Invisible Underwriting: Anfangen, bevor es zu spät ist

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Alexa Weber, Principal bei Infosys Consulting: "Versicherer, die individualisierte Angebote bieten können, haben einen klaren Vorsprung.“

Die Corona-Pandemie hat die bereits bekannten Herausforderungen der Versicherer verschärft und die Probleme bei der Digitalisierung offenbart. Altsysteme, schlechte Datenqualität und fehlende Kundenkontaktpunkte offenbaren die Defizite bei Betriebs- und Arbeitsabläufen. Werden diese nicht schleunigst behoben, droht ein Kundenverlust in erheblichem Ausmaß. Was Versicherer jetzt unternehmen müssen, um in der digitalen Welt zu funktionieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Von ALEXA Weber, Infosys CONSULTING

Mit zunehmendem Umfang des Versicherungsschutzes steigt die Zahl an zu beantwortenden Fragen und der mitzuliefernden Dokumente, zahlreiche Telefonate sind zu führen und mitunter medizinische Gutachten und Stellungnahmen beizubringen – und dann heißt es oftmals warten auf die Zusage der Police. Denn erst, wenn ein Antragsteller alle Unterlagen vollumfänglich eingereicht hat, beginnt für Versicherer die Arbeit: Der zuständige Sachbearbeiter prüft die Anträge und schätzt die Risiken für sein Unternehmen ein. Nur nach erfolgreicher Prüfung kann die Versicherung abgeschlossen werden. In der heutigen schnelllebigen Welt sind Kunden jedoch nicht mehr gewillt, so lange auf ein Ergebnis zu warten. Versicherern, die diese Zeichen nicht erkennen, droht eine kaum zu überblickende Kundenfluktuation.

Invisible Underwriting hingegen verkürzt den Antragsprozess auf ein kaum spürbares Maß: Derzeit manuell ausgeführte Prozesse können digitalisiert werden und so insbesondere digital versierte Millennials ansprechen, die täglich eine Vielzahl von Kanälen nutzen. Versicherer können den Frageprozess und die anschließende Risikobewertung aufgrund der heute schon umfassenden Datenlage so optimieren, dass die eigenen Abläufe deutlich effizienter gestaltet werden können. Je mehr sie über ihre potenziellen Kunden wissen, desto besser lassen sich beispielsweise Risiken bei der Policierung minimieren.

Unternehmen, die bereits über ein modernes Datenmanagement verfügen und entsprechende Analysemethoden zum Einsatz bringen, können schon heute bestimmte Prozesse automatisieren und datengestützte Entscheidungen treffen. Heute noch nicht absehbare Umstände können bedingen, dass innerhalb kurzer Zeit Versicherungsschutz benötigt wird, von dem man wenige Tage zuvor noch nicht einmal wusste. Versicherer können dank Invisible Underwriting möglichst nah an die oftmals geforderten Echtzeit-Policen herankommen.

Viele Versicherer sahen sich in den vergangenen Jahren einem anhaltenden Kostendruck ausgesetzt. Schaffen es Versicherungsunternehmen, ihre Abläufe zu automatisieren und neue Produkte schneller auf den Markt zu bringen, können sie nachhaltig ihre Kosten senken. Um das entsprechend umzusetzen, bedarf es jedoch agiler und analytisch gestützter Underwriting-Plattformen. Kunden von heute benötigen andere Anreize als eingesessene Bestandskunden. Versicherer, die individualisierte Angebote bieten können, haben daher einen klaren Vorsprung. Um Invisible Underwriting erfolgreich umzusetzen, bedarf es folgender Schritte:

Das eigene Netzwerk verstehen, Ressourcen bestmöglich nutzen

Ein Unternehmen ist stets ein lebendiges Netzwerk aus verschiedenen Abteilungen und einzelnen Systemen. Entscheider müssen im Detail verstehen, wie ihre Organisation funktioniert. Das komplette Team muss an einem Strang ziehen, um gemeinsam die Dynamik aufrechtzuerhalten, die den Versicherer ausmacht. Aus diesem Grund müssen Führungskräfte die Entscheidung für Invisible Underwriting auch vollkommen unterstützen und mittragen. Nur so ist gewährleistet, dass das neue Programm Einzug in den Arbeitsalltag der Mitarbeiter findet.

Dafür sollten sie sich im Vorfeld die Frage stellen, wie Invisible Underwriting die eigene strategische Vision unterstützen kann. Das führt im Umkehrschluss dazu, dass die vorhandenen Ressourcen bestmöglich ausgeschöpft werden können – und das neue System einen nachhaltigen Beitrag zum Geschäftserfolg leistet.

