Der Kreditzyklus steht vor einer Wende

Anziehende Inflationsraten und eine drohende inverse Zinsstrukturkurve sprechen für eine Rezession der US-Wirtschaft. Doch nach Einschätzung des Vermögensverwalters Nordea Asset Management sollten es sich die Investoren mit diesem Denkmuster in der aktuellen Situation nicht zu einfach machen.

Witold Bahrke, Nordea AM: „Sichere Anlagen, die liquide Erträge abwerfen, werden sehr gefragt sein.“

Die zunehmend flacher verlaufende Zinskurve in den USA spricht nach Ansicht von Witold Bahrke, Senior-Stratege bei Nordea Asset Management, nicht zwangsläufig für eine Rezession der US-Wirtschaft. „Der Abstand zwischen den Renditen von US-Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit gegenüber denen der zweijährigen Papiere hat sich unverkennbar verringert und liegt nur noch bei unter 0,5 Prozentpunkten“, beobachtet Bahrke. „Die nominelle Zinsstrukturkurve hat sich also deutlich verflacht und ist nicht mehr weit entfernt davon, invers zu werden – was als untrügliches Zeichen für eine nahende Rezession der US-Wirtschaft gilt. Doch ganz so einfach ist es nicht, denn die Zinsstrukturkurve ist kein Hopp- oder Top-Indikator, sondern wesentlich vielschichtiger als allgemein angenommen.“

Struktur der Zinskurve ist wichtiger Indikator für den Zustand der Wirtschaft

Unter Ökonomen und Analysten gilt die Struktur der Zinskurve als wichtiger Frühindikator für den Kreditzyklus und damit den Zustand der Wirtschaft. Die Renditen langlaufender Anleihen reflektieren nach herrschender Meinung die Wachstumsaussichten und Ertragserwartungen in der Wirtschaft, die der Kurzläufer die Richtung der Geldpolitik durch die Notenbank und die Finanzierungskosten. „Wenn die kurzfristigen Sätze niedrig und die langfristigen hoch sind, macht es also Sinn Kapital aufzunehmen und zu investieren“, erläutert Bahrke. „Ist das Gegenteil der Fall, werden Investitionen weniger attraktiv und Kredite zu vergeben wird riskanter.”

Die Folge ist, dass sich die Wirtschaft verlangsamt und die Gefahr einer deflationäre Spirale steigt, die im Extremfall – wenn die Zinsstrukturkurve invers wird – zu einer Rezession führt. „Der Grad der Verflachung ist bei genauer Betrachtung allerdings genauso zu beachten wie die Tatsache, ob die Zinsstrukturkurve invers wird oder nicht“, so der Nordea-Experte. Er empfiehlt daher, den Fokus auf die Struktur der realen Zinsen zu legen – also die nominellen Sätze um die Inflationsrate zu bereinigen.

Terminmärkte haben Ende der Zinserhöhungen durch die Fed eingepreist

„Schließlich geht es am Ende darum, das reale Wachstum einzuschätzen. Und hier zeigt sich Erstaunliches: Die Struktur der realen US-Zinsen verläuft so flach wie seit zehn Jahren nicht mehr. Sie ist weniger als zehn Basispunkte entfernt von einer Inversion“, sagt Bahrke. Ihm zufolge ist die nahezu ebene Zinsstrukturkurve real gesehen somit bereits Fakt – was als Zeichen dafür gesehen werden kann, dass sich das Wachstum verlangsamt und der Kreditzyklus vor einer Wende steht. „Was nicht zuletzt auch für eine restriktivere Kreditvergabe durch die Banken spricht“, prognostiziert Bahrke. „Dies dürfte jedenfalls der Hauptgrund dafür sein, dass die Terminmärkte bereits ein Ende der Zinserhöhungen durch die Fed in die Preise für Zinskontrakte eingepreist haben.“

Die Auswirkungen auf die Märkte durch die Verflachung der realen Zinsstrukturkurve werden Bahrke erheblich sein: „Durch die Wende im Kreditzyklus baut sich langfristig konjunktureller Gegenwind und Deflationsdruck auf. Dies wird dem Anstieg der langfristigen US-Zinsen enge Grenzen setzen – trotz des kurzfristigen Anstiegs der Inflationsraten“, entwirft Bahrke sein Szenario. „Und da die Wachstumsaussichten nach wie vor rosig sind, wird es Enttäuschungen an den Märkten geben. Sichere Anlagen, die liquide Erträge abwerfen, werden daher in dieser Situation sehr gefragt sein.“ (fm)

Foto: Nordea

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