Anlagestrategie: Augen zu und durch

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Carsten Gerlinger, Moventum AM

Wertpapiere am Tiefpunkt kaufen und zum Höchstkurs verkaufen, davon träumen Anleger – und es bleibt meist ein Traum. Denn niemand weiß, an welchem Punkt das Tief erreicht oder das Hoch erklommen ist. Ab wann geht es aufwärts und ab wann nur noch abwärts? Ein Kommentar von Carsten Gerlinger, Managing Director und Head of Asset Management bei Moventum AM

Mit dieser Frage beschäftigen sich zwar unzählige kluge und durchaus auch weniger kluge Menschen an den Märkten. Doch selbst wenn sie sich einmal über die erwartete Kursrichtung halbwegs einig sind, so ergibt sich daraus nicht unbedingt ein guter Leitfaden für Investmententscheidungen. Das haben die vergangenen Wochen gezeigt.

Noch vor kurzem herrschte Weltuntergangsstimmung an den Märkten. Zweistellige Inflationsraten fraßen sich in die Budgets der privaten Haushalte, eine „Konsumrezession“ wurde vorhergesagt. In Europa drohte Gas-Rationierung, die hohen Preise und Lieferengpässe drosselten die Produktion. Dazu kamen stark steigende Zinsen, Chinas Wachstumsschwäche, Immobilienblasen allerorten sowie ein heißer Krieg in der Ukraine und ein kalter zwischen den USA und China. Angesichts des erwarteten Desasters trennte sich so mancher von seinen Aktien. Und irrte sich.

Denn inzwischen sieht die Lage schon wieder deutlich entspannter aus. Im Euroraum fällt die Inflationsrate seit November, in den USA betrug sie zuletzt nur noch 6,5 Prozent. Die deutsche Wirtschaft erreichte 2022 ein ordentliches Plus von 1,9 Prozent, China und die USA wuchsen im vierten Quartal 2022 um annualisierte 2,9 Prozent. Von Gas-Rationierung spricht angesichts voller Speicher niemand mehr. In der EU und den USA wird inzwischen gehofft, dass die lange angekündigte Rezession ganz ausfällt – und wenn sie doch kommt, wird sie wohl milde. Mit den Stimmungsindikatoren der Wirtschaft geht es aufwärts und es gibt angesichts sinkender Inflationsraten die Hoffnung, dass die Zinsen nicht so stark steigen wie befürchtet.

Das ist natürlich Pech für jene, die sich von ihren Investments getrennt hatten. Denn sie haben nicht nur die Aufwärtsbewegung am Markt verpasst. Sie müssen gleichzeitig für ihren Wiedereinstieg höhere Preise zahlen. Ihr Fehler war allerdings nicht ein falsches Timing. Ihr Fehler war, dass sie sich überhaupt am Timing versucht haben. Denn dadurch wächst die Wahrscheinlichkeit, ausgerechnet die guten Börsentage zu versäumen. Und die zählen.

Eine Berechnung der Sutor Bank zeigte: Zwischen Anfang 1988 und Ende 2018 lag die Durchschnittsrendite des Dax bei 7,2 Prozent, trotz Internet-Blase, Lehman-Pleite und Euro-Krise. Wer in diesen 31 Jahren allerdings die besten zehn Handelstage verpasste, dessen Rendite schrumpfte auf 4,3 Prozent. Ohne die besten 13 Handelstage betrug die Rendite 3,5 Prozent und ohne die stärksten 33 Tage stand am Ende sogar ein Verlust. Und dies ist keine Eigenheit des Dax. Beim US-Index S&P 500 reichte das Verpassen der besten 17 Handelstage, um die Rendite zu halbieren. Und laut Quirin Bank hätte man bei einer Anlage von 100.000 Euro in den MSCI World zwischen 1992 und 2021 durch das Verpassen von nur fünf Börsentagen Wertsteigerungen von 400.000 Euro gleich mit verpasst.

Daraus folgt für Anleger: In schlechten Zeiten nicht nervös werden, eine Buy-and-hold-Strategie ist dem Markttiming haushoch überlegen. Denn erstens kennt weder der Profi noch der Laie den genauen Wendepunkt der Märkte. Und da zweitens die Gesamtperformance stark von wenigen guten Börsentagen abhängt, ist es wichtig, genau an diesen Tagen investiert zu sein. Drittens ist die Wahrscheinlichkeit hoch, diese engen Zeitfenster zu verpassen, da die guten Börsentage unvorhersehbar sind und zudem auch noch häufig kurz nach Markt-Tiefs anbrechen – wenn die Markttimer also aufgrund der Turbulenzen ausgestiegen sind. Laut Berechnungen folgten in sechs von zehn Fällen die besten Börsentage innerhalb von zwei Wochen nach den schlechtesten.

Daher sollte man auch heute zu 100 Prozent investiert sein und bleiben. Das größte Risiko für Aktienanleger ist nicht ein fallender Markt, sondern in der Krise auszusteigen und gar nicht mehr investiert zu sein. Die Devise lautet: Tief durchatmen, Augen zu und durch.

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