FTX Krypto Debakel: Was bleibt vom Bitcoin?

Die Krypto-Börse FTX ist pleite. Zudem wurde sie wohl gehackt. Kundengelder sind in Gefahr. Wie kann das sein? Die BaFin rüffelt derweil einen Kryptoverwahrer in Deutschland. All das stellt die Grundfesten von "Kryptowährungen“ wie Bitcoin in Frage. Ein Kommentar von Stefan Löwer, Cash.

Bitcoin und andere „Kryptowährungen“ kommen ohne Intermediäre wie Banken, ohne zentrale Abwicklungsstellen und ohne staatliche Akteure aus. Stattdessen fungiert die Blockchain als dezentrales Kassenbuch („Distributed Ledger“), in dem alle Informationen in unveränderlichen Datenblöcken gespeichert und alle Transaktionen ständig vom gesamten Netzwerk kontrolliert werden.

Durch die kryptografische Verschlüsselung und Verkettung der digitalen Blöcke ist das System so gut wie nicht hackbar. Eigentümer von Bitcoins und anderen Kryptowerten können diese sicher in ihrer digitalen Brieftasche („Wallet“) verwahren, die nur sie selbst mit ihrem persönlichen Schlüssel(-Code) öffnen können. Transaktionen sind damit anonym gegenüber Institutionen und staatlichen Stellen direkt zwischen den Beteiligten möglich und das System immun gegen etwaige Manipulationen.

Das sind die zentralen Verheißungen der Verfechter von Bitcoin & Co. Doch nicht erst die Pleite der Kryptobörse FTX in der vergangenen Woche wirft die Frage auf, ob das alles wirklich stimmt.

Fall FTX dürfte es gar nicht geben

Schließlich dürfte es so etwas wie den Fall FTX theoretisch gar nicht geben. Doch in der Praxis finden auch Krypto-Transaktionen hauptsächlich über solche Intermediäre statt, die doch eigentlich eingespart werden sollten. Das belegt eine im April 2022 veröffentlichte Studie zum Bitcoin, die zudem weitere Diskrepanzen zwischen Theorie und Praxis aufdeckt. Sie wurde unter Leitung von zwei Wissenschaftlern der London School of Economics und des MIT aus den USA verfasst.

Nicht eben Vertrauen erweckend ist zunächst, dass der Studie zufolge 90 Prozent des Transaktionsvolumens, das auf der Bitcoin-Blockchain gespeichert ist, auf Übertragungen von einzelnen Accounts über Umwege letztlich an sich selbst entfallen. 90 Prozent! Der allergrößte Teil des erfassten Volumens dient also vermutlich lediglich der Verschleierung von Zahlungsströmen.

Von den verbleibenden nur zehn Prozent „echten“ Transaktionen mit einem wirtschaftlichen Sinn entfällt der Studie zufolge „die überwiegende Mehrheit“ auf Handels- und Spekulationszwecke. Seit 2015 erfolgten demnach 75 Prozent der Geschäfte über Börsen oder börsenähnliche Einrichtungen wie Online-Wallets.

Anteil von Zahlungsdienstleistern winzig klein

Ob ein Anteil von insgesamt „unter drei Prozent“ des Transaktionsvolumens für (erkennbar) illegale Geschäfte, Betrug und Glücksspiel wirklich – wie von der Bitcoin-Community bejubelt – als gering einzustufen ist, sei dahingestellt. Auffällig jedenfalls ist: Der Anteil der Transaktionen über Zahlungsdienstleister, also zum Beispiel beim Online-Einkauf, ist noch kleiner. Er nimmt zudem seit 2015 ab und ist spätestens ab 2019 so winzig, dass er in der betreffenden Grafik in der Studie kaum noch auszumachen ist.

