„Wir brauchen andere Zukunftsmodelle“

Foto: ifa-Ulm/PrismaLife
Prof. Jochen Ruß (li.) und Holger Beitz

Cash.-Exklusiv-Interview mit Holger Beitz, CEO der Prisma Life, und Professor Jochen Ruß, Geschäftsführer des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa), über Sicherheiten, Garantien, Nachhaltigkeit und die Zukunft von Fondspolicen in einem schwierigen Marktumfeld.

Wie gut war das Geschäftsjahr 2022, Herr Beitz?

Beitz: Bei uns sehr gut. Das Neugeschäftswachstum liegt bei rund 15 Prozent, die Beitragseinnahmen stiegen auf über 140 Millionen Euro. Wir sind rundum zufrieden. Was auffällt: Zu Beginn der Corona-Pandemie hatten wir trotz volatiler Aktienmärkte deutliche Zuzahlungen. Den gleichen Effekt sehen wir auch jetzt wieder: Die Kunden nutzen die Chance, zu günstigeren Kursen zuzukaufen. Wir sind ein klassischer Retailversicherer mit geringem Einmalbeitragsgeschäft. Die Zuzahlungen in laufende Verträge machen bei uns inzwischen über 10 Prozent der Beitragseinnahmen aus und tragen wesentlich zur Stabilität des Bestandes bei.

Professor Ruß, wie groß ist denn mittlerweile im Markt die Bereitschaft, sich auf Fondspolicen einzulassen? Und welche Rolle spielen Sicherheiten?

Ruß: Fondsgebundene Produkte sind nach wie vor auf dem Vormarsch. Denn Produktentwickler, Vermittler und Kunden stellen sich gleichermaßen die Frage, wo im aktuellen Marktumfeld Rendite herkommen kann. Und da landen sie relativ schnell bei Aktien und anderen chancenreichen Kapitalanlagen. Allerdings hat die reine Fondspolice – ganz ohne Garantie – immer noch ein Akzeptanzproblem. Menschen, die Sicherheit benötigen, wollen Garantien. Aber diese Menschen sind inzwischen in den Garantieprodukten – und das ist meines Erachtens der größte Fortschritt, den wir als Branche erreicht haben – bereit, niedrigere Garantien zu akzeptieren. Also eine Garantie von 60, 70 oder 80 Prozent der Beiträge. Es geht weniger um eine komplette Geld-zurück-Garantie, sondern eher um den Schutz vor einer totalen Katastrophe.

Wie groß ist der Renditehebel, wenn ich die Garantien reduziere?

Ruß: Mit jedem Bisschen, das Sie von der maximalen Garantie heruntergehen, können Sie die Quote an Aktien-lastigen Fonds erhöhen. Bei statischen Hybriden (und einem Rechnungszins nahe Null) bedeutet ein Prozentpunkt weniger Garantie ungefähr ein Prozentpunkt mehr Fondsanlage. Bei dynamischen Hybriden bringt es etwa fünf Prozentpunkte mehr Fondsanlage.

Als wir im März 2021 eine Studie zu den Auswirkungen von Garantien geschrieben haben waren 100 Prozent Beitragsgarantie rein rechnerisch übrigens schon gar nicht mehr möglich. Wir haben damals berechnet, welche Auswirkungen es auf die Rendite hat, wenn die Beitragsgarantien von jeweils 90 auf 80, 80 auf 70 und 70 auf 60 Prozent reduziert werden. Die Reduzierung der Garantien von 90 auf 80 hat ziemlich genau einen Prozentpunkt mehr Rendite gebracht. Von 80 auf 70 einen halben und von 70 auf 60 nochmals einen Viertel Renditepunkt. Das klingt erst einmal nach wenig. Wenn ich aber 20 oder 30 Jahre spare, macht das in Bezug auf die Ablaufleistung einen sehr großen Unterschied.

Wie viel Beitragsgarantie ist rechnerisch noch möglich?

Ruß: Bei den Produkten, die eine Garantie über den klassischen Deckungsstock – konventionelles Sicherungsvermögen – abbilden, ist es relativ einfach: Sie nehmen die Beiträge, ziehen die Kosten ab und verzinsen das, was noch übrigbleibt, mit 0,25 Prozent. Das wäre die maximal mögliche Garantie, die mit üblicher Produktkalkulation darstellbar ist. Wenn die Kosten übrigens eine Renditereduktion von mehr als 0,25 Prozent bewirken, dann liegt die maximal mögliche Garantie automatisch unterhalb 100 Prozent der Beiträge. Wenn Sie den Kunden genau die maximal mögliche Garantie von 100 versprechen, weist der Vertrag zu Vertragsbeginn keinerlei Fondsinvestment auf. Mit jedem Bisschen, das Sie von der maximalen Garantie heruntergehen, können Sie die Quote an chancenreichen Fonds erhöhen – wie oben bereits erläutert.