Die wichtigsten Grundlagen stets im Blick behalten

Wie bei jeder digitalen Transformation fußt Invisible Underwriting auf großen Datenmengen. Viele etablierte Versicherer verfügen bereits über einen großen Datenstamm. Oftmals sind diese Daten jedoch aus einer Vielzahl an Gründen nicht für Invisible Underwriting zu gebrauchen. Manchmal sind Informationen fehlerhaft übermittelt – sei es durch falsch ausgefüllte Anträge oder Systemfehler. Manchmal müssen Daten auch erst umständlich umgeschlüsselt werden, bevor sie nutzbar sind. In diesem Zuge gilt es, den Schwerpunkt auf Data Governance zu legen.

So können Kundeninformationen mit neuen Daten angereichert und zueinander in Korrelation gesetzt werden, um neue Erkenntnisse zu gewinnen und den eigenen Kunden individuellere und passgenaue Angebote zu machen.
Dies wäre beispielsweise relativ schnell für Policen in der Risiko-Lebensversicherung, betrieblichen Krankenversicherung oder in der Unfalltod-Versicherung umsetzbar. Auch in gewerblichen Sparten sind viele Daten mittlerweile digital verfügbar. Zusätzlich zu den traditionellen Quellen können diese Daten einen großen Mehrwert schaffen.

Altsysteme zu modernisieren, nimmt erhebliche zeitliche Ressourcen in Anspruch. Aus diesem Grund darf die Einführung von Invisible Underwriting auch keine Ad-hoc-Entscheidung sein – sie muss stets mit einer langfristigen Vision einhergehen. Das bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass Altsysteme komplett abgeschafft werden müssen. Solange sie dazu beitragen können, eine moderne und digitale Customer Experience zu ermöglichen, kann es durchaus sinnvoll sein, Altbewährtes nicht vollständig über Bord zu werfen.

Ganz egal, ob Antragserfassung, Risikobewertung, Entscheidungsfindung und Preisgestaltung oder Druck und Versand – noch immer werden viele bestehende Prozesse manuell ausgeführt. Viele dieser Bearbeitungsschritte können mittlerweile jedoch simplifiziert und somit digitalisiert abgebildet werden. Vertragsdokumente können heute sicher elektronisch zugestellt werden, und Echtzeit-Dash-boards geben einen guten Überblick beim Thema Risikobewertung. Auch, wenn viele Versicherer noch davor zurückschrecken: Diese digitalen Prozesse sind mittlerweile robust und sicher genug, um die manuellen zu ersetzen.

Um den eigenen Mitarbeitern den Wechsel so angenehm wie möglich zu machen, ist es zumeist erforderlich, auch vermittlergesteuerte Kanäle in Schulungen mit einzubeziehen. Digitale Arbeitsabläufe erfordern maßgebliche Änderungen im Vergleich zum Umgang mit Antragsformularen in Papierform. Nur, wenn sichergestellt ist, dass sich alle abgeholt fühlen und eingebunden werden, kann die Transformation gelingen.

Klein anfangen, dann skalieren

Ein Transformationsprozess kann nicht von heute auf morgen funktionieren – er muss schrittweise vonstattengehen. Aus diesem Grund sollten Versicherer einen realistischen Stufenplan zur Implementierung des Invisible Underwritings entwerfen, der sukzessive auf die strategische Vision einzahlt. Wer in kleinen Schritten denkt, der kann schnell reagieren, falls etwas nicht funktioniert.
Roadmaps und andere Pläne können beispielsweise dabei helfen, Erfolge für jedes Quartal zu formulieren.

Diese können in regelmäßigen Abständen überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Zudem sollte darauf Wert gelegt werden, dass langfristige Initiativen, wie das Re-engineering von Altsystemen oder Prozessautomatisierungen, mit den entsprechenden Zeitabschnitten synchronisiert werden. Diese Pläne können bei Bedarf immer noch problemlos nach oben skaliert werden – andersherum könnten mitunter schwere Einbußen entstehen.

Zeitnahe Umsetzung führt zum Erfolg

Invisible Underwriting ist für Versicherer heutzutage aus vielerlei Hinsicht unumgänglich. Die einfache und digitale Abbildung manuell ausgeführter Prozesse ist vor dem Hintergrund hoher Kundenfluktuation und stetigem Kostendruck für Versicherungsunternehmen erfolgsentscheidend. Nur, wer es schafft, die genannten Schritte zeitnah umzusetzen, kann gestärkt aus der aktuellen Situation hervorgehen.

Autorin Alexa Weber ist Principal bei Infosys Consulting

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