaffen. Diese Risikotragfähigkeitsrechnung ist weit mehr als die Anforderungen der Säule II. Wir wollen sowohl die Banken dazu bringen, ihre ICAAPs zur internen Steuerung des Kapitalbedarfs zu verbessern, als auch die daraus gewonnenen Informationen aufsichtlich stärker nutzen. Klassischerweise wird der interne Kapitalbedarf ja auch nach Risikoart, also „Risk-by-risk“, bestimmt. An der Stelle lauern aber Fallstricke, weil die Bestimmung der Anforderungen aus Säule II am Ende natürlich aufsichtlichen Kriterien folgen muss und eine andere Zielsetzung hat als der ICAAP. Wir müssen also eine direkte Wechselbeziehung zwischen Säule-II- Anforderungen und ICAAP vermeiden. Die wäre nämlich weder im aufsichtlichen Interesse noch im Interesse der Institute. Leider sind die Daten, die wir von vielen Banken über ihren ICAAP erhalten, noch sehr verbesserungswürdig. Woran wir in den kommenden Jahren zweifellos mit hoher Priorität arbeiten werden.

Die BaFin hat traditionell die Bedeutung von ICAAP als wertvolles Instrument für das Risikomanagement einer Bank hervorgehoben. Warum?

Hufeld: Der ICAAP ist, wie es der Name schon sagt, ein institutsinterner Prozess. Natürlich haben wir als Aufseher auch bestimmte Erwartungen daran, wie dieser Prozess auszusehen hat, und diese Erwartungen teilen wir den Instituten auch mit (Link auf ICAAP Guide). Die Banken sollten zum Beispiel eine gründliche Risikoinventur vornehmen und einen bestimmten festzulegenden Risikobetrachtungshorizont zugrunde legen. Wichtig ist auch, dass der ICAAP unmittelbar mit der Risikosteuerung verknüpft ist. Nur dann können wir davon ausgehen, dass die Banken ihre Risiken richtig erfassen, messen und entsprechend steuern. Wenn das Ganze nur eine Pflichtübung für uns Aufseher ist, haben wir das eigentliche Ziel verfehlt, nämlich das eigene Risikomanagement der Banken zu stärken. Ein guter ICAAP und die darauf fußende interne Kapitalsteuerung sind die erste Verteidigungslinie.

Der deutsche Bankensektor könnte – wie jüngst Überlegungen der Helaba und Deka Bank aufzeigen – auf eine stärkere Konsolidierung zusteuern. Könnte dies – insbesondere im öffentlichen Bankensektor – einen Trend auslösen?

Hufeld: Dieser Trend zur Konsolidierung besteht seit Jahrzehnten und betrifft alle Säulen des deutschen Bankensektors.

1990, im Jahr der Wiedervereinigung, gab es in Gesamtdeutschland noch etwa 4.700 Kreditinstitute mit gut 44.000 Filialen. Zehn Jahre später waren es nur noch 2.700 Institute. Allerdings stieg die Zahl der Zweigstellen auf 60.000 und erreichte zur Jahrtausendwende ihren Höhepunkt. Ende 2018 verzeichnete die Statistik lediglich 1.600 Institute, die wiederum knapp 28.000 Filialen betrieben. Ich gehe fest davon aus, dass sich dieser Trend noch eine ganze Weile unvermindert fortsetzen wird.

Etwas ganz anderes sind die beliebten Gedankenspiele, ob es sinnvoll ist, dass sehr große Bankhäuser – gegebenenfalls auch grenzüberschreitend – Übernahmen tätigen oder fusionieren. Vorbereitende Überlegungen oder auch konkrete Gespräche finden dazu immer wieder statt – auch in der jüngeren Vergangenheit. Die dabei entstehende Komplexität ist allerdings nicht zu unterschätzen.

Über die Sinnhaftigkeit solcher Fusionen sollte erst einmal der Markt entscheiden, nicht staatliche Stellen. Dass das dabei neu entstehende Institut seinerseits allen aufsichtlichen Anforderungen genügen muss, versteht sich von selbst.

Die BaFin ist nicht nur für die Aufsicht über Banken zuständig, sondern auch für alle anderen Sektoren der Finanzwirtschaft. Wie bewerten Sie die aufsichtlichen Risiken für Banken gegenüber denen anderer Dienstleister?

