Volker Bohn: „Die Versicherungswirtschaft soll als Transmissionsriemen hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft dienen“

Foto: Thomas Bernhardt
Volker Bohn, Die Stuttgarter: "Wir bauen den Anteil an Produkten, die Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigen, seit 2013 immer weiter aus."

ESG-Konformität wird auch im Versicherungssektor immer mehr zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Wir befragten Volker Bohn, Nachhaltigkeitsbeauftragter der Stuttgarter, zur Rolle der Versicherer im Kampf gegen den Klimawandel, die Kundenberatung mittels Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen und zur ESG-konformen Ausgestaltung der Produktpalette des Versicherers.

Welche Rolle spielen Versicherer bei der Transformation der Wirtschaft und wo sehen Sie die größten Hebel, um dem Klimawandel entgegenzuwirken?

Bohn: Versicherer sind ein volkswirtschaftliches Kapitalsammelbecken. Der Regulator möchte dies bei der erforderlichen Transformation nutzen. Ziel ist es, über den Finanzmarkt die Realwirtschaft zu steuern. Darauf zielen Taxonomie, Offenlegung und auch die Präferenzabfrage ab. Die Versicherungswirtschaft soll quasi als Transmissionsriemen hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft dienen. Der Strauß der Möglichkeiten ist bunt. Um nur einige zu nennen: finanzielle Bildung, Produkte, die in besonderer Weise Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen, schrittweise Dekarbonisierung des eigenen Geschäftsbetriebs und der Kapitalanlage. Die Versicherungswirtschaft ist zudem ein großer Arbeitgeber. Hier gilt es weiterhin einen Beitrag zu mehr Diversität und Inklusion zu leisten.

Welchen Einfluss können Versicherungsnehmer durch den Einsatz ihres Geldes für sich proklamieren?

Bohn: Die Kunden haben zwei Wirkungsrichtungen, um Einfluss zu nehmen. Sie können Positives bewirken mit Investitionen, die auf Umweltziele wie den Ausbau erneuerbarer Energien, die Kreislaufwirtschaft und den Schutz der Biodiversität einzahlen.
Durch die Festlegung von Ausschlusskriterien für die Investition können die Kunden zudem Negatives vermeiden. Diese wichtigsten negativen Nachhaltigkeitsauswirkungen sind bei der Produktauswahl zu berücksichtigen. Hierzu zählen zum Beispiel Treibhausgasemissionen und Wasserverschmutzung.

Spätestens seit dem letzten Jahr ist der Vertrieb verpflichtet, die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden abzufragen. Läuft das aus Ihrer Sicht reibungslos? Wo besteht noch Bedarf, nachzujustieren?

Bohn: Die Abfrage der NH-Präferenzen wurde, gemäß der regulatorisch vorgegebenen Systematik, von den verschiedenen Anbietern in die Beratungstechnologie aufgenommen. In der Regel wurden die vorhandenen Tools zur Angemessenheits- und Geeignetheitsprüfung zusätzlich mit der Abfrage der NH-Präferenzen angereichert. Es werden auch zunehmend Schulungen und Zertifizierungen angefragt. Das führt zu einem größeren Angebot, da sich immer mehr Versicherer, Dienstleister und auf Nachhaltigkeit fokussierte Initiativen und Netzwerke mit dem Weiterbildungsbedarf der Vermittler beschäftigen. Derzeit existiert dennoch ein Defizit an Wissen zur Nachhaltigkeit im Allgemeinen und zur Nachhaltigkeit von Versicherungsprodukten im Speziellen. Dies sorgt für Unsicherheiten auf Kunden- und Vermittlerseite. Kundenbefragungen und Mystery Shopping sowie Auswertungen zur Nutzung der Beratungsstrecken zeigen, dass die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen noch nicht in der Mehrheit der Kundenberatungen angekommen ist. Nachzusteuern ist durch eine konsequente Qualifizierung der Beratenden und eine kontinuierliche Information der Kunden. Es braucht aber auch ein Mehr an Akzeptanz der vom Regulator vorgegebenen Vorgehensweise. Die Regulatorik ist gekommen, um zu bleiben.

Wie schulen Sie Makler, Vermittler, Ihre Vertriebspartnerinnen und Vertriebspartner? Wie unterstützen Sie den Vertrieb, damit der bei dem Thema seriös und kompetent beraten kann?

Bohn: Ein beliebtes Weiterbildungsangebot ist unser mehrteiliger Lehrgang zum zertifizierten Nachhaltigkeitsberater, den wir in Zusammenarbeit mit dem Institut für nachhaltiges, ethisches Finanzwesen e. V. (INAF) anbieten. Diesen Oktober findet er bereits in der 5. Auflage statt. Besonders wichtig ist uns dabei der hohe Praxisbezug: Wir passen unsere Inhalte immer wieder an aktuelle Fragestellungen an, sodass Vermittler die Tipps und Erkenntnisse direkt in ihren Beratungsalltag einbinden können. Der Lehrgang richtet sich speziell an unabhängige Vermittler und ist für sie kostenfrei. Bisher haben sich schon über 2.300 Vermittler erfolgreich weitergebildet. Für unsere eigenen Vertriebsmitarbeiter haben wir mit dem Beitritt zum German Sustainability Network (GSN), die Möglichkeit zum Zugriff auf relevante Fachinformationen und Studien und zum Austausch mit anderen Interessierten aus der Branche geschaffen. So steigern wir kontinuierlich und systematisch das eigene Know-how.

„Nachhaltigkeit bietet auch in unserer Branche echte Vertriebschancen.“ / Foto: Andreas Bernhardt

Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit überhaupt bei den Kunden, welche Erwartungen gibt es?

Bohn: Nachhaltigkeit spielt für viele Kunden eine zunehmend größere Rolle. Es lassen sich diverse Kundengruppen bilden und beschreiben. Diese unterscheiden sich hinsichtlich des geäußerten Nachhaltigkeitsbewusstseins und des tatsächlichen Verhaltens. Das macht es nicht einfacher, die richtige strategische Positionierung zu finden, da die Erwartungen sehr individuell und vielfältig sind. Viele Kunden wünschen sich von Banken und Versicherungen mehr Transparenz zur Nachhaltigkeit. Es gilt, das Unternehmen als Ganzes zu sehen und das wahrnehmbare Verhalten in Einklang mit dem Produktversprechen zu bringen. Finanzdienstleister, die diese Erwartung erfüllen, werden von vielen Kunden als sympathischer und glaubwürdiger wahrgenommen. Der GDV hat im Rahmen einer verhaltensökonomischen Experimentalanalyse im letzten Jahr untersuchen lassen, welche Rolle Beratung bei der Verbreitung nachhaltiger Versicherungsprodukte spielt. Das Ergebnis stimmt sehr zuversichtlich. Eine informative Beratung zahlt positiv auf die Nachfrage und die Zahlungsbereitschaft der Kunden ein. Die Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen entscheidet sich übrigens durchgehend am nachhaltigsten. Eines ist klar – Nachhaltigkeit bietet auch in unserer Branche echte Vertriebschancen.

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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