Die finanzielle Stabilität der Pflegeversicherung steht zunehmend auf dem Prüfstand. Angesichts steigender Kosten, wachsender Eigenanteile und einer alternden Bevölkerung drängt sich die Frage auf, wie die Pflege künftig solidarisch und generationengerecht finanziert werden kann. Passend zum Start der Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Ministerebene legt der unabhängige Experten-Rat „Pflegefinanzen“ eine aktualisierte Fassung seines Modells zur Pflege-Plus-Versicherung vor. Das Ziel: Die Eigenanteile in der stationären Pflege absichern und die gesetzliche Pflegeversicherung dauerhaft entlasten.
„Uns läuft die Zeit davon“
„Uns läuft die Zeit davon, die Pflegeversicherung für die Baby-Boomer-Generation vorzubereiten“, mahnt Prof. Dr. Jürgen Wasem, Vorsitzender des Experten-Rats und Gesundheitsökonom an der Universität Duisburg-Essen. Die Kalkulationen des Rats basieren auf aktuellen Echt-Daten und beziehen den deutlichen Kostenanstieg der vergangenen drei Jahre in der stationären Pflege mit ein. Schon ab dem Jahr 2026 könne das Modell eingeführt werden, betonen die Autorinnen und Autoren.
Kern des Vorschlags ist die Einführung einer obligatorischen Zusatzversicherung auf Kapitalbasis. Diese soll die pflegebedingten Eigenanteile im stationären Bereich übernehmen. Die Besonderheit: Versicherer hätten Annahmezwang, müssten also jede versicherungswillige Person aufnehmen – ohne Gesundheitsprüfung, ohne Provisionen.
Obligatorische Zusatzversicherung und betriebliche Ergänzung
Die Beitragshöhen sind nach Altersgruppen gestaffelt. Für 20-jährige Versicherte beträgt der monatliche Beitrag 44 Euro, für ältere Versicherte bis zu 64 Euro. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer teilen sich den Beitrag jeweils hälftig mit dem Arbeitgeber. Mit Renteneintritt halbiert sich der Beitrag. Sozialpolitische Ausgleichsmechanismen sind Teil des Konzepts: Kinder wären beitragsfrei mitversichert, Rentner zahlen nur die Hälfte, und bei Bedürftigkeit ist ein vollständiger Beitragsverzicht möglich.
Auch eine betriebliche Variante ist vorgesehen: Die Pflege-Plus-Versicherung könnte als Gruppenvertrag abgeschlossen werden, der Belegschaften inklusive Familienangehörigen absichert. Davon versprechen sich die Initiatoren nicht nur höhere Durchdringung, sondern auch Beitragsvorteile durch Skaleneffekte.
Bereits 2023 hatte der Experten-Rat eine erste Fassung des Modells vorgelegt. Mit dem aktuellen Update reagiert das Gremium auf die politischen Rahmenbedingungen: Die neue Bundesregierung aus SPD und Union hat sich im Koalitionsvertrag auf eine umfassende Reform der Pflegeversicherung verständigt. Eine neu einberufene Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll nun Vorschläge für einen Neuzuschnitt der Pflegefinanzierung erarbeiten.
Konkreter Reformvorschlag
Wasem sieht das eigene Konzept als konkreten Reformbeitrag: „Mit der Pflege-Plus-Versicherung liegt ein praxisnaher, direkt an das SGB XI anknüpfender Vorschlag für eine verpflichtende, mit konkreten Beiträgen hinterlegte Zusatzversicherung auf dem Tisch, die die Eigenanteile an den Pflegekosten sozial abfedert und generationengerecht finanziert.“ Die Politik, so Wasem weiter, müsse nun zügig handeln.
Hinter dem Experten-Rat steht ein interdisziplinäres Team aus Wissenschaft und Verbraucherschutz. Initiiert wurde das Gremium im Jahr 2022 vom Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV), es arbeitet jedoch unabhängig. Zu den Mitgliedern zählen neben Wasem unter anderem Prof. Dr. Christine Arentz (Technische Hochschule Köln), Prof. Dr. Thies Büttner (Universität Erlangen-Nürnberg), Constantin Papaspyratos (Bund der Versicherten) sowie Prof. Dr. Christian Rolfs (Universität zu Köln).