Abgesenkte Garantien sind übrigens im aktuellen Umfeld auch sinnvoll für die Kunden. Dies liegt daran, dass Aktien über lange Zeiträume einen gewissen Inflationsschutz bewirken. Mehr Garantie reduziert zwar das Schwankungsrisiko, erhöht aber im Gegenzug das Inflationsrisiko. Wenn man auf inflationsbereinigte Leistungen schaut (die für Kunden ja relevanter sind als die Stückzahl an Euros, die sie mal bekommen werden) ergibt sich ein interessanter Effekt: Wir haben berechnet, dass es bei den üblichen Produkten einen Kipppunkt gibt.

Und der liegt bei ungefähr 70 bis 80 Prozent Garantie. Wenn Sie von keiner Garantie bis 70 Prozent Garantie gehen, passiert das, was wir wollen. Das Produkt wird sicherer und verzichtet im Gegenzug auf etwas Rendite. Der sicherheitsorientierte Kunde kann sagen, ich entscheide mich für die höhere Garantie und nehme dafür den Renditeverlust in Kauf. Der Renditeorientierte nimmt hingegen mehr Risiken in Kauf. Der Clou ist: Oberhalb des Kipppunkts von 70 Prozent nehmen die Rendite und die inflationsbereinigte Sicherheit ab. Deswegen sind allzu hohe Garantien für jeden Kunden sinnlos. Weil zu hohe Garantien Sicherheit und Rendite gleichzeitig zerstören. Das müssen wir vermeiden.

Ich glaube, viele Vermittler haben verstanden, dass man im aktuellen Marktumfeld mit einer zu hohen Garantie dem Kunden schadet. Und ich meine hier nicht nur die investmentaffinen Vermittler, sondern auch viele, die früher die Klassik oder Produkte mit 200 Prozent Beitragsgarantie vertrieben haben. Denen müssen wir jetzt erklären, dass 80 oder 70 Prozent Beitragsgarantie auch für sicherheitsorientierte Kunden sinnvoll sind. Da ist Branche auf einem guten Weg – aber natürlich noch nicht am Ziel.

Eine Studie aus dem Herbst 2022 zeigt, dass den Kunden Sicherheit und Garantien wichtiger als Rendite sind. Dabei wäre angesichts hoher Inflationsraten doch das Gegenteil evident. Warum kommt die Botschaft so schwer an?

Ruß: Es ist hauptsächlich ein psychologischer Effekt. Wir kennen das Phänomen der Verlustaversion. Ich freue mich über einen Gewinn von 100 Euro und ärgere mich über einen Verlust des gleichen Betrags. Der Ärger ist aber ungefähr zweieinhalbmal so groß wie die Freude. Das ist für mich ein Hauptgrund, warum die Menschen keine Aktieninvestments mögen. Da geht es in einem Jahr um zehn Prozent hoch, im nächsten um fünf Prozent runter.

Die fünf Prozent gewichte ich aber um das Zweieinhalbfache höher. Dann bin ich emotional im Minus, obwohl ich auf dem Papier im Plus bin. Und deswegen sind für viele Kunden Garantien durchaus sinnvoll (sofern sie nicht zu hoch sind). Denn bei einer moderaten Garantie von beispielsweise 80, 70 oder 60 Prozent hat das Produkt trotzdem eine sehr hohe Aktienquote. Gleichzeitig steigt die Akzeptanz beim Kunden, weil er nicht alles verlieren kann – und die Garantie hilft ihm vielleicht nach einem zwischenzeitlichen Verlust die Ruhe zu bewahren.

Sie haben in Ihrer Frage übrigens zwei wichtige Worte benutzt: Sicherheit und Garantie. Ich glaube, die Kunden brauchen schon Sicherheit, aber sie wollen Garantien. Nur ist der Unterschied zwischen Sicherheit und Garantien nicht so ganz klar. Denn mehr Garantie in Euro bewirkt (wie oben erläutert) nicht in allen Fällen auch mehr Sicherheit in Bezug auf die Kaufkraft der Leistung.

Zur Rückkehr der Klassik: „Die spielt auch in Zukunft bei vielen Produkten eine wichtige Rolle“

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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