Liebe Fintechs, Verbraucherschutz geht anders!

Die Fingerunterschrift ist so toll einfach, was spielt es für eine Rolle, dass kaum eines Eurer Tools den Vorschriften für rechtssichere Signaturen entspricht? Mal ganz abgesehen davon, stehen über Euren Unterschriftsfeldern bestenfalls zwei umgangssprachliche Sätze mit einer marketinggerechten Erklärung, warum der Kunde unterschreiben soll. Das Dokument selbst? Fehlanzeige! Kann man irgendwo aufrufen – will doch eh kein Kunde!

Geldanlagen ohne Abfrage nach der Anlagehistorie, Abschlüsse in einem Chat oder Telefongespräch ohne Dokumentation und vernünftige Bedarfsanalyse – wer die Apps der Digitalmakler öffnet, findet Verstöße gegen Verbraucherschutzvorschriften in Minuten. Alles zu kompliziert, meint Ihr. Kunden lesen Aufklärungen ohnehin nicht. Außerdem: „Wenn der Kunde ein Problem hat, lösen wir das immer in seinem Sinne.“

Der Zweck heiligt die Mittel?

Genau hier ist das Problem: Ihr haltet Euch für die größten Kundenfreunde und meint, deshalb besser entscheiden zu können, wie der Kunde geschützt werden muss. Dabei überseht Ihr aber einen ganz wesentlichen Faktor: Ihr seid voreingenommen. Ihr lasst den Vertrag vor der Kundenunterschrift nämlich nicht weg, weil den kein Kunde lesen will – dann würde er ja nicht stören –, sondern weil lange Texte die Conversion runterbringen. Ihr unterschlägst Produktinformationsblätter und Bedingungswerkübergabe nicht der Belanglosigkeit halber, sondern weil es die  Monetarisierung eures Geschäftsmodell behindert. Datenschutz – was war nochmal Datenschutz? Nee, die Daten sind ja Eure Schatzkästchen, die es reichlich zu füllen gilt. Der Zweck – die Revolutionierung des Kundenservices – heiligt die Mittel?

Hey Fintechs, Ihr wollt der alten verkrusteten Branche mal zeigen wo es langgeht? Klasse. Aber was ist so herrlich innovativ daran, genau das gleiche fehlende Verständnis gegenüber gesellschaftlich erkämpften Verbraucherschutz zu zeigen wie mancher  08/15-Makler? Der klassisch arbeitende Makler findet die ganzen Vorschriften auch nicht schön, aber er bemüht sich wenigstens, das geforderte umzusetzen. Da ist nicht leicht. Es ist nicht billig und manchmal ist es ausgesprochen unfair.

Verbraucher- und Datenschutz ernst nehmen

Doch es liegt eine gefährliche Arroganz darin zu glauben, alles Althergebrachte gelte nun nicht mehr. Es gibt ja – ganz abgesehen davon das Gesetze nur einmal Gesetze sind – einen tiefer liegenden Grund für jede einzelne dieser von Euch ver- und missachteten Regeln. Ich bin sehr dafür, manches zu hinterfragen. Manchmal kann man einfach ein Risiko einkalkulieren. Das Schlimmste was passieren kann ist, dass der Kunde ein einseitiges Rücktrittsrecht hat? Ok, das kann ich berechnen und meinen Kapitalgebern als stille Kosten belasten. So what?

Nur tut Ihr weit mehr: Niemand erhebt sich auf Dauer über juristische Pflichten. Wenn Insurtechs nicht anfangen, Verbraucher- und Datenschutz ernst zu nehmen, kommt eines schönen Tages eine Bafin, ein arglistiger Wettbewerber oder eben ein Verbraucherschützer daher und terminiert einfach mal das ganze Geschäftsmodell. Das wäre tragisch, denn unsere Branche braucht frischen Wind!

Autor Oliver Pradetto ist Kommanditist und Mitbegründer des Maklerpools Blau direkt.

Foto: Anne-Lena Cordts

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