„Wir müssen vor die Welle kommen“

Die Stichworte, die uns alle derzeit bewegen sind Inflation, Krieg in Europa, unterbrochene Lieferketten, massive Schäden in 2021. Welche Folgen hat das auf die private Sachversicherung, auf die Prämienentwicklung?

Neuhalfen: Wenn man sich das Geschäftsjahr 2021 betrachtet und sich die Schadenlasten anschaut wird man feststellen, dass es teurer ist als geplant. Die genannten Stichworte tragen dazu bei, dass 2022 noch teurer werden wird. Wenn dem so ist, dann muss das in Summe aller Schäden durch die Prämien abgedeckt werden. Das ist leider eine Gesetzmäßigkeit. Faktisch bezahlen wir die Schäden wie sie heute entstehen mit Beiträgen von gestern. Wenn wir das Jahr 2021 und 2022 betrachten, wissen wir, dass auf den Bestandskunden – und das sind mehrere Millionen der Deutsche – eine erhebliche Mehrprämie zukommen wird. Es ist durchaus angemessen, dass das höhere Mehr an Ausgaben durch ein gewisses Mehr an Beiträgen zeitverzögert bezahlt wird. 

Schumacher: Ich kann das Gesagte nur mit größter Leidenschaft unterstützen. In früheren Jahren lagen die  Schadeninflationsquoten typischerweise zwischen einem halben Prozent und vielleicht dreieinhalb oder auch mal vier Prozent. Eine Beitragsanpassung in dieser Größenordnung würde aber bei weitem nicht ausreichen, weil beispielsweise Holz – ein wichtiger Rohstoff in der Wohngebäudeversicherungssparte – um 50 Prozent, teilweise sogar um mehr als 150 Prozent teurer geworden ist. Wir regulieren also jetzt jeden Monat Schäden, für die wir fast zehn Prozentpunkte mehr allein durch die Inflation bezahlen. Die haben wir – genau wie die anderen Unternehmen – in unseren Prämien gar nicht einkalkuliert. Diese zehn Punkte finanzieren wir sozusagen vor, was bedeutet, dass für uns jeder Schaden eigentlich ein Verlustgeschäft ist. 

Neuhalfen: Und das wird der eine oder andere auch in seiner Bilanz sehen, weil die Schäden teurer sind, als sie in den Beiträgen der Kunden kalkuliert wurden. 

Schumacher: Wir müssen also antizipieren, was an Inflation 2023 dazu kommt. Wenn sie mit zehn Prozent weiterläuft, würden selbst 15 Prozent Beitragserhöhung nicht ausreichen. Wir müssen bei der Festlegung künftiger Beiträge quasi vor die Welle kommen. 

Neuhalfen: Ich fürchte, wir werden dieses Delta, diese Delle mitschleppen, weil wir immer hinter der Welle herlaufen. Wir werden es nicht kompensieren können. Es wird Spuren in Bilanzen geben, beim einen mehr, beim anderen weniger. Damit wir eben weiterhin dauerhaft die Leistungsfähigkeit der Verträge und der Produkte sicherstellen können, ist es unverzichtbar, die Prämien nach oben anzupassen.  

Letzte Frage: Wo liegen für die Branche die größten Herausforderungen und wollen Sie künftig die Akzente setzen? 

Schmidt-Spaniol: Wir werden uns zum einen mit Kostendruck und zum anderen mit Nachhaltigkeit und einem speziell darauf abgestimmten Produktdesign beschäftigen müssen. Als Unternehmen müssen wir grundsätzlich in der Lage sein, schnell und möglichst effizient auf Veränderungen zu reagieren, ganz gleich, ob es sich um wettergetriebene Ursachen, geänderte Kundenbedürfnisse oder Inflationsthemen handelt.  

Schumacher: Themen wie Nachhaltigkeit oder Digitalisierung sehe ich nicht als Herausforderung im eigentlichen Sinne, sondern als Aspekte, an denen wir bereits arbeiten und dies auch weiterhin tun werden. Die größte Herausforderung derzeit ist die Inflation und alles, was daraus folgt: Höhere Baukosten, Mangel an Baustoffen, verhakte Lieferketten. Für all das sehe ich leider noch keine befriedigende Lösung.

Neuhalfen: Wir sind im Jahr 203 unseres Bestehens. Da ist schon einiges passiert. Aber bei allen Herausforderungen macht es durchaus Sinn, sich einen offenen Geist zu bewahren, Neues auszuprobieren und das, was funktioniert, fortzuführen. Als Maklerversicherer wird es für uns entscheidend sein, wie wir den Arbeitsalltag unserer Vermittler bestmöglich erleichtern können. Wir brauchen schlanke Prozesse, die trotzdem richtig und compliant sind. An vielen Stellen wird es deshalb eine Marktbereinigung geben und zu weniger Vermittlern und Versicherern führen. Aber die wirklich Guten werden auch in Zukunft ihren Markt haben und ihren Platz finden.  

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