Prospekthaftung: Übergabezeitpunkt entscheidend

Das Landgericht Frankfurt hat mit Urteil vom 01.02.2013 – 2-05 O 687/11 – die Klage eines Anlegers gegen seinen Berater abgewiesen. Es hat sich hierbei unter anderem mit der Frage beschäftigt, ob und wann der Prospekt ausgehändigt worden ist und wer dafür die sogenannte Beweislast trägt.

Kolumne von Oliver Renner, Rechtsanwälte Wüterich Breucker

“Eine rechtzeitige Prospektübergabe ist wohl bei einem Zeitraum von zwei Wochen vor Zeichnung gegeben.”

Die rechtzeitige Prospektaushändigung an den Anleger war demnach gegeben und die Klage wurde mit folgender Begründung abgewiesen: „In jedem Fall war dies ausreichend. Denn der Prospekt muss dem Anleger so rechtzeitig vor der Zeichnung übergeben werden, dass er sich damit auseinandersetzen kann, sofern er dies möchte. Maßgeblich ist damit, ob dem Anleger die Entscheidung darüber überlassen wird, die Zeichnung vorzunehmen, wenn er dies wünscht.

Beweislast beim Kläger

Ausgeschlossen sein soll eine Überraschung des Anlegers mit Informationen, die er nicht mehr verwerten kann, da eine (endgültige) Entscheidung zuvor schon abgefordert war. Daran fehlt es hier. Die Klägerin – darlegungs- und beweisbelastet für eine nicht rechtzeitige Übergabe des Prospekts – schildert gerade nicht, dass etwa vom Berater Druck dahingehend ausgeübt worden wäre, der Zedent müsse jetzt sofort zeichnen. (…) Daher ist davon auszugehen, dass der Prospekt rechtzeitig vorlag und als Teil der Beratung angesehen werden kann.“

Ausgehend von diesem aktuellen Urteil werden nachfolgend die maßgeblichen Fragen im Zusammenhang mit der Bedeutung des Prospekts als Medium der Aufklärung und Beratung dargestellt.

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Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 12.07.2007 (AZ.: III ZR 83/06) entschieden, dass der Umstand, dass ein Beteiligungsprospekt Chancen und Risiken einer Kapitalanlage hinreichend verdeutlicht, keinen Freibrief für den Vermittler bedeutet, Risiken abweichend davon darzustellen und mit seinen Erklärungen ein Bild zu zeichnen, das die Hinweise im Prospekt entwertet oder für die Entscheidungsbildung des Anlegers mindert.

1. Ausgangsfall

Im konkreten Fall, über den der Bundesgerichtshof zu befinden hatte, beteiligte sich ein Anleger mit DM 50.000,00 an einem geschlossenen Immobilienfonds. Die Beteiligungssumme wurde vom Anleger über ein Darlehen finanziert. Der Anleger hat gegen die Vertriebsgesellschaft Klage eingereicht. Hierbei hatte er unter anderem behauptet und unter Beweis gestellt, dass ihm der Vermittler garantierte Ausschüttungen von 7 Prozent p.a. versprochen habe, die zusammen mit den Steuervorteilen ausreichen sollten, die Kreditbelastung zu tragen.

Die Vorinstanzen (Landgericht Köln und Oberlandesgericht Köln) wiesen die Klage des Anlegers ab. Begründet wurde dies damit, dass der Prospekt die mit der Kapitalanlage verbundenen Risiken vollständig, klar und zutreffend beschreibe und dem Kunden als Information ausreiche. Die behaupteten Äußerungen des Vermittlers zu „garantierten“ Ausschüttungen seien nur als optimistische Meinungsäußerung und nicht als fundierte Prognose oder gar Zusage zu verstehen.

BGH: Behauptungen zu angeblich garantierten Ausschüttungen beweisen

Der Bundesgerichtshof hat diese Entscheidung nicht gehalten, sondern wieder zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs durften die Beweisantritte nicht für unerheblich erachtet werden. Es hätte über die Behauptungen zu den angeblichen garantierten Ausschüttungen Beweis erhoben werden müssen.

Der Bundesgerichtshof hatte in seinem Urteil vom 12.02.2004 (III ZR 359/03) die grundsätzliche Eignung und Zweckbestimmung eines Verkaufsprospektes, nämlich den Anlageinteressenten richtig und vollständig über die Eigenschaften, Chancen und Risiken einer Kapitalanlage zu informieren, zunächst wie folgt beschreiben: „Die zur Akquisition verwendeten Prospekte dienen dazu, dem Erwerber die für die Anlageentscheidung erforderlichen Informationen zu liefern, damit er die Anlage beurteilen und die Risiken einschätzen kann (vgl. BGHZ 77, 172, 176; 145, 121, 125).“

In den Entscheidungsgründen dieses Urteils hat der Bundesgerichtshof auch klargestellt, dass die Anforderungen an die Pflicht des Anlagevermittlers zur „Plausibilitätsprüfung“ nicht überspannt werden dürfen.