Auch die oft gehypte Möglichkeit, etwa im Café oder Laden mit Bitcoin bezahlen zu können, dürfte damit die absolute Ausnahme sein und wird wohl noch seltener tatsächlich wahrgenommen. Warum auch? Wenn man ohnehin vor Ort ist, lässt sich schließlich mit Bargeld genauso gut anonym, ohne Nebenkosten und ohne Zwischenschaltung einer Bank bezahlen. Die Zahlung per Bitcoin hat lediglich den „Vorteil“, irgendwie hip zu sein.

Das Digitalgeld dient also meistens nicht als Zahlungsmittel für legale Geschäfte, sondern der Spekulation mit der „Währung“ selbst. Ob eine solche „Investition“ sinnvoll, ein substanzloser Hype oder ein globales Schneeballsystem ist, spielt hier keine Rolle. Jedenfalls ist so oder so zunächst eine Stelle – wie FTX eben – erforderlich, die den Umtausch von Zentralbankgeld in zum Beispiel Bitcoins vornimmt und den Wechselkurs feststellt. Gleiches gilt für den Rücktausch in herkömmliches Geld oder in andere Digital-„Währungen“, wenn jemand zum Beispiel Spekulationsgewinne mitnehmen oder Verluste begrenzen will. Ganz ohne solche Abwickler geht es dann eben doch nicht.

Weit mehr als eine digitale Wechselstube

Doch FTX war weit mehr als nur eine digitale Wechselstube oder eine Börse, die lediglich die Transaktionen durchführt. Vielmehr hat das Unternehmen offenbar – wie eine Bank – in großem Stil auch Kundengelder verwahrt. So war zu lesen, dass FTX vor einer Woche in Schwierigkeiten geraten ist, weil nach Gerüchten über Zahlungsschwierigkeiten Kundengelder „in Milliardenhöhe“ abgezogen worden waren, in welcher Währung auch immer.

Die verbleibenden Vermögenswerte wurden dann von der Wertpapieraufsicht – zunächst am Hauptsitz des Unternehmens auf den Bahamas – eingefroren. Der Verdacht steht gar im Raum, dass FTX Kundengelder rechtswidrig weitergereicht oder verliehen hat. Hinzu kam am Wochenende die Meldung, die Plattform sei gehackt worden und Coins im Wert von mehreren 100 Millionen US-Dollar gestohlen worden.

Seitdem fürchten die betroffenen Kunden um ihr Geld. Doch wie kann das sein? Wie hätten FTX oder die Hacker überhaupt an die Kryptowerte kommen können? Schließlich liegen sie doch in den angeblich so sicheren persönlichen Wallets der Kunden. Doch auch dieser Aspekt der schönen Bitcoin-Theorie hält der praktischen Wirklichkeit offenbar nicht stand.

Kunden zu faul oder nicht digital-affin genug

Die meisten Kunden sind anscheinend zu faul oder nicht digital-affin genug, um ihre Wallets tatsächlich auf dem heimischen Laptop oder dem eigenen Smartphone selber zu verwalten. Vielmehr belegt die Bitcoin-Studie, dass die allermeisten Kunden ihre Wallets bei „Börsen“ wie FTX oder ähnlichen Unternehmen führen beziehungsweise führen lassen.

Das unterscheidet sich dann kaum noch von einem herkömmlichen Bankkonto – zumal dann nicht, wenn die Plattform Zugriff auf das Vermögen hat. Sollte sich der Verdacht der Veruntreuung bei FTX erhärten und es sich dabei nicht nur um zwischengeparktes konventionelles Geld gehandelt haben, wäre ein weiterer Punkt der Krypto-Verheißung ad absurdum geführt: Dass allein der Wallet-Eigentümer mit seinem persönlichem Schlüssel Zugriff auf die Werte hat. Auch die angebliche Kontrolle aller Transaktionen durch das Blockchain-Netzwerk hätte dann versagt. Dass das System nicht hackbar ist, steht nach diversen früheren Hacks anderer Plattformen, bei denen ebenfalls Kryptogeld abhanden gekommen ist, schon länger in Frage.