Hufeld: Das kann nicht gegeneinander abgewogen werden. Alle Teilsektoren der Finanzwirtschaft, seien es Banken, Versicherer, Vermögensverwalter, Zahlungsverkehrsdienstleister oder sonstige Finanzdienstleister, haben ihre jeweils eigenen Risiken, die aber alle aufsichtlich angemessen adressiert werden müssen.

Wenn es einen Unterschied gibt zwischen Banken und anderen Finanzdienstleistern, dann ist es die Tatsache, dass sich in einer akuten Krise der Zeitrahmen, der uns zur Verfügung steht, auf wenige Tage, manchmal auch nur Stunden, verdichtet. Bei anderen Finanzinstituten haben wir in der Regel mehr Zeit zur Krisenbewältigung.

Grundsätzlich bin ich aber extrem dankbar dafür, dass die BaFin als Allfinanzaufsicht alle Finanzsektoren in den Blick nehmen und das gesamte aufsichtliche Instrumentarium nutzen kann.

Die Wechselbeziehungen der verschiedenen Teilsektoren sind sehr stark und nehmen weiter zu, und ich sehe es als großen Vorteil, dies integriert aus einer Hand bearbeiten zu können.

Sie beobachten die digitalen Entwicklungen im Finanzsektor genau – von Big Techs und Big Data bis hin zu künstlicher Intelligenz. Welche Rolle hat der Aufseher hier?

Hufeld: Wir müssen verstehen, welche Veränderungen in den Finanzmärkten dank der Digitalisierung stattfinden, um auf veränderte oder gar völlig neue Phänomene aufsichtlich angemessen reagieren zu können.

Zugleich ist es unsere Aufgabe, aus diesen Erkenntnissen Impulse abzuleiten, bestehende regulatorische Vorgaben anzupassen – etwa im Bereich Risikomanagement mit Blick auf die IT-Sicherheit – oder völlig neue Regulierung anzuregen – zum Beispiel im Bereich Kryptowerte.

Neben neuen Herausforderungen in der klassischen prudenziellen Aufsicht ergibt sich auch eine Vielzahl neuer Fragen zur Verhaltensregulierung – insbesondere beim Verbraucherschutz. Als Stichworte seien nur beabsichtigte oder unbeabsichtigte Diskriminierung und Fragen der menschlichen Verantwortung angesichts zunehmender maschinengestützter Entscheidungsprozesse genannt.

Auch verschwimmen die Grenzen zwischen klassischen Finanzinstituten, die unserer Aufsicht unterliegen, und Technologieanbietern immer mehr. Was die Frage aufwirft, ob die heutige Reichweite aufsichtlicher Zuständigkeiten für die Marktstrukturen von morgen angemessen ist oder ergänzt werden müsste. Ich glaube, dass Letzteres der Fall ist.

Es bleibt abzuwarten, wie stark Trends wie etwa der der Plattformökonomie oder der weitestgehend anonymer blockchainbasierter Netzwerke oder das mögliche Aufkommen einer tokenbasierten Ökonomie einen Finanzsektor, wie wir ihn heute kennen, grundsätzlich in Frage stellen.

Was sind Ihrer Meinung nach die beiden größten Stärken der europäischen Bankenaufsicht und was sind die beiden größten Herausforderungen?

Hufeld: Als die größten Stärken der einheitlichen europäischen Bankenaufsicht schätze ich die guten analytischen Fähigkeiten und Instrumente, die sehr hohe individuelle Qualifikation und Leistungsstärke der Mitarbeiter und den beeindruckenden Sinn für Kollegialität und Gemeinsamkeit, der sich zwischen EZB und den Vertretern nationaler Behörden bei der Bewältigung einer gemeinsamen Aufgabe ergeben hat.

Die größte Herausforderung besteht aus meiner Sicht darin, aus der Start-up-Phase der ersten fünf Jahre heraus in einen Abschnitt der organisatorischen Reifung einzutreten. Das umfasst eine Vielzahl von Einzelaspekten. Als Beispiele nenne ich nur das Personalmanagement, eine stärkere Risikoorientiertheit und die richtige Mischung aus Prozessorientiertheit und individuellem Ermessen.

Foto: Bafin

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