Hierauf beruhend haben zahlreiche Gerichte Klagen von Anlegern alleine mit der Begründung abgewiesen, dass der Prospekt ausreichend die Risiken darstellt, wenn der Anleger diesen erhalten habe, er eben selbst schuld sei. Was der Berater/Vermittler mündlich erläutert habe sei ohne Relevanz.

2. Bedeutung und Übergabe des Prospekts

Eine Haftung „nur“ des Vermittlers kommt dennoch, auch wenn er nicht als Berater zu qualifizieren ist, nach den Grundsätzen über die Prospekthaftung im weiteren Sinne (vgl. BGHZ 83, 222, 227) in Betracht, soweit dieser die Vermögensanlagen unter Verwendung von Prospekten vertrieben hat (BGH, Urteil vom 12.02.2004 – III ZR 359/02 -).

Mithin stellt sich die Frage, welche Bedeutung dem Prospekt als Medium der Informationsverschaffung im Rahmen der Anlageberatung zukommt. Der Bundesgerichtshof hat hierzu bereits im Jahr 1983 entschieden, dass ein Kapitalanleger die Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung besitzt, um selbst eine sachgerechte Entscheidung treffen zu können (BGH, WM 1987, 1546 ff.).

Zu spät, zu wenig: Anleger trifft keine Mitschuld

Es reicht aber nicht aus, dem Anleger den Prospekt erst nach der Zeichnung zu übergeben. Der Sinn der Pflicht, über Risiken eines Anlageobjekts aufzuklären, kann nicht durch eine nachträgliche Übergabe des Prospekts – selbst mit einer weiteren Widerrufsfrist – gewahrt werden. Denn nachträglich, d.h. nach dem Vertragsschluss, ist die Entscheidung für das Anlageobjekt bereits gefallen und eine nachträgliche Risikobelehrung führt die tatsächlichen Risiken nicht mehr so eindringlich vor Augen, wie es bei einer Risikoaufklärung vor der Anlageentscheidung der Fall ist.

Eine ausreichende Aufklärung kann auch nicht alleine in einem kurzen, nicht näher durch ergänzende Texte erläuterten Risikohinweis auf dem Zeichnungsschein selbst erfolgen. Ein solcher schlagwortartiger Hinweis ist nämlich nach einer rechtskräftigen Entscheidung des Landgerichts Memmingen nicht geeignet, dem Anlageinteressenten ausreichende Informationen über die mit der angebotenen speziellen Beteiligungsform verbundenen Nachteile und Risiken zutreffend, verständlich und vollständig aufzuklären (Landgericht Memmingen, Urteil vom 24.05.2005 (AZ.: 2 O 1719/04).

Der Anleger muss sich in diesem Fall grundsätzlich kein Mitverschulden entgegenhalten lassen. Er darf sich auf die Erfahrungen und Risikobewertungen des Vermittlers verlassen. Dass in den Prospekten und den Zeichnungsscheinen anders lautende Hinweise enthalten waren kann nach dem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 27.07.2006 dahinstehen. Vielmehr darf der Anlageinteressent darauf vertrauen, dass sich in dem schriftlichen Vertragswerk keine Klauseln befinden, die zu den Auskünften des Vermittlers in diametralem Gegensatz stehen. Ansonsten würde Sinn und Zweck des Beratungsgesprächs ad absurdum geführt (OLG Stuttgart, Urteil vom 27.07.2006 – AZ. 7 U 43/06; rechtskräftig, BGH, Beschluss vom 28.11.2007 – AZ.: III ZR 214/06).

Wird dem Anlageinteressenten – mit zutreffenden mündlichen respektive keinen abweichenden mündlichen Angaben – der Prospekt rechtzeitig vor Zeichnung übergeben, wird es für diesen schwer, sich auf eine angebliche Falschberatung zu berufen. In diesem Fall wird der Anleger nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs „nicht im Unklaren gelassen“ (BGH, Urteil vom 29.09.2007 – XI ZR 320/06).

Ist der Prospekt fehlerhaft, ist die Vorlage des Prospekts für die Annahme einer Prospekthaftung nicht notwendig (BGH, Urteil vom 03.12.2007 – II ZR 21/06 –).

3. Nichtaushändigung oder verspätete Aushändigung des Prospekts – Beweislast

Ist kein Prospekt übergeben worden, ist zu prüfen, ob der Vermittler verpflichtet war, dem Anleger einen Verkaufsprospekt zu übergeben.

Beispielsweise ist der Prospekt bei Investmentfonds nach § 212 Abs. 1 Satz 1 InvG lediglich kostenlos und unaufgefordert anzubieten. Demgegenüber ist der Prospekt bei Hedgefonds nach § 121 Abs. 3 Satz 1 InvG körperlich auszuhändigen.

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs trägt der Anleger die Beweislast für den Nichterhalt des Prospekts im Schadensersatzprozess gegen den Vermittler. Allerdings folgt aus der bloßen Nichtaushändigung alleine keine Pflichtverletzung.

Zur Bedeutung des Verkaufsprospekts bei einem Filmfonds führt der BGH in seinem Urteil vom 11.05.2006 – III 205/05 wie folgt aus: „Nimmt der Zeichner einer Vermögensanlage den Anlagevermittler auf Schadensersatz wegen unzureichender Risikoaufklärung in Anspruch, so trägt er für die Behauptung, vom Vermittler keinen – Risikohinweise enthaltenen – Anlageprospekt erhalten zu haben, die Beweislast. (…) Hier geht es dagegen (…) nicht um eine isoliert geschuldete Leistungspflicht des Vermittlers auf Aushändigung des Anlageprospekts an den Anlageinteressenten. Vielmehr ist die Aushändigung des Anlageprospekts im Zusammenhang mit der Vermittlung einer Vermögensanlage nur ein Element im Rahmen der geschuldeten Unterrichtung des Interessenten. Sie ist eines von mehreren Mitteln, die dem Aufklärungspflichtigen (hier dem Anlagevermittler) helfen, sich seiner Pflicht zur Information zu entledigen.“

Darlegungs- und Beweislast beim Anleger

Der Anleger trägt auch die Darlegungs- und Beweislast für die Rechtzeitigkeit der Prospektübergabe. Dies ergibt sich aus dem Urteil des BGH vom 11.05.2006 – III ZR 205/05 -). Dem folgen auch die Instanzgerichte bundesweit. Zu verweisen ist hierbei beispielhaft auf den Beschluss des OLG München vom 08.06.2011 – 20 U 256/11 -:„In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es anerkannt, dass es als Mittel der Aufklärung auch bei einer Anlageberatung genügen kann, wenn ein Prospekt rechtzeitig übergeben wird, der eine hinreichende Aufklärung vermittelt (z.B. BGH, Urt. v. 19.11.2009, AZ. III ZR 169/08, Rn. 24 m.w.N.). Dabei trägt der Kläger nicht nur die Beweislast für die Übergabe des Prospekts, sondern auch für den Zeitpunkt, also die Frage der Rechtzeitigkeit (BGH aaO Rn. 25; BGH, NJW-RR 2006, 1345). Dies gilt entgegen der Ansicht der Klagepartei auch und gerade für Fälle, in denen wie im vorliegenden Fall Schadensersatz wegen behaupteter Verletzung einer Aufklärungspflicht im Rahmen eines Anlageberatungsvertrages verlangt wird (BGH, Urt. V. 19.11.2009, AZ. III ZR 169/08). Die vom BGH in NJW-RR 2006, 1345 angesprochene Konstellation, dass es um die Erfüllung einer isoliert geschuldeten Leistungspflicht auf Aushändigung eines Prospekts geht, liegt hier also nicht vor.“

Auch das Oberlandesgericht Frankfurt geht bei vergleichbarer Sachverhaltskonstellation von der dahingehenden Darlegungs- und Beweislast des Anlegers in seinem Urteil vom 19.08.2009 – 17 U 98/09 – BB 2009, 2334 aus: „Dafür, dass ihm der Prospekt nicht rechtzeitig vor der Anlageentscheidung zugegangen sei, trägt der Kläger die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BGH, Urteil vom 11.05.2006 – III ZR 205/05, WM 2006, 1288 ff.; OLG München, Urteil vom 02.06.2008, 17 U 5698/07).“

Diese Rechtsprechung hat zuletzt auch das Landgericht Frankfurt mit Urteil vom 01.02.2013 – 2-05 O 687/11 – in dem eingangs beschriebenen Urteil bestätigt.

4. Fazit

Sich auf den Prospekt als Medium der Aufklärung zu berufen kann haftungsträchtig sein, wenn der Prospekt fehlerhaft ist. Ist der Prospekt fehlerfrei, dann muss geklärt werden, wann dieser übergeben worden ist. Bei rechtzeitiger Prospektübergabe muss der Anleger beweisen, dass zum einen vom Prospekt abweichende Angaben gemacht worden sind und zum anderen der Prospekt auch nicht rechtzeitig übergeben worden ist.

Eine rechtzeitige Prospektübergabe ist wohl bei einem Zeitraum von zwei Wochen vor Zeichnung gegeben. Es empfiehlt sich, das genaue Aushändigungsdatum als Empfang des Prospekts quittieren zu lassen und nicht nur das Datum am Tag der Zeichnung.

Rechtsanwalt Oliver Renner ist Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Lehrbeauftragter der Fachhochschule Schmalkalden und Dozent am Fortbildungsinstitut der RAK Stuttgart sowie stellvertretender Vorsitzender des Prüfungsausschusses „Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht“ der RAK Stuttgart. Seit 2009 ist er zudem Lehrbeauftragter an der Hochschule Pforzheim und seit 2010 Geldwäschebeauftragter der RAK Stuttgart.

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