Ob bei FTX auch Bitcoin verschwunden sind, ist noch nicht bekannt. So oder so bleibt indes von der schönen Bitcoin-Theorie in der Praxis nicht viel, zumal sich das „Digital-Gold“ auch als Wertspeicher in Krisenzeiten und als Inflationsschutz bislang nicht bewährt hat, wie der Absturz seit Ende 2021 belegt. Bitcoins sind eben keine physischen Münzen, sondern lediglich bestimmte Kombinationen aus Nullen und Einsen, die nur selten vorkommen und ansonsten keinen Nutzen haben. Dass ihnen überhaupt ein Wert beigemessen wird, ist allein von der Hoffnung abhängig, dass andere ebenfalls einen solchen sehen – oder sogar mehr dafür bezahlen. Diese könnte nun nachhaltig erschüttert sein.

BaFin rüffelt Coinbase Germany

Nur wenig zur Vertrauensbildung beitragen dürfte ein ganz anderer Vorgang, der sich in der vergangenen Woche in Deutschland zugetragen hat. Am Dienstag veröffentlichte die Finanzaufsicht BaFin eine Meldung, dass sie am 27. September 2022 gegenüber der Coinbase Germany GmbH die „Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation“ nach dem Kreditwesengesetz (KWG) angeordnet hat. Ups? Wie war das mit der Unabhängigkeit von staatlichen Stellen?

Grund für die Maßnahme seien Verstöße gegen die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation im Sinne des Paragraf 25a Absatz 1 und des Paragraf 25b Absatz 1 Satz 2 KWG. „Bei einer Jahresabschlussprüfung wurden bei dem Institut organisatorische Mängel festgestellt. Die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsorganisation war nicht in allen geprüften Bereichen gegeben“, hieß es von der BaFin. Bei den genannten Paragrafen geht es in erster Linie um das Risikomanagement.

Ob es angebracht ist, eine solche Anordnung am „BaFin-Pranger“ öffentlich zu machen oder ob das dem Unternehmen und seinen Kunden nicht eher schadet als nützt, würde hier zu weit vom Thema abführen. Jedenfalls liegt oder lag bei Coinbase Germany wohl einiges im Argen. Dabei handelt es sich keineswegs um eine kleine Krypto-Bude. Sie ist der deutsche Ableger der gleichnamigen, börsennotierten US-Plattform. Nach Angaben auf der Website hat Coinbase weltweit über 108 Millionen Nutzer in mehr als 100 Ländern und verwaltet Werte von 101 Milliarden US-Dollar auf der Plattform.

Coinbase Germany mit BaFin-Zulassung als „Kryptoverwahrer“

Auch Coinbase hatte in der Vergangenheit schon Turbulenzen zu überstehen und wird nach dem FTX-Debakel, wie andere Plattformen auch, genauestens beäugt. Da dürfte der öffentliche BaFin-Rüffel für den deutschen Ableger reichlich ungelegen kommen.

Immerhin jedoch ist Coinbase Germany von der BaFin als „Kryptoverwahrer“ in Deutschland zugelassen und wird von der Behörde beaufsichtigt. Damit dürfte das Risiko, das nicht aus den Kryptowerten selbst resultiert (sondern aus der Plattform), grundsätzlich geringer sein als bei einem Unternehmen, das wie FTX den Hauptsitz auf den Bahamas hat.

Damit allerdings ist auch verbunden, dass zwei weitere Punkte der Bitcoin-Theorie sich in Luft auflösen. Zum einen unterliegt Coinbase Germany als Finanzdienstleistungsinstitut grundsätzlich dem deutschen Geldwäschegesetz. Mit der Anonymität der Transaktionen ist es demnach, zumindest in Verdachtsfällen, vielleicht nicht allzu weit her. Zum anderen kommt das Unternehmen doch nicht ohne einen staatlichen Akteur aus, der Aufsicht der BaFin eben. Aber das ist vielleicht ja auch ganz gut so